Krank

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Ich stand vor meinem Fenster und sah auf die Straße. Ein rotes Auto fuhr an meiner Wohnung vorbei. Wohin es wohl wollte? Es hatte einzelne Schmutzflecken auf dem roten Lack, aber sonst sah es ganz neu aus. Vielleicht wollte die Fahrerin in die nächste Stadt? Oder sie wollte in die Ferien fahren? Eine Stunde machte ich mir Gedanken über das rote Auto und seine Fahrerin. Auf der Straße, konnte ich das rote Auto noch leicht sehen. Nach dieser Stunde bewegte ich meinen Kopf in Richtung Uhr und merkte, dass ich in die neue Schule musste. Ich war hier neu her gezogen. Besser gesagt, mein bester Kumpel in Australien, hat mir geholfen aus dem Heim zu kommen und auf eine neue Schule zu gehen. Er konnte leider nicht hier her ziehen, weil er im Gefängnis saß und ist nun nur jeden Nachmittag unter freiem Himmel zu sehen. Ich schluckte. Natürlich vermisste ich ihn. Jedenfalls, weil er die einzige Person war, mit der ich reden, ihn anfassen und ihm in die Augen sehen konnte. Es tat weh. Alleine in einer großen Stadt zwischen normalen Menschen zu sein, die dich nicht verstehen, die denken du bist gestört, gewalttätig, gefährlich. Ich bin eigentlich das Gegenteil. Ich bin alles andere als Gefährlich. Gestört. Oder...- Okay, manchmal konnte ich gewalttätig werden, aber auch nur, wenn ich diese Momente hatte. Diese Momente, in denen ich mich nicht unter Kontrolle habe. Ich einfach Ferngesteuert bin. Von jemand anderem. Aber nicht von mir. Ich löste meinen Blick von der Uhr und steuerte auf die Tür meiner Wohnung zu. Davor schnappte ich mir meinen Rucksack und schloss hinter der Tür diese zu. Ich musste mich erst mal daran gewöhnen, einen Aufzug zu haben. Sonst waren mir Treppen lieber. Aber das ging im 13. Stock etwas schlecht. Es dauerte Jedenfalls etwas länger. Ich drückte auf den roten Pfeil und starrte die graue Tür an. Mit den Fingern fuhr ich das eingravierte Muster nach. Das ging etwa dreißig Sekunden, die bei mir wie eine halbe Stunde vor kam. Die Türe öffnete sich und ich sah in zwei blaue Augen. Eine Weile verging bis das Mädchen sich räusperte und mich aus der Starre holte. Mit einem Ruck stand ich im Aufzug und stellte mich in die Ecke weit entfernt von dem Mädchen. Verwirrt sah sie mich an und drückte auf einen Knopf mit der Aufschrift EG. Erdgeschoss. Was fällt mir dazu ein? Das ich viel lieber eine Wohnung im Erdgeschoss gehabt hätte? Inder ich aus dem Fenster springen kann, wenn etwas passiert? Nach dem Sprung aus dem 13. Stock wäre ich wohl tot. Was fällt mir zu dem Tod ein? Schmerzen. Pure Schmerzen. Ich kenne niemanden der kein Leben ohne Schmerzen hat. Liegt vielleicht auch daran, dass ich außer Louis niemanden kenne. Louis... Was würde ich tun um bei ihm zu sein. Bei dem einzigen... In meinem Leben, dem ich jemals vertrauen konnte und kann. Ich fing an meine Fingerknochen knacken zu lassen und sah auf die weißen Stellen die meine Finger hinterließen. Mein Mittelfinger knackte am lautesten, worauf das Mädchen laut einatmete und zusammen zuckte. Mit großen Augen sah ich sie an. Seit wann war sie hier? Konnte sie Gedanken lesen? Wenn ja, sollte sie es sein lassen. Ich wurde nervös von ihren Blicken und strich mir einmal durch die Haare.Anschließend verfrachtete ich meine zitternden Hände in meiner Hosentasche. Diesen Vorgang wiederholte ich dreimal bis sich die große Stahltür die ich nun genau in diesem Moment Sarah taufte, meine Ex, öffnete und das Mädchen heraustrat, aber nicht ohne mir noch einmal einen verwirrten Blick zu zuwerfen. Ich konnte mir denken was sie dachte: Gestört, Psychopath, der gehört in die Anstalt. Ja, vielleicht tat ich da ja, aber solange ich nichts verbotenes tat, sah ich nicht ein, eingesperrt zu werden. Das war ich schon Jahre zuvor. Mein Muskel in der rechten Gesichtshälfte fing an zu pochen und ich fluchte. ' Verdammte Hure!', schrie ich ihr hinterher. Das Mädchen drehte sich um und sah mir ängstlich in die Augen. Ich war wütend. Auf alles. Alles. Einfach Alles! Ich kickte gegen * Sarah* und stieg nun auch aus dem Aufzug. Auf dem Weg zu der U- Bahn, knackte ich wieder meine Fingerknochen und räusperte mich dreimal. Niemand wusste warum ich so war wie ich war. Was ich hatte, wusste ich nicht. Nur eines wusste ich, ich war nicht schuld. Ich war nicht Schuld daran verdammt! Es waren sie. Und ich hasste sie dafür. Sie konnten es nicht lassen. Sie hätten sterben sollen. Dann wäre ich nicht so und das was ich heute bin.

An der U- Bahn angekommen, löste ich eine Fahrkarte. Meine zitterigen Finger vertippten sich auf dem großen Touchscreen ein paar mal aber nach einer Weile hatte ich es geschafft. Genau vor meiner Nase hielt sie. Sie hupte einmal und ich wurde zurück gezogen. Wie in Zeitlupe drehte ich mich um und sah in die Augen von dem Mädchen. Sie sah mich ängstlich aber auch stark an. ' Du musst aufpassen, die weiße Linie darf nicht übertreten werden'. Lehrte sie mich. Ich wurde wütend. Mir wurde so viel gelehrt, dass musste sie nicht in die Hand nehmen, das würden schon sie übernehmen. Außerdem erinnerte sie mich so verdammt an Sarah! Ich entriss mich ihrem Griff. Meine rechte Gesichtshälfte fing an zu pochen und zu zucken. ' Verpiss dich Schlampe!' schrie ich sie an. Viele Leute sahen mich an. Ich schluckte. So viele Menschen. Wie damals. Das Mädchen wurde von einem Passanten von mir weg gezogen und es wurde beruhigend auf sie eingeredet. Aber ihr Blick ruhte auf mir. Ich schluckte, blinzelte sechsmal und stieg dann ohne mich nochmal um zudrehen in die U- Bahn. Wenn das Mädchen mich bis jetzt noch nicht gehasst hat, dann mindestens jetzt. Mein Kopf ruhte an der Fensterbank und ich betrachtete das Plakat, dass oberhalb der Scheibe hing. Ein Mädchen mit blonden Haaren war abgebildet. Sie lächelte. Verdammt sie lächelte! Niemand sollte in meiner Gegenwart lächeln wenn ich es nicht tat!

An der Haltestelle,  an der ich aussteigen musste, stiegen nicht viele weitere Menschen aus. Ohne auf meine Umgebung zu achten, lief ich in Richtung des großen Schulgebäudes das man schon von weitem sehen konnte. Die Schule sah nicht besonders neu aus. Hier und da plätterte der Stuck ab.

Jeder Pinselstrich hatte eine Bedeutung in dem großen Gemälde an der Eingangstür. Vielleicht hatte der eine Streit mit seinen Freunden, der andere Liebeskummer und einer gerade Freunde gefunden. Da wo die Farben ineinander trafen, kreuzten sich zwei Welten. Unterschiedlich wie keine andere sein konnte. Da gab es zum Beispiel einen lila Ton mit einem Hautfarbenen, vermischt lebten da sicher Elfen mit Einhörnern und rosa Zuckerwatte Wolken, Bäume aus Lakritze und Gras aus Zimtsternen. Ich wusste das dieser Gedanke krank war, insgesamt, meine Gedanken waren einfach krank. Man konnte es nicht ändern. Ich schluckte und drehte mich langsam um.  Plötzlich stieß ich gegen etwas hartes und ich sah verschwommen. Das passierte öfter mal,  störte mich aber nicht weiter. Nathürlich war ich mehr oder weniger bei Bewusstsein,  stand auch noch und meine Sinne außer eben sehen, funktionierten einwandfrei.  ' Shit', fluchte die Person mir gegenüber. Als ich meinen Blick senkte, entdeckte ich trotz der verschwommenen Sicht einen großen braunen Kaffefleck. Keineswegs auf meinen Kleidern, sondern auf den meines gegenüber. Der Kaffefleck gefiel mir, der Rand färbte sich dunkler als die Farbe innen, es roch nach Kaffee, was mir gefiel. Die Farbe braun sagte sehr viel aus... eben einfach nichts. Ein Zeichen der Gleichgültigkeit. Es ist nicht traurig und auch nicht fröhlich. Einfach neutral. Das gefiel mir. Ein neutrales leben... Ohne Strapazen. Ohne Angst. Misstrauen. Nur etwas Spannung vorhanden. Ich musste lächeln. Verdammt das gefiel mir!

Die Person vor mir war verschwunden und ich konnte wieder sehen. Ein Wunder. Halleluja!

Mit gesenktem Blick ging ich auf die Tür mit der Aufschrift * Sekretariat* zu. Ich klopfte. Der Ton hörte sich hohl an. Zu hohl,  für meinen Geschmack. Es sollte heller klingen, freundlicher, einladender,  aber wieso sollte ein klopfen, ein kleines Geräusch das mit der Hand verursacht wurde, fröhlich sein wenn das Leben scheußlich war? Ein rufen des Hereinkommens weckte mich aus der Starre. Langsam öffnete ich die Türe und trat in den ehr schlicht gehaltenen Raum herein. Schlicht, aber modern.

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