Abendphilosophie

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Sunny und Bone trafen genau dann ein, als Vivi ihren Kumpel vom Gleis abholte. Ginger war komplett aus dem Häuschen, als er erfuhr, dass wir eventuell bei dem Redhead wohnen könnten. Das mussten wir nur noch Sunny und Bone beibringen. Wie erwartet war Sunny komplett dagegen und Bone ebenfalls eher abgeneigt. 

Wir kennen sie nicht, wir können ihr nicht vertrauen. Denn wir können generell niemandem vertrauen, Vertrauen ist eine Falle, in die jeder tappt und die immer, ohne Ausnahme, zuschnappt. Klar, ich musste ihnen irgendwo Recht geben. Andererseits, was soll schon groß passieren? Vivi sollte eher Angst vor uns haben. Mit diesem Argument überzeugte ich Bone, Sunny kriegten wir rum, als sie von der dort dauerhaft vorhandenen Dusche und Waschmaschine hörte. 

Wir hörten sofort auf zu tuscheln, als Vivi mit ihrem Kumpel und zwei Koffern im Schlepptau wiederkam. “Finn”, stellte er sich vor und drückte uns allen mit einem breiten Grinsen diverse Taschen und Tüten in die Hand. Er hatte straßenköterblonde Haare, ein eher unauffälliges Gesicht und eine schlacksige Statur. 

Als wir uns vorstellten runzelte er interessiert die Stirn. Bei Ginger könnte er sich ein Lachen nicht verkneifen. “Das ist doch nicht dein echter Name?”, fragte er. “Nö”, antwortete Ginger, “mein Spitzname.” “Weil du so rötliches Haar hast, oder wieso?” “Wenn du es so sehen möchtest”, Ginger zuckte mit den Schultern, “in Wirklichkeit heiße ich Dirk. Jetzt hast du auch schon ein schönes Bild von meinen Eltern: Unnötig und unkreativ.” Finn lachte. “Geht mir auch so.” 

Ich packte unser Lager zusammen und Vivi lief vor. “Ich wohn’ nicht weit von hier. Es wird aber ziemlich eng, ich hätte nicht erwartet, dass ihr so viele seid. Ist aber nicht schlimm”, fügte sie noch schnell dazu, als sie meinen entschuldigenden Blick sah, “desto mehr, desto besser, oder? Wir kriegen das schon hin, irgendwo hab’ ich noch eine Matratze rumliegen, ansonsten müssen wir halt Jacken und so Zeug auf einen Haufen werfen.”

Wir traten aus der Wartehalle und der Regen klatschte mir voll ins Gesicht. Ich fror am ganzen Körper und sofort setzte das Zittern wieder ein. Super Zeitpunkt natürlich. 

“Na Vögelchen”, trällerte Ginger und nahm mir mein Gepäck ab. “Kippst du gleich wieder um? Dahinten ist das Gleis, falls du das suchst.” “Witz des Jahrhunderts, Dirk”, konterte ich, während ich mich an einem Straßengeländer festhielt, so schwummrig war mir. Die laute Straße und die Autos verwirrten mich, sowie die vielen Lichter, die mich durch die Regenfäden hindurch anblinkten. Es war lange her, dass ich zum letzten mal in einer Großstadt war. 

Ginger neben mir lachte. “Ich heiße natürlich nicht wirklich Dirk. Das wäre ja echt hart.” Ich nickte ironisch: “Ja klar.” “Wirklich nicht”, beteuerte er, “Als ob ich jemandem meinen wahren Namen verraten würde.” “Wirst eh immer Ginger bleiben”, erwiderte ich, während ich mich darauf konzentrierte, über die Straße zu laufen, ohne von einem Auto angefahren zu werden. Ich schlingerte nämlich dezent. “Oh, süß.” Ginger sah mich durch den Regen verklärt an. “Das hast du schön gesagt.” 

Vivi führte uns von der Hauptstraße in eine kleine Seitenstraße und blieb gegenüber von einem Spielplatz vor einer angeschmierten Haustür stehen, fummelte einen Schlüssel hervor und hielt uns die Tür auf. “Herein in die Gute Stube.”

Im Treppenhaus roch es nach Tütensuppe und altem Holz. Die Wände waren beige gestrichen, doch die Farbe blätterte überall ab. Vivi lies die Tür ins Schloss fallen und drängelte sich nach vorne. Das Treppenhaus war derart eng und klein, dass sechs Leute es komplett ausfüllten. “Ich wohne ganz oben, meine Lieben, also einfach immer mir hinterher.” Die Stufen knarzten und quitschten unter unserem Gewicht und ich bekam fast einen Dreisel, da sie sich so oft windeten und wendelartig nach oben führten. 

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