Es ist Abend. Fast schon Nacht. Der Himmel ist dunkel, aber nicht schwarz. Er lässt sich immernoch als blau bezeichnen, ein recht helles blau, beschienen mit dunklem Licht. Nein, eher die Abwesenscheit des ganzen Lichts. Als hätte die Dunkelheit einmal auf den Himmel ausgeatmet.
Die hauchdünnen, langen Wolken in einer Farbe, die sich nicht beschreiben lassen will. Leicht rötlich. Wie des zaghaften Sonnenuntergangs. Leich gräuchlich, bläulich, vieleicht auch ein Hauch lila oder rosarot. Ich kann es nicht beschreiben. Obwohl das Farbenbeschreiben eine oft angewante Tätigkeit von mir ist, und ich so auch Übung darin habe, schwierige Farben, Farbtöne, Farbhauche, zu beschreiben, fehlt mir hier das richtige Wort.
Die Landschaft dunkel. Der Wald besteht aus einem so dunklem grün, dass es für die meisten als schwarz hätte durchgehen können. Erst näher am Boden ist er tiefschwarz. So undurchdringlich. So schwarz.
Die Berge dunkel, lassen sich an manchen Stellen nicht vom Himmel unterscheiden. Der Nebel sitzt tief darüber.
Die Felder links und rechts so ruhig und grün, hüfthoch und weit. Das Getreidefeld verbreitet eine entspannende und beruhigende Atmosphäre und dämpft die Aufregungen des Tages.
Eine feine Briese, kaum wahrzunehmen. Wie der Odem des Waldes, der die Luft kaum abzukühlen traut.
Gelbe Lichter in der Ferne, auch auf dem Berg. Wie Hoffnungsschimmer in der immer dunkler werdenden Welt. Hoffnung, so hell und doch so fern.
Das Rauschen von vorbeifahrenden Fahrzeugen weit weg, doch zu nah um sie zu überhöhren. In der Abenddämmerung sind Geräusche wie dieser lauter, presenter als unter Tags. Auch Scheinwerferlicht der Fahrzeuge auf der Straße lassen sich wahrnehmen.
Der Umriss vierer schemenhaften Personen in einiger Entfernung, die nur sichtbar sind, wenn man von ihnen weiß.
Das Knirschen meiner Schritte auf dem lehmigen, erdigen Boden mit ein wenig Schotter. Das Rascheln meines Regenmantels, der bis zu meinen Kniekehlen reicht.
Die Stille.
Nein.
Die Ruhe.
Es ist nicht nur die Ruhe um mich herum, sondern auch die innere Ruhe, die das Bild und das Ende eine langen Tages verursacht. Eine innere Ruhe, die ich lange nicht mehr verspürt habe.
Und Zufriedenheit und einfache Wunschlosigkeit und das Gefühl von wahrem Glück.
All die Fehler, all die Fehltritte, all die Ängste, all die Sorgen so weit weg. In diesem Moment zählt nicht, was war und was noch sein und kommen wird. In diesem Moment zählt nur der Augenblick selbst, ohne seine Folgen oder die Augenblicke danach.
Ich laufe weiter. Schritt für Schritt. An einer Wiese vorbei bis der Weg sich direkt am Waldrand vorbeischlängelt. Das Laub über mir raschelt leise und die Luft ist hier wärmer und steht mehr.
Die vier Schatten verschwunden. Habe ich sie verloren?
Nein, das kann nicht sein. Sie werden bestimmt im nächsten Moment wieder auftauchen.Ich lasse meine Gedanken zum kommenden Tag schweifen und genieße währenddessen die frische kühle Luft.
In diesem Moment verspreche ich mir jeden Tag einen solchen Spaziergang zu unternehmen. Auch wenn ich eines Tage erwachsen sein werde und meinen eigenen Haushalt führen werde. Und ich verspreche mir auch, diesen Abend niemals zu vergessen. Doch bin ich mir bewusst, dass ich keines der Versprechen einhalten werde. So ist der Mensch nun einmal. Er gibt auf, er verändert, er verspricht.Ich laufe die Senke hinunter und spüre wie es Schritt für Schritt milder wird. Hier braucht es länger, bis der Atemhauch sich über dem Boden legt und mit der aufgewärmten Luft vermischt. Hier vergeht die Zeit langsamer. Träger. Wie ein öder, schwüler Tag.
Ich lenke meinen Blick nach oben und stelle fest, dass die Dunkelheit schneller vorangeschritten ist, als ich angenommen hatte. Abends geht alles so schnell. Das vergeht die Zeit schneller. Da rieselt die Zeit durch die Finger und man kann sie nicht aufhalten. Sie rieselt und rieselt bis sie fort ist. Zu den schönsten Zeiten vergeht sie am Schnellsten und lässt einen nur noch in Erinnerungen schwelgen umd mit ihnen zurück.
Nun geht es eine Anhöhe hinauf. Mit jedem Schritt kann ich tiefer Luft holen und nicht nur mit der Lunge atmen, sondern mit meinem ganzen Geist.
Ein Windhauch weht über alles hinweg. Lässt meine Haare flattern, die Blätter rascheln, das Getreide wiegen. Ich schließe meine Augen und ein Lächeln huscht über meine Lippen.
In diesem Moment fühlte ich mich einfach ... frei. Ich spüre die Freiheit, wie sie durch mich hindurch strömt und alles leicht macht. So leicht. Als könnte ich im nächsten Moment davon fliegen. Mit dem Wind, der Dunkelheit, der Freiheit.
Ein Schritt. Noch ein Schritt. Ich öffne die Augen und finde mich auf der Anhöhe wieder. Ich kann nicht weit sehen, doch das macht nichts. Es geht um die Luft, die nun immer schneller kälter wird und immer reiner.
Auf einmal ist es komplett still. Keine Autos, die in der Ferne dahinrasen, kein Wind, kein nichts.
Es ist völlig still und ruhig.
Ich vergesse zu atmen und sehe einfach nur zum Horizont der so fern, und doch so nah zu sein scheint.
Da zerreißt ein Fahrzeug von der fernen Landstraße die Stille und alles setzt wieder ein. Der Wind, mein Atem...
Als hätte jemand die Zeit angehalten, das Leben pausiert, den Tag unterbrochen um den Moment, wenn auch nur kurz, voll auszukosten.
Ich atme durch den Mund aus und setzte meine Schritte fort. Ich biege um eine Kurve und langsam taucht ein Licht nach dem Anderen auf. Die Straßenlaternen des Dorfes strahlen ein warmes Licht aus und die Lichter aus dem Inneren der Häuser sind wie Hoffnungsschimmer. Nur diesmal sind sie nah und greifbar. Diese Hoffnung ist für mich.
Weiter vorn erblicke ich die vier Schatten die schon bald bei der ersten Straßenlaterne ankommen werden. Die Schatten verwandeln sich zu Personen mit farbiger Kleidung und lachenden Gesichtern.
Ja näher ich dem ganzen komme, desto mehr sehe ich von den hässlichen Häusern, die von den modernen Laternen beschienen werden.
Und willkommen zurück in den Alltag, der so dicht, kalt, undurchdringbar und hoffnungslos scheint, wie eine Betonplatte.
Willkommen zurück in der realen Welt!
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Abendstunden
Short StoryEin Mädchen geht spazieren und genießt die Abendstunden in vollen Zügen.