Du sagtest, ich würde dich im Garten finden, und ich solle mich beeilen.
Der Hund sei wieder da. Ich verstand kein Wort von dem, was du mir mitteilen wolltest.
Du kannst mir glauben. Ich habe mich beeilt wie ein Irrer. Gleich nach Unterrichtsschluss bin ich losgefahren, nicht einmal zwanzig Minuten nach deinem Anruf, obwohl die Straßenverhältnisse katastrophal waren. Schneefall seit dem Wochenende. Die Temperaturen nie über minus fünf Grad. Nur die wenigsten Straßen waren geräumt. Ich musste langsam fahren und höllisch aufpassen nicht am nächsten Baum zu landen. Und es wurde schlimmer je näher ich den heimatlichen Bergen kam.
Doch nun bin ich da und blicke in den zugeschneiten Garten, der so gar nichts mehr mit dem fröhlich bunten Blütenmeer des Sommers zu tun hat. Tote, trockene Pflanzenreste ragen aus dem knietiefen Weiß.
Ich sehe deutlich deine Spuren. Sie führen hinauf zum rot gestrichenen Gartenhaus. Und ich denke: dort kann es bei diesem Wetter niemand aushalten. Niemand, der nicht über den Pelz eines Bären verfügt. Doch ich habe gelernt, dass Angst gleichgültig macht und die Dinge auf den Kopf stellen kann. Beißende Kälte ist in manchen Situationen das kleinere Übel.
Ich finde dich in der hintersten Ecke des Holzhauses hinter den aufgestapelten Gartentischen und Stühlen auf dem Boden kauern.
Licht ist hier drin ist nicht wirklich vorhanden und im ersten Moment glaube ich einen schmelzenden Schneemann zu sehen. Ich glaube an einen Scherz.
Du zitterst. Deine Lippen bewegen sich, doch es dringt kein Laut zwischen ihnen hervor. Ich rufe deinen Namen. Dann noch einmal. Ein Flackern in deinen Augen. Du siehst mich an. Deine Hand schnellt hervor und greift nach meiner Jacke. Ein Krächzen dringt aus deiner Kehle, doch ich verstehe nicht was du mir sagen willst. Ich sehe dir in die himmelblauen Augen und spreche dich an.
„Wir müssen ins Haus! Hier draußen erfrierst du!"
Jeder meiner Sätze zeichnet dichte Kältewölkchen in die Luft.
Deine Augen weiten sich. Wieder willst du mir etwas mitteilen. Noch immer bekommst du keinen Laut heraus.
Ich mache mich daran, dich aufzurichten. Du hast noch Kraft, und nach wenigen Anläufen stehst du auf den Beinen. Erst jetzt bemerke ich, dass du noch deine roten Hausschuhe an den Füßen trägst. Der Filz ist mit glitzerndem Raureif überzogen. Auf einem der Tische liegt ein Stapel alter Decken. Ich ziehe eine von ihnen herunter und lege sie dir um die Schulter.
„Was ist passiert? Warum versteckst du dich?"
Schritt für Schritt geleite ich dich zur Tür. Trotz der Bewegung beginne auch ich allmählich zu frieren. Meinen Schal habe ich im Auto vergessen.
Als wir vor der Hütte angekommen sind bleibst du abrupt stehen.
„Nicht ins Haus! Nicht ins Haus!"
Du hast deine Stimme wiedergefunden. Ich streichele dir über die Wange. Wie einem kleinen Kind. Der Rollentausch irritiert mich.
„Was ist mit dem Haus?"
„Der Hund ist wieder da!"
„Der Hund? Aber Mama, wir haben das Bild im Herbst abgehängt. Papa hat es mit zum Flohmarkt genommen. Es ist weg. Verkauft."
Du siehst mich an, als hättest du mich beim Lügen erwischt. Dann schließt du die Augen und schüttelst heftig den Kopf.
„Nein, nein. Es ist wieder da. Im Wohnzimmer!"
„Papa hat es behalten?"
„Es ist von allein zurückgekommen!"
Ich sehe dich an, und hoffe dass du meinen traurigen Blick nicht bemerkst. Dein graues Haar, das noch immer fein säuberlich frisiert ist. Dein gebeugter Rücken. Die wirren Gedanken. Du tust mir leid. Gleichzeitig weiß ich, dass dir das nicht hilft.
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Ich würde dich im Garten finden (Gespenster-Story)
Short StoryDu sagtest, ich würde dich im Garten finden, und ich solle mich beeilen. Der Hund sei wieder da. Ich verstand kein Wort von dem, was du mir mitteilen wolltest. Eine Schauergeschichte in vier Kapiteln.