Kapitel 1

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1987:

Mit den rotstichigen Haaren im Wind wehend rannte Trina die Straße entlang. Sie musste sich beeilen, da sie bereits zu spät zur Schule kommen würde. Natürlich war es vielen Schülern egal ob sie pünktlich oder mit Verspätung in der Schule eintrafen, doch bei Trina war es anders. Sie mochte es nicht sich zu verspäten, da sie bis zu diesem Tag immer auf die Minute genau zum Unterricht erschien. Sie war mitunter die Einzige ihrer Klasse, die immer zuverlässig war. Außerdem wurde sie regelmäßig von ihrem Vater ermahnt den Unterricht zur angegebenen Uhrzeit zu besuchen. Trina tat dies auch stets, da sie ihn nicht enttäuschen wollte. Außerdem wollte sie, auch wenn dies nur einen kleinen Beitrag dazu darstellte, immer ein gutes Licht auf ihren Vater werfen. Ihm gehörte die Metallfabrik der Stadt. Dies sorgte dafür, dass auf seinen Schultern eine große Verantwortung lag, denn er versorgte gut die Hälfte der Bewohner der kleinen Stadt mit Arbeit. Ohne Trinas Vater würde vermutlich der halbe Ort in Armut leben. Zwar hatten die benachbarten Städte mehr als genug Geld, doch Hillington musste von Anfang an allein aufsteigen und erhielt nur selten Hilfe von den umliegenden Orten. Und die Skimsonfabrik sorgte durch die Produktexporte für den Aufbau der Stadt. Dass das Örtchen ein Einzelgänger war verursachte auch, dass der technische Fortschritt dort nur sehr zäh voran kam.
Doch diese Geschichten hatte Trina bisher nur allzu oft von ihren Eltern gehört. Sie wusste, dass ihre Familie so zusagen der Hauptversorger der Stadt war. Und darauf war sie stolz.
Schwer atment hielt sie schließlich vor der Haupttür des Schulgebäudes an. Trina versuchte ihren Atem wenigstens halbwegs zu beruhigen, als sie kurz darauf das Gebäude betrat und sich zum Klassenzimmer begab. Sie öffnete die Holztür woraufhin sie von ihrem Klassenleiter mit überraschter Miene angeschaut wurde.
"Trina. Du bist zu spät.", sagte der Mann.
"Es tut mir sehr leid Herr Miller. Es kommt bestimmt nicht wieder vor."
"Das ist doch kein Problem. Schließlich bist du doch sonst immer pünktlich. Setz dich bitte."
Trina gehorchte und setzte sich auf ihren Platz. Sie saß allein an dem Zweipersonentisch. Die traurige Wahrheit war, dass Trina so gut wie gar keine Freunde hatte. Das lag in erster Linie nicht mal daran, dass sie unhöflich oder gemein gewesen wäre. Nein. Das Problem war der Besitz der Fabrik. Während ihr Vater stets Lob und freundliche Gesten empfangen durfte, erhielt Trina nur den Neid ihrer Klassenkameraden. Viele dachten, dass sie sich für etwas besseres halten würde, was dazu führte, dass nur wenige Leute etwas mit ihr zu tun haben wollten. Jedenfalls die Kinder in ihrem Alter. Von den Erwachsenen wurde sie stets mit Respekt behandelt, da sie als Einzelkind später die Fabrik als auch die Mitarbeiter übernehmen würde. Kurz gesagt: Die Zukunft der Stadt lag in ihren Händen.
"Trina?"
"Was?", sie erwachte aus ihren Gedanken.
"Sag mir bitte die Lösung.", bat Mr. Miller.
"Ich...ich weiß es nicht. Ich habe nicht aufgepasst.", stotterte Trina.
"Was ist denn heute nur los mit dir? Du bist doch sonst immer bei der Sache."
"Ich weiß es nicht. Entschuldigung."
"Naja, wie auch immer...". ,Mr. Miller fuhr den Unterricht fort und der Tag nahm weiter seinen Lauf.
Nachdem der Unterricht beendet war trottete Trina die Treppen des Hauptganges hinunter. Die anderen Kinder stürmten an ihr vorbei.
"Endlich Freitag!", riefen einige.
Sie kam vor der Eingangstür an als jemand ihren Namen rief. Sie drehte sich um und suchte nach der Quelle der Stimme. Trina erkannte die Schulsekretärin Veronica Ree.
"Mrs. Ree."
"Trina ich habe gerade einen Anruf von deinem Vater erhalten. Er wollte dich nur wissen lassen, dass du nach der Schule in die Fabrik gehen sollst und nicht nach Hause.", sagte die Frau.
"Oh. Okay ich werds mir merken.", bestätigte Trina.
"Sehr gut. Na dann wünsch ich dir mal ein schönes Wochenende."
"Danke Mrs. Ree. Ich ihnen auch."
Somit war das Gespräch beendet und das Mädchen verließ das Gebäude.

Nach zirka 20 Minuten kam Trina in der Fabrik ihres Vaters an. Jedoch wurde sie zunächst nicht wahr genommen, da alle Mitarbeiter auf Hochtouren arbeiteten. Trina sah sich nach ihrem Vater um, doch schon nach einem kurzen Moment wurde ihr bewusst, dass er wohl kaum in diesem Gewusel zu finden sein würde. Also stieg sie die große Gittertreppe hinauf in den ersten Stock. Sie lief ein Stück über den Flur und bog dann nach rechts durch eine Doppeltür in den Privatbereich des Gebäudes ein.
"Einen Moment! Das ist ein privater Bereich Sie dürfen hier ni... oh. Trina. Du bist es.", die Sekretärin ihres Vaters hielt kurz inne.
"Ich dachte du wärst jemand anderes."
"Schon in Ordnung. Ist Papa in seinem Büro?", fragte Trina Lea. Sie war eine recht große Frau mit blasser Haut und schwarzen Haaren. So merkwürdig es klang aber manchmal erinnerte Lea Trina an Schneewittchen.
"Ja ich denke er sollte da sein." Lea lächelte gezwungen. In ihren Augen lag definitiv Traurigkeit und eine Spur von Mitleid.
"Lea, ist alles in Ordnung? Geht es dir nicht gut?", fragte Trina besorgt.
"Dein Vater wartet auf dich. Du solltest gehen.", meinte Lea und dann drehte sie sich um und verschwand wieder im Pausenraum in dem sie begann mit unserem Hausmeister Herbert zu reden.
Etwas verwirrt ging Trina weiter den Gang entlang. Auf ihrem Weg kam sie unter anderem am Lagerraum und am Raum in dem sich die ganze Elektronik befand vorbei. Schlussendlich stoppte sie an einer eleganten schwarzen Holztür. Sie klopfte. Nach einem kurzen Augenblick öffnete ihr Vater ihr die Tür.
"Komm rein.", auch Trina's Vater hatte diese merkwürdige Art an sich, die auch Lea schon hatte. Irgendetwas sagte Trina, dass sie bald erfahren würde wieso. Und sie hatte ein mulmiges Gefühl im Bauch.
"Papa? Was ist los? Bist du traurig?", Trina sah ihren Vater besorgt an. Ihr Vater erschauderte kurz und fiel Trina kurz darauf um den Hals.
"Papa? Was ist los?", wiederholte Trina ihre Frage erneut.
In Henri's Augen glitzerten die Tränen.
"Es geht um Mama."
Trina's Augen verdunkelten sich.
"Hör zu. Mama hatte einen Autounfall." Trina konnte nicht glauben was ihr Vater ihr da gerade erzählt hatte.
"Ist Mama... geht's ihr gut?", fragte Trina.
Henri drehte sich kurz von seiner Tochter weg und atmete tief ein. Dann sah er sie wieder an.
"Sie lebt. Mama ist in Worthington im Krankenhaus. Sie liegt im Koma."
Trina schluckte schwer. Jetzt kullerte ihr eine Träne die Wange hinunter.
"Trina, ich will dich nicht anlügen. Die Ärzte geben Mama eine zehn prozentige Chance, dass sie es schafft. Es ist noch nix verloren. Aber ich möchte ehrlich zu dir sein. Es sieht nicht gut aus.", nun hielt auch Trina's Vater nichts mehr zurück. Die Tränen strömten ihm über die Wangen.
"Trina es tut mir so leid."
Das Mädchen stand wie versteinert da und starrte ihren Vater ungläubig an. Ihre Augen waren gerötet. Dann, plötzlich und ohne Vorwarnung löste sie sich von ihrem Vater und stürmte durch die schwarze Tür. Sie rannte den langen Flur entlang und taumelte um die Ecke. Sie verlor ihr Gleichgewicht und stolperte. Sie fing sich gerade so ab und lief so schnell sie konnte weiter. Sie wollte nur noch raus hier. Raus aus dieser Fabrik. Raus an die Luft, in die Natur. Irgendwo hin, wo sie allein sein konnte und wo ihr niemand in die Quere kam. Ihr Blick war verschwommen und so kam es, dass Trina erneut das Gleichgewicht verlor und die erste Treppenstufe verfehlte. Sie spürte wie es ihr die Beine wegzog und stürzte die Treppen hinab. Das letzte was sie sah war ein langer Metallbalken, der unmittelbar vor ihrem Gesicht auftauchte...

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