Kapitel 1

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Es ist dunkel. Die einzelnen Regentropfen glitzern im schwachen Schein der Laternen, bevor sie auf den Boden fallen und zerplatzen.
Die Pflastersteine sind gefährlich rutschig und spiegeln das gelbliche Licht wider. Dichter Nebel schleicht schwerfällig über die unebene Straße.
Trotz des Windes kann man das unregelmäßige ängstliche Atmen eines jungen Mädchens hören. Es ist in einen dicken Umhang mit großer breiter Kapuze gekleidet, der sie vor der Kälte der Nacht zu schützen vermag. Nur leicht ist ihr blasses Gesicht zu erkennen, der Rest wird von dem Stoff der Kapuze verschluckt. Der immer stärker werdende Wind peitscht ihr lautstark um die Ohren, es scheint, als würden helle Stimmen schreien. Die Regentropfen fühlen sich an wie kleine Klingen, die von dem Sturm in ihre Richtung getrieben werden.
Das Wetter verschlechtert sich zunehmend, doch sie steht nur starr auf der Mitte des verlassenen Marktplatzes. Büsche und Bäume biegen sich unter der Last des Windes, der bedrohliche Nebel umhüllt die zarte Figur. Aus der Ferne schreien vereinzelt Krähen, als sähen sie schreckliches Leid.
Kirchenglocken.
Mit einem Mal ertönen laute Schläge der Glocken, die Kirche muss also ganz in der Nähe sein. Das Mädchen schaut sich angsterfüllt in der Dunkelheit um. Dann, plötzlich, beginnt sie zu rennen. Mit gesenktem Haupt und zitterndem Leib durchbricht sie die Nebelwand. Durch jeden der hastigen Schritte wirbelt sie verschmutztes Regenwasser von der Straße auf. Ferner ist ein lautes Donnergrollen zu hören, welches sich mit den vertrauten Glockenschlägen ein bedrohliches Duett liefert. Es kommt rasch näher.
Sie wird langsamer, bleibt in einer kleinen Gasse stehen. Hier gibt es keine Laternen, lediglich eine kleine flackernde Öllampe an einer Hauswand spendet schäbiges Licht. Ihr Brustkorb hebt und senkt sich, sie ist völlig außer Atem. Sie wirft den Kopf in den Nacken, schließt die Augen und holt tief Luft. Nun erst wird sichtbar, dass sie sich an ein silbernes Kreuz klammert, scheinbar eine Halskette. Sie presst sie gegen ihre Brust und flüstert verzweifelt ein Gebet. Mit jedem Wort stößt sie Nebel aus beim Atmen. Die Kälte. Sie bringt sie noch um. Schatten tanzen auf ihrem von der Angst gezeichnetem Gesicht, eine Träne rollt über die blasse Wange. Ihre Stimme ist brüchig, sie versucht angestrengt, ein Schluchzen zu unterdrücken. Auf einmal nimmt sie die Hand herunter und ihr Blick fällt dabei zufällig auf eine Kirche hinter einer Reihe von alten Fachwerkhäusern. Die Umrisse werden durch einen grellen Blitz deutlicher. Der hohe spitze Turm ragt gefährlich in die Höhe und doch verspricht er Rettung. Hoffnung blitzt in den Augen des Mädchens auf. Sie vergräbt rasch die Hände in den Tasche ihres Umhangs und lässt den Blick auf den Boden sinken. Eine große braune Pfütze hat sich in den unebenen Steinen der alten Straße gebildet. Man erkennt im Spiegelbild ihre verschwommene Silhouette sowie ihre besorgten und doch so kalten Augen.     
Ein Donnergrollen. Es blitzt. Im hellen Licht ist im Wasser der Umriss einer verhüllten Gestalt zu erkennen. Das Mädchen schreckt zusammen und dreht sich schlagartig um.
Doch hinter ihr flüchtet nur eine einsame Ratte in die Dunkelheit. Panik macht sich in ihr breit, ihre Hände zittern. Sieht sie schon Gespenster?
Wimmernd drückt sie ihren Körper gegen die Hauswand in eine Ecke, welche das Licht nicht erreicht. Die Kälte ist trotz des dicken Stoffes des Umhanges unangenehm zu spüren und kriecht ihr durch den ganzen Körper. Verzweifelt klammert sich das Mädchen an das Kreuz in ihren eisigen Händen. "Deus..." Das Gewitter zieht langsam weiter, doch der Wind pfeift weiterhin laut und fühlt sich an wie eine kalte Klinge, die sich durch den ganzen Körper zieht.
"Manere mecum..."
Hufgeklapper. Mindestens zwei Pferde. Sie kommen näher.
Das einsame Mädchen drückt sich ängstlich gegen das kalte Gestein, doch dies bringt nicht viel. Die Pferde kommen immer näher. Das aggressive Stampfen der Hufe wird von einem metallischen Geräusch begleitet.
Schwerter, Morgensterne.
Nein.
Sensen.
Man spürt förmlich den Tod auf hohem Ross kommen. Man riecht das Blut auf der scharfen Klinge kleben. Wer ihm begegnet, kommt nicht mehr davon.
Drei.
Die Geräusche hallen lauter in den engen Gassen.
Zwei.
Die Flüchtige wird wie durch eine unsichtbare Hand gegen die harte Hauswand gedrückt. Ihre Kehle schnürt sich zu, sie bekommt fast keine Luft mehr. Panisch ringt sie nach Atem.
Eins.
Sie sind da. 

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⏰ Last updated: Apr 26, 2018 ⏰

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