Kapitel 1: Brückenpfeiler

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Schweigend blickte ich auf das grünlich schimmernde Wasser hinab und beobachtete das Spiegelbild, das verschwommen über die Wasseroberfläche tänzelte. Meine langen, schwarzen Haare fielen glatt über die Schultern, sie reichten mir nun fast bis zur Hüfte. Die hellen Augen sahen träge und abwesend auf das tiefe Wasser unter mir. Langsam drehte ich meinen Kopf nach links, dann nach rechts. Ich sah zum fürchten aus, aber das war ich nunmal. Als tragisches Abbild eben jener Angst die wohl jeder Mensch in sich trug, fristete ich den Rest meines Lebens unverstanden und gefangen im Körper einer blassen, mageren sechzehnjährigen und mich würde, das war gewiss, sicher sehr bald ein tragisches Schicksal ereilen. Nun - das war zumindest die Vorstellung, die meine Mutter von mir hatte. Ich unterdrückte ein Lächeln beim Gedanken an ihren Hang zum melodramatischen und daran, wie mich stets bekrittelte und sich Mühe gab ja kein gutes Haar an mir zu lassen. Aber sie hatte recht, ich war ein blasser, magerer Teenager der seit langem vor sich hinlebte.

Ich starrte lange hinaus auf den See und las hin und wieder eine Seite aus dem Buch, das aufgeklappt vor mir auf dem Schoß lag. Der Tag zog sich schmerzend in die Länge und es schien eine halbe Ewigkeit vergangen zu sein, bis sich ein karmesinroter Schleier über die Berge legte und mein Spiegelbild langsam verblasste.

Es war September. Als ich mich heute Nachmittag ans Ufer des See gesetzt hatte, hatte die Sonne gestrahlt und trotzdem wehte ein kühler Wind, was mich dazu veranlasst hatte, meinen blauen Schal aus den Untiefen meines Schrankkoffers hervorzukramen und ihn schützend um meine Schultern zu legen. Es war bereits Abend, als ich mich auf den Weg hoch zur Schule machte. Wolken hatten sich vor den dunkelblauen mit roten Streifen durchzogenen Himmel geschoben und tauchten ihn in ein trübes grau. Es begann zu Regnen. Meine Haare klebten unangenehm in meinem Gesicht und mein Umhang schleifte über das nasse Gras, als ich mich unter die Überdachung der großen Brücke zwängte, die die Ländereien vom Schloss trennte. Sicherheitshalber holte meine Bücher hervor um nachzusehen, ob sie trocken geblieben waren, doch im nächsten Moment stieß mich jemand von hinten an und ich ließ sie auf den feuchten Holzboden fallen.

"Kannst du nicht aufpassen?", zischte eine tiefe Stimme.

Ich warf einen Blick über die Schulter. Dort standen Dolohow, Lestrange und Mulciber. Alle drei Slytherins und mit einