Kapitel 1
„Es waren einmal fünf Geschwister, die sich über alles liebten, aber nicht unterschiedlicher hätten sein können. Deshalb beschlossen sie ihr Reich aufzuteilen, um einander nicht mehr länger im Wege sein zu müssen."
Gelangweilt schaue ich auf meine Uhr, nur um feststellen zu müssen, dass die Geschichtsstunde noch weitere 10 Minuten geht. Da mir nichts anderes übrig bleibt, konzentriere ich mich wieder auf den Text, den unser Lehrer uns vor gut fünf Minuten ausgeteilt hat.
Natürlich ist unsere Geschichte –die Geschichte der 5 Stämme- sehr interessant, aber fast jeder der Flogas kennt sie auswendig. Schließlich bekommt jedes Kind sie immer wieder zu hören, ob als Gute-Nacht-Geschichte oder auf den monatlichen Märkten. Aber ich bin jetzt kein Kind mehr, sondern eine Heranwachsende und das wird mir gerade auch schmerzhaft bewusst, weil Schmittchen, der jetzt komischerweise hinter mir steht, sich räuspert:
„Oh, Fräulein Kia, haben wir doch immerhin die erste Seite geschafft. Von insgesamt 5 wohlgemerkt!"
Zum Ende hin wurde seine Stimme immer lauter und anklagender, womit mir die Aufmerksamkeit der Klasse gewiss ist. Nur um das klarzustellen: Ich sitze nicht ohne Grund in der letzten Reihe. Im Mittelpunkt des Geschehens zu stehen ist mein aller schlimmster Albtraum, aber genau das ist jetzt der Fall. Alle haben sich zu mir und Schmittchen umgedreht, um auch ja nichts von der willkommenen Ablenkung zu verpassen. Ich kann all ihre Blicke auf mir spüren. Manch sind schadenfreudig, andere mitleidig, aber allesamt wollen sie gerade nicht in meiner Haut stecken.
Ich mache mich immer kleiner, denn nicht ohne Grund sind Schmittchens Wutausbrüche selbst bei den noch neuen Klassen gefürchtet. Er ist normalerweise ein wirklich netter Lehrer, aber wie so viele andere auch kann er es nicht leiden, wenn man in seinem Unterricht nicht aufpasst oder, so wie in meinem Fall, nicht das tut, was man tun sollte.
Ich bin schon am überlegen, was ich jetzt am besten sage, um möglichst gut aus der Sache raus zu komme, da sagt Schmittchen:
„Ich will, dass so etwas nicht mehr vorkommt Kia. Guten Tag."
Dann stolziert er wieder nach vorn, greift seine Tasche, die er, wahrscheinlich aus Prinzip, nie auspackt und verlässt den Raum. Kurz herrscht ein verblüfftes Schweigen, doch schon nach wenigen Augenblicken springen die ersten auf und beginnen fröhlich mit einander zu quatschen, während sie ihr Zeug einpacken, nur um dann schnellst möglich das Klassenzimmer verlassen zu können.
Manch kommen sogar nach hinten und klopfen mir auf die Schulter. Ich kann es immer noch nicht fassen und bekomme deshalb auch nur am Rande mit, wie einige Murmeln:
„Was hat sie denn jetzt gemacht und wieso geht der Schmittchen nicht ab wie sonst auch immer?"
Oder
„Respekt, nicht jeder kann Schmittchen so um den Finger wickeln."
