Das Mädchen

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'Sie müssen der neue sein?', fragte eine sehr bunt gekleidete alte Dame. Sie erinnerte ein wenig an eine Vogelscheuche. Ein Ding, was wie ein Vogelnest aussah, wuchert auf ihrem Kopf. Waren das Haare oder war das ein Hut? Ich beobachtete ihren Kopf genauestens während sie auf mich einredete. Ich schwieg. ' Hier ist der Stundenplan, sie haben jetzt Kunst', sie reichte mir einen Stundenplan und zischte wieder hinter den Schreibtisch. Ich ihr hinterher. Mit einem Blick, der soviel wie * du kannst gehen* hieß blickte sie mich hinter dem Computer an. Nickend verließ ich den Raum. Mit zitternden Fingern drückte ich die Klinke runter um wieder auf den Gang zu kommen. Er war lehr. Lehr wie das nichts. Das nichts das auf alle zukommen würden. Auf alle. Ich musste in den Raum 106. War das ein gutes Zeichen? Eine gute Zahl? Meine Schritte hallten in den verlassenen und teils dunklen Gängen. Mein Schatten fiel vor mich. Es war still.

Die Türe hatte die selbe braune Farbe wie der Kaffefleck. Braun. Eine beruhigende Farbe. Kurz schloss ich meine Augen und dachte nach. Wie war es in eine andere Klasse zu kommen? Dachten sie auch,  ich sei gestört? Vielleicht krank, aber nicht gestört. Ich wollte nicht zu denen gehören die Nachts draußen betrunken rum schrien oder Amog liefen. Ich wollte einfach ich sein. Sein und bleiben. Meine rechte Hand umschloss den kalten Türgriff. Meine linke ballte sich zur Faust um zu klopfen. Wieder machte dieses klopfen eine traurige Stimmung aus. Eine hohle. Eine dunkle Stimme ertönte und bat mich herein. Ich drückte zu und setzte einen Fuß neben den bekritzelten Türrahmen. ' Kommen Sie herein,  Sie müssen der neue sein', ein alter Mann kam herein. Oh nein, er war keinesfalls dick, ehr dürr und klapprig. Sein Aussehen war nicht besonders Appetitlich. Auf seinen fettigen wenigen und auf die Seite gekämmten Haare wuselte es nur so von Schuppen. Aus seiner Nase wucherte ein ganzes Gebüsch und sein Anzug war verkleckert. Ich schluckte um meinen Würgreiz zu unterbrechen. Als Antwort Geste nickte ich und lief auf einen einzigen freien Platz zu. Aufmerksamkeit lag auf mir. Ich wurde nervös. Das konnte nicht gut ausgehen. Meine Muskeln zuckten. Ich blinzelte. ' Was schaut ihr alle so behindert? ', brüllte ich den Jungen der vor meinem Platz saß an, er beobachtet mich in allen Einzelheiten. Der Lehrer bat um Ruhe. Ich schaltete ab. Meine Gedanken wurden unterbrochen, als es an der Tür klopfte. ' Ja?', brummte der Lehrer genervt und sah dem Mädchen in die Augen das hinein trat. Es war das Mädchen. Kein Besonders wie Sarah es war...Sondern das Mädchen von vorhin. Verwirrt und ängstlich sah sie mich an und setzte sich neben mich. Ich schwieg. Den restlichen Unterricht ignorierte ich gekonnt. Auch die nächsten zwei Stunden. Wenn ich über nichts nach dachte, an nichts dachte und mich einfach auf mich selbst konzentriere, bekam ich keine Anfälle. Nichts. Was ist das? Konnte man * nichts* auch besser beschreiben? Nein. Eigentlich nicht. Nichts ist nichts. Wenn man über das * nichts* nachdachte, fiel einem ein, dass man wenn man über * nichts* nachdachte,  an nichts dachte und wenn man dachte, kam man nichts besonderes raus. Ziemlich verwirrt, aber über so etwas dachte ich nach und machte mir Gedanken darüber wenn ich mich beruhigen musste. Und das, die ganze Zeit. ' Jetzt holt ihr euch bitte alle ein Blatt und zeichnet irgendwas was euch gefällt, das gibt eine Note', der Lehrer klopfte auf den Tisch um die Aufmerksamkeit zu bekommen was auch funktionierte. Langsam stand ich auf und lief schlurfend nach forne um mir einen Farbmalkasten zu holen. Mit ihm und einem Glas mit Leitungswasser, zum Pinsel auswaschen, lief ich auf meinen Platz zurück. Während dem laufen, beobachtete ich das Wasser wie es hin und her schwappte. Bis ich sozusagen auf harten Grund lief und das Wasser nun ganz aus dem Glas schwappte. ' Och ne', stieß jemand aus und mein Blick glitt nach oben. Das Mädchen stand da und sah mich wütend an. ' Sag mal geht's noch? Wieso schüttest du mir dauernd alles an?!', ihr Kopf war rot vor Wut. Ohne über ihre Worte nachzudenken schwieg ich. Wieso?, das fragte ich mich auch manchmal. Nur fand weder ich noch sie die Antwort. Ich war nunmal einfach so. Mit neutralem Blick drehte ich mich um und ging auf meinen Platz zu.  Ihren Blick spürte ich noch auf mir. Das weiße Blatt schimmerte mir entgegen. Was sollte ich malen? Vielleicht... Nein. Oder vielleicht... nö. Oder...Ja! Meine Hand bewegte sich wie von selbst.

Es war schwarz. Dunkel, traurig. Eine Wand. Mit einem Fenster mit Gitter gesichert. Dann einen Jungen. Louis. Dünn, krank und einfach nur fertig. Er war an die Wand geketet. An Händen und Füßen. Dann malte ich mich. Auf eine Liege gefesselt.

