Le Mystère d'André

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Eigentlich hatte ich mich auf die Abschlussfahrt nach Paris gefreut. Jedoch waren wir jetzt schon zwei Tage hier, und einige Pläne waren aufgrund des Dauerregens buchstäblich ins Wasser gefallen. Zu allem Überfluss musste ich mein Zimmer auch noch mit Nina teilen, die an einer schlimmen Form der Verbal-Diarrhö litt und mir ohne Unterlass von ihrem neuen Freund erzählte, den sie seit der Abreise bereits gefühlte tausend Mal angerufen und ihm noch weitaus mehr SMS geschickt hatte, damit sie nicht Gefahr lief, er könne sie in der Zwischenzeit vergessen und sich einer anderen zuwenden. Dass sie jedoch selbst ständig davon redete, sie wolle die Unterwelt von Paris unsicher machen und einmal nachprüfen, was die französischen Männer so zu bieten hätten, schien sie dabei nicht sonderlich zu stören. Nina war auch sonst ein bisschen komisch, sozusagen der Klassenfreak, denn sie hatte teilweise recht eigentümliche Stylings, die oftmals an die frühen Achtzigerjahre erinnerten. Ein bisschen Neon hier, ein wenig Lack dort ... Hauptsache: grell und ausgeflippt!

"Sag mal, warst du eigentlich schon mal in einem Fetisch-Club?" Ich hob verdutzt den Kopf von meinem Buch und fragte irritiert: "Was?" Ich musste mich wohl verhört haben! "Guck doch nicht so grimmig! Ich habe ja nur gefragt. Also ich war schon zweimal in Berlin bei einer Freundin, die sich in dem Bereich gut auskennt. Die hatte vielleicht zwei kleine Kläffer, kann ich dir sagen! Keine halbe Stunde konnte sie die alleine lassen, ohne dass sie nicht die Bude auseinander genommen ... " Und sofort klinkte sich mein Kopf bei dem Heruntergeleiere alter Stories wieder aus. Ich konnte nichts dafür, es war mittlerweile zu einem automatischen Reflex meines Hirns geworden. Ein Rütteln an meiner Schulter brachte mich jedoch unwirsch wieder zurück in die "Nina-Realität". "Hallo?! Ich habe dich etwas gefragt! Aber du kommst ja eh nicht mit! Dabei bräuchte ich aber schon jemanden, der mich begleitet, weil ... ganz alleine in Paris und das nachts in so einer Location ..."

"Stopp den Wasserfall! Sag mir lieber, wovon du überhaupt sprichst!", unterbrach ich sie schroff. "Na, von dem Club!" Wie, wo, was, Club? Welcher Club? "Okay, von was für einem Club redest du? Und bitte versuch es mir in einem Satz zu erklären, ja?" Das war nicht sehr freundlich, allerdings hatte ich schon nach zwei Tagen dermaßen die Nase voll von der Flut an unnützen Informationen, die aus dieser Frau herausbrachen, dass ich glaubte, am Ende eines Anti-Aggressionstrainings zu bedürfen. Nina ließ sich davon aber nicht einschüchtern, sondern zuckte nur die Schultern und verdrehte die Augen genervt gen Zimmerdecke. "Na, der Fetisch-Club!"

"Sag mal, aber sonst geht es dir ..." Ich verstummte abrupt, während vor meinem geistigen Auge eine heilsame Idee Form annahm. "Hm, ja!", sagte ich deshalb knapp und grinste. Ich hätte nicht gedacht, Nina einmal so zu sehen, doch jetzt starrte sie mich mit offenem Mund tonlos an. "Was?", kam nach ein paar Sekunden stotternd aus ihrer Richtung.

"Du hast richtig gehört! Ich gehe mit dir in diesen komischen Schuppen, allerdings unter zwei Bedingungen." Ich wartete eigentlich auf Widerspruch, aber sie schaute mich nach wie vor gespannt an. "Gut, erstens werden wir zwar zusammen dorthin fahren und auch gemeinsam wieder heimkehren, aber sobald wir dort drin sind, will ich meine Ruhe vor dir - und zwar so, dass wir uns nicht mehr kennen, wenn wir durch die Tür gegangen sind, verstanden?" Nina nickte stumm und schluckte. Hätte ich ihr nicht schon vorher unzählige Male zu verstehen gegeben, dass ihr hohes Mitteilungsbedürfnis anderen auf die Nerven ging, so hätte ich beinahe Mitleid mit ihr bekommen. "Und was noch?" Das klang nun gar nicht mehr nach der hohen, aufgekratzten Stimme. "In Ordnung, dann kommen wir zu Punkt zwei. Du wirst eine Tauschpartnerin finden müssen, die mit dir das Zimmer tauscht. Wirklich Nina, nichts gegen dich persönlich, aber ich kann mir das einfach nicht länger antun, tut mir leid."

Wieder ein stummes Nicken. So langsam wurde mir die Stille zwischen uns allerdings selbst unangenehm, und so fügte ich noch ein wenig entschärfend hinzu: "Jetzt komm, zeig mir lieber mal, was ich anziehen soll!"

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