Verschütteter Kakao & fremde Mädchen

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Ein zartes Klingeln ertönte. Erschrocken zuckte ich zusammen. Mein Buch knallte auf den runden, kleinen Holztisch und ließ meine heiße Schokolade über den Rand schwappen. Hastig legte ich mein Taschenbuch auf den dunkelroten Sessel neben mir. „Brauchen Sie ein Tuch?", erkundigte sich die Kellnerin. Sie besaß einen leichten Akzent, rollte das „r" beim Sprechen. Ich nickte und fühlte mich -aus einem mir völlig unbekannten Grund- ertappt. Nachdem ich den Kopf anhob, um mich im Voraus bei der hilfsbereiten Mitarbeiterin zu bedanken, erblickte ich ein Mädchen ungefähr in meinem Alter. Sie schien nicht recht in die Umgebung passen zu wollen. Ihr dunkelbraunes Haar endete in kühl lilafarbenen Spitzen knapp unter ihren Schulterblättern. Oben in ihrem rechten Ohr glitzerte ein Piercing in der selben Farbe wie ihre Haarspitzen.

„Entschuldigen Sie!", riss mich die blonde Kellnerin aus den Gedanken und wedelte mit einem Lappen vor meiner Nase herum. Ich schüttelte kurz verwirrt den Kopf. „Oh... äh... ja... also... ähm... vielen Dank.", stammelte ich immer noch leicht irritiert, nahm das Tuch entgegen und sah zu wie der Kakao davon aufgesogen wurde.  Als ich fertig war alles aufzuwischen und der freundlichen Mitarbeiterin das Tuch zurückgebracht hatte, zerriss ein herzliches Lachen erneut die Stille im Café. Ich blickte mich suchend um. Ein Grinsen stahl sich auf mein Gesicht, während ich die Person, welche genauso lauthals lachte wie zu vor, entdeckte. Es war die gute, alte Mrs. Brewer! Sie saß schnatternd und tratschend mit ihren vier Freundinnen an ihrem Stammtisch. Die fünf Damen kamen jeden Dienstag und Donnerstag ins Café Mozart um sich in ihrem lang bestehenden Club zu treffen, welcher oft den Namen wechselte. Momentan waren sie der „Club der Scheintoten". Bei der erstmaligen Erwähnung dieses Namens war ich total entsetzt gewesen. Mrs. Brewer hatte es mir kichernd erklärt, dass ihre Freundinnen und sie fanden die Ironie daran amüsant. Wirklich verstehen tat ich es nicht, aber es war ihre Sache. Somit hatte ich dies mit einem Schulterzucken hingenommen. Trotz diesen konfusen Clubnamens waren es fünf lustige, aufgeweckte älter Damen. Ich hatte mir angewöhnt mich jeden Dienstag zu ihnen zu setzen und mich über meine momentane Lektüre zu diskutieren.

Ein leise Fluch ließ mich zum wiederholtem Mal aufschauen. Es war das Mädchen mit den lila Haarspitzen! In dem Moment, indem ich sie anblickte, schlug das Mädchen sich den Kopf an der Tischkante an. Von meiner Position aus konnte ich ihre Tränen in ihren Augen glitzern sehen, die sie sichtlich mit Mühe zurückhielt. Ich stand auf, nahm sowohl mein Buch als auch meine Tasse und trat zögernd zu ihr an den Tisch. Mit Bedacht legte ich meine Sachen auf die polierte Tischplatte. Das Mädchen schaute zu mir auf. Eine vereinsamte Träne kullerte ihre Wange hinunter. Nicht mehr. Nur diese eine einzige Träne! Sie läuft über ihre leicht gerötete Wangen. Ich streckte ihr leicht zitternd meine Hand entgegen. „Olly.", stellte ich zurückhaltend und kurz angebunden vor. Tapfer rang sich das Mädchen ein Lächeln ab. Sie schob langsam von ihren Stuhl nach hinten, erhob sich und ergriff meine weiterhin ausgestreckte Hand. „Ich bin Qila!"

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