Meine Ankunft und erste Schauermärchen

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In Zimmer Nummer 53 lauern Gefahren, die dir in den schlimmsten Albträumen nicht begegnen würden. Noch nie wohnte ein Schüler dort länger als ein paar Monate. Einer nach dem anderen sind sie verschwunden, um nie wieder entdeckt zu werden. Eines Tages würde der Bewohner der 53 nicht mehr im Unterricht erscheinen. Ein Lehrer würde an der Zimmertür klopfen, doch vergebens auf eine Antwort warten. Denn der Bewohner ist bereits verschwunden. Niemand ist je zurückgekehrt. Manchmal fahren Schüler gleich wieder nach Hause, wenn sie erfahren, dass sie der Nummer 53 zugeordnet wurden. Wer dieses Zimmer annimmt und einen Fuß auf die andere Seite der Türschwelle setzt hat sein Todesurteil unterschrieben. Wobei...nicht einmal das ist eindeutig. Schließlich wurde auch noch nie eine Leiche gefunden. Fest steht jedoch, in diesem Zimmer ist niemand sicher.

So habe ich dieses Schauermärchen jedenfalls erzählt bekommen. Eine wahre Legende angeblich. Das ich nicht lache.

Vermutlich eine Einschüchterung, die jeder Neuling hier an der International Art School ertragen muss. Ziemlich kindisch meiner Meinung nach. Ganz sicher werde ich mich aber nicht davon beeindrucken lassen. Nach vier Jahren an meiner vorherigen Schule bin ich schließlich schon so einiges gewöhnt und lasse mich so leicht von nichts mehr erschüttern.

Mit gehobener Augenbraue und verächtlich hochgezogenem Mundwinkel passiere ich einen dieser eingebildeten Schauergeschichtenerzähler, der mir tatsächlich weiß machen wollte, ich hätte wahrscheinlich nur mehr ein paar Wochen zu leben, wenn ich nicht unverzüglich wieder umkehren und nach Hause fahren würde.

"Du wirst es noch bereuen, nicht auf mich gehört zu haben!"

"Ja, genau. Lass mich raten, wenn ich Schneewittchen nicht ernst genug nehme, werde ich bald von einem Apfel vergiftet?"

Darauf kassiere ich nur einen "ernsten" sorgevollen Blick von dem blonden Jungen. Er ist der dritte von dem ich eine Version dieser Geschichte zu hören bekommen habe. Doch jetzt reicht es mir. Möglichst ohne jemandem zu begegnen, der diesem Gruselmärchen noch ein paar angsteinflößende Details hinzufügt, mache ich mich auf dem Weg zur Direktorin. Laut der E-Mail mit allen wichtigen Informationen, über die ich im Vorhinein bescheid wissen sollte, muss ich mich gleich zu Beginn bei der Direktion melden, um meinen Zimmerschlüssel und eine kurze Einführung zu erhalten.

"Herein", erwidert eine fröhliche Frauenstimme mein Klopfen. "Sie müssen Miss Zoe Greenwood sein!", begrüßte mich die kleine etwas rundliche Direktorin, während sie ihre wasserstoffblond gefärbten Haare nach hinten wirft. "Ja, die bin ich, und ich freue mich sehr an Ihrer Schule sein zu dürfen." "Das freut mich zu hören. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, würde ich Sie gerne noch etwas in der Schule herumführen ehe ich Sie in Ihrem Zimmer alleine lasse." Da sie das weniger fragte, sondern mehr feststellte, nicke ich bloß lächelnd und fühle zum ersten mal nach dem Abschied von meinen Eltern richtige Vorfreude. Es hatte mich ein halbjähriges Auswahlverfahren und viel Überwindung gekostet, tatsächlich an der International Art School aufgenommen zu werden und doch realisiere ich noch immer nicht ganz, dass ich jetzt wirklich hier bin. Eine einzigartige Ausbildung, von der jeder Hobbykünstler träumt, wird mir zu Teil. Kaum zu fassen.

"Nun, dann folgen Sie mir bitte Miss Greenwood." Das lasse ich mir nicht zweimal sagen und schon kann meine Führung durch das denkmalgeschützte Gotik Gebäude beginnen. "Ich hoffe sehr, Sie haben sich mit dem Verhaltenskodex und der Hausordnung so gut beschäftigt, dass Sie dazu in der Lage sind, keine Regeln brechen zu müssen. Strafen fallen bei uns an der International Art School nämlich selten gnädig aus." Diese plötzlich korrekte beinahe drohende Tonlage überrascht mich etwas, doch ich versichere ihr schnell, alle Regeln zu kennen und nicht das Verlangen zu empfinden, irgendeinen dieser Grundsätze zu brechen. Das scheint alles gewesen zu sein, was sie gebraucht hat, um wieder fröhlich über die Geschichte der Schule und deren Räume zu plaudern. Anscheinend hat das 1977 zuletzt renovierte Gebaude so einiges zu bieten und steckt voller Geheimnisse (wenn auch nicht die Art von Geheimnis, deren Wahrheit mich einige meiner zukünftigen Mitschüler zu überzeugen versucht hatten).

Am Meisten beeindruckt bin ich bis jetzt vom gigantischen Speisesaal, der mich an einen der Geschichtsfilme, die ich letztes Jahr zu sehen gezwungen worden war (mein Vater ist ehemaliger Geschichteprofessor) erinnert. Würde in diesem Moment ein elegant gekleidetes Burgfräulein hinter den abendhimmelblauen Vorhängen hervorkommen, hätte mich das ebensowenig gewundert, wie einen Koch aus der Küche kommen zu sehen. Mrs. Worindale, die Direktorin scheint mir meine Faszination vom Gesicht lesen zu können, denn sie meint : "Mir hat es dieser Raum auch angetan, als ich zum ersten mal an diese Schule kam. Kein Wunder. So prachtvolle Räume gibt es nicht überall zu sehen." Obwohl ihre Lippen grinsen, als sie spricht, verbergen ihre Augen bei diesen Worten etwas, das ich nicht ganz deuten kann. Aber bevor ich mir genauer darüber den Kopf zerbrechen kann, führt sie mich schon in ein sonnendurchflutetes Atelier, welches trotz dem Chaos, das darin herrscht, etwas ästhetisches und einladendes an sich hat.

Gegen Ende der Führung wird mir bewusst, dass trotz der unzähligen weiteren Ateliers und Freizeitäumen, ja selbst der prunkvollen Aula, der Speisesaal einfach der beste Raum von allen ist. Selbst, wenn man sich darin klein, wie eine Kirchenmaus fühlt, ist es nicht ungemütlich dort, und hinter jedem gotischen Bogen scheint sich eine andere wunderschöne Verzierung zu verbergen. Jetzt bereue ich es fast, Architektur nicht als Schwerpunkt gewählt zu haben, aus Angst ich wäre nicht gut genug. Egal, deswegen kann ich trotzdem genauso die Architekturkurse besuchen und weitere Stunden als Freifach nehmen. Andererseits habe ich sowieso schon mehr als genug Wochenstunden...

So, genug gegrübelt es ist nun so weit und ich darf mein ach so gefährliches Zimmer 53 betreten, das vorhat mich entführen zu lassen oder gar umzubringen. Ich habe ja schon richtige Angst. Mit einem quietschen, welches vermutlich nach den Schauermärchen beängstigend klingen sollte, öffnet sich meine Zimmertür. Schon einige Schritte im Zimmer und mich hat noch niemand mit einem Messer erstochen. Soweit so gut. Plötzlich muss ich über die ganzen Geschichten, eine grauenhafter als die andere, lachen und lasse mich samt Jacke und Tasche auf das noch unbezogene Bett fallen. Aus dem Fenster dringt nur mehr etwas Licht der bereits untergehenden Sonne in das Zimmer und erinnert mich daran, dass ich langsam aber doch das Bett überziehen und mich fürs Schlafen gehen fertig machen sollte. Auspacken und meine wenigen Schulsachen, die ich mitgebracht habe, zusammenkramen kann ich morgen doch genauso. Müde bin ich sowieso schon.

***

So, das hier ist einmal ein kleiner Einblick in das fantasiereiche Mystery-Buch, an dem ich gerade arbeite. Im nächsten Kapitel wird es aufregend, denn - so viel kann ich verraten - der erste Schultag läuft nicht so, wie geplant.

Ich würde mich wahnsinnig über Kommentare, Bewertungen und vielleicht sogar ein paar regelmäßige Leser meiner Geschichte freuen.

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