Aber da ich auf nichts reagiere, sondern nur erstaunt auf meinem Platz sitzen bleibe, verschwinden die meisten wieder und lassen mich in einem schnell leer gewordenen Zimmer zurück. Erst der Schulgong bringt mich dazu aus meiner Trance aufzuwachen. Und jetzt heißt es erst mal nicht weiter über das ganze Zeug nachdenken, sondern möglichst noch pünktlich zu meinem nächsten Unterrichtsfach kommen. Das ist nämlich Verwandlung bei Madame DiRoza und die kann es überhaupt nicht leiden, wenn man zu spät kommt. Also renne ich aus dem Gebäude raus in den Schulgarten und damit ist kein Gemüsebeet sondern eher eine Art Park gemeint. Verwandlung ist das einzige Fach, das draußen unterrichtet wird und auch das einzige coole, meiner Meinung nach. Klar, die anderen Fächer sind auch wichtig und teilweise spannend, aber Verwandlung ist einfach am besten. Außerdem ist heute das erste Mal, dass wir uns verwandeln dürfen. Manche von den anderen finden es blöd, dass das erst im dritten Lehrjahr stattfindet, aber ich kann die Methoden schon nachvollziehen. Schließlich ist so eine Verwandlung alles andere als einfach. Es braucht viel Konzentration und natürlich verursacht es auch viele Schmerzen. Darauf wurden wir die letzten zwei Jahre vorbereitet. Dieses Jahr haben wir viele Persönlichkeitstests gemacht, um möglichst genau sagen zu können, in was für ein Tier man sich verwandeln wird. Das hilft sehr, wenn man weiß auf was man sich fixieren, was man sich vorstellen muss. Bei mir kamen immer nur sehr ungenaue Ergebnisse heraus, weshalb ich auch keine Ahnung habe, was mich heute erwartet. Zuerst hatte ich deshalb mega Angst, aber Madame DiRoza half mir zum Glück und sagte, dass so etwas öfters vorkommt als man denkt. Deswegen bin ich jetzt auch nur noch nervös und natürlich aufgeregt, aber die Angst hält sich in Grenzen.
Schon von weitem kann ich die anderen sehen, wie sie sich in einem Kreis um Madame DiRoza aufgestellt haben und ihr gebannt zu hören. Nach kurzem fällt mir auch wieder ein, was so besonders an heute ist, dass keiner der Jungs auf die Idee kommt irgendeinen Streich zu spielen. Heute werden wir uns zum ersten Mal verwandeln und Madame DiRoza hat von Anfang an klar gemacht, dass der der sich nicht ordnungsgemäß verhält gleich wieder gehen darf.
Je näher ich komme, desto mehr Angst habe ich entdeckt zu werden, aber mit meinen Schleich- und Duckkünsten komme ich letztendlich ungesehen an. Aber leider hilft mir das jetzt auch nicht viel weiter, denn plötzlich laufen alle los und versuchen irgendwo hinzukommen. Ich habe absolut keinen Plan, was sie alle machen, weshalb ich erst einmal nur stehen bleibe und versuche ein System hinter dem ganzen Gewusel zu entdecken. Zum Glück ist das nicht so schwer, denn recht schnell sieht man, dass sich alle in Gruppen zusammenfinden. Jede Tierart ist eine Gruppe. Da ich in der Nähe der Säugetiere stehe und das eh eine der größten Gruppen ist, stelle ich mich schnell dort dazu. Aber ich habe es noch nicht überstanden, denn sobald alle stehen geht es wieder los und alle teilen sich auf. Dieses Mal verstehe ich aber auf Anhieb, was zu tun ist. Man soll sich in Gruppen von 4-5 Leuten treffen, um dann in kleinem Kreise die Verwandlung zu üben. Keine Angst, dass sind nicht meine Wort, Madame DiRoza hat das schon letzte Stunde erzählt und jetzt erinnere ich mich daran. Ich seufze und will mich gerade auf die komplizierte Such nach eine Gruppe machen, die mich auch wirklich haben will, da werde ich am Arm gepackt.
~1.024 Wörter
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Die 5 Stämme
Fantasy~Die 5 Stämme~ 5 Stämme, 1 Geschichte Kia war mit ihrem Leben zufrieden. Sie war bereits ein Jahr an der Floga-Academy und trotz ihrer eher zurückhaltenden Art hatte sie bereits ein paar wenige Freunde gefunden. Aber alles änderte sich, als sich h...