Und dann sie. Wie sie Louis weg geschleppten. Ich hatte geweint. Und wie. Sie mussten mir Drogen geben um mich zu beruhigen. Selbst das hatte nichts geholfen.

Ich wurde dank einen piksen auf meiner Schulter aus meinen Gedanken und somit auch aus meiner Vergangenheit gerissen. Mein Kopf schnellte in die Richtung des Verursachers. Das Mädchen saß neben mir und blickte mein Bild interessiert an. ' Wer ist das?', fragte sie und deutete auf Louis und dann auf mich. Ich schwieg. Wieso sollte ich antworten? Wieso redeten wenn wir eh nur logen?, wieso hörten wir wenn es eh nur böses ist?, wieso sahen wir wenn wie es nicht sehen sollten und es trotzdem taten? , wieso gingen wir wenn wir Autos hatten? , wieso fragten wir wieso wenn es keine Antworten gab? Es passierte mir manchmal dass ich mich in meinen eigenen Gedanken verfing. ' Hör zu es tur mir leid okay?, ich hätte dich nicht anschreien dürfen, aber ich seh es nicht ein von dir jetzt ignoriert zu werden', sie sah in meine Augen. Ihre Worte schallten in meinen Ohren. Wieso sollte ich es ihr sagen? ich kannte sie nicht und noch schlimmer sie kannte mich nicht. ' Ist das deine Familie? ', fragend sah sie mich an. Ja. Das war er. Louis war meine Familie. Nur wusste es niemand außer er. Er war drei Jahre älter als ich gewesen. Für ihn war ich immer der kleine. Sein Sohn. Sein Bruder, den er beschützen müsste, sein Freund,'für den er da sein müsste und wie schon gesagt sein Sohn, den er für immer lieben würde. Ich schluckte. Er hatte immer mehr gelitten als ich. Körperlich. Nicht seelisch. Seelisch hatte ich mehrere folgen getragen und tue es immer noch. Nur konnte ich es ihm nie sagen, wie viel er mir bedeutete. Ich liebte ihn, wie meinen Bruder, wie meinen Vater und wie man einen guten Freund eben lieben sollte. Ich konnte mich nie bei ihm bedanken,  dass er für mich ins Gefängnis gegangen war, für mich fast gestorben wäre. Würde ich ihn jemals wieder sehen? ' Verdammt noch mal rede mit mir', zischte das Mädchen und nahm mir das Bild weg das ich in der Hand hielt. Verträumt sah ich dem Bild nach. Dann in ihr wütendes Gesicht. Mir wurde alles zu viel. Schnell nahm ich meine Tasche und verließ fluchend den Raum. ' Fotze, vverdammmttee Huure', ich schlug die Türe zu und rannte aus dem Schulhaus. Mir war egal ob  ich eigentlich Schule hätte. Ich musste einfach da weg. Bevor ich mich noch ganz verlor. 

Auf dem Weg zur U- Bahn war ich so wütend, dass ich mir meine Arme aufkratzte. Ich redete mit mir selber und fluchte ein paar mal. Das waren diese Momente. Diese Momente, in denen ich mich selber verlor. In denen, ich alles kurz und klein schlagen will, in denen ich ein Monster bin.

An den Gleisen der U- Bahn angekommen, setzte ich mich auf einer der Bänke und versuchte mich zu beruhigen. Ich vergrub meine rechte Hand in meiner Hosentasche und kniff in den Stoff hinein. Irgendwas musste es doch geben was mich beruhigte! Langsam atmete ich ein und aus. Ein und aus. Viele verwirrten Blicke trafen mich. Ich ignorierte sie.

Quietschend blieb die U- Bahn vor mir stehen und ich stand auf. Etwas zu schnell, denn mir wurde schwindelig. Ich nahm meinen Rucksack und schulterte ihn. erstaunlich viele stiegen in die U- Bahn ein. Also würde es ja nicht auffallen, wenn ich schwarz- fahren würde. Nur dieses eine mal! Die Menschenmassen waren mir eindeutig zu groß. Es roch nach Schweiß und nach Knoblauch. Nicht zu vergessen die stinkenden Socken von dem Typen der neben mir die Stange umklammerte. Es gab verschiedene Arten von Schweiß- Geruch. Einmal, wenn man Sport gemacht hat. Es ist einigermaßen angenehm, wenn man sieht das der Mensch Sport gemacht hat. Dann, wenn man sich nicht wäscht. ( Ich verzog bei den Gedanken das Gesicht) Stank man auch. Vielleicht nicht immer nach Schweiß, aber ähnlich. Bei diesem Gestank, setzten die Würgreflexe ein. Einfach nur ekelhaft. Natürlich gab es auch den Schweiß- Gestank, wenn es warm war und man schwitzte. Es konnte auch unangenehm werden, aber immer noch nicht so wie wenn man sich nicht wäscht. Hier, roch es nach allem. Schweiß, Essen und einfach nur... wie nannte man das wenn man sich nicht wusch? Roch es nach Schmutz? Ja genau. Das tat es. Ich rümpfte die Nase und hielt mich angeekelt an dem Sitz fest. Wer das wohl schon alles angefasst hatte? Schnell löste ich meinen Griff und lehnte mich dagegen.

Mit einem Ruck blieb die U- Bahn stehen, und ich stieg an der gewünschten Station aus. Endlich. Weg von den vielen Leuten. Mein Herzschlag verlangsamte sich wieder auf das noirmale Tempo und meine Hände trockneten wieder.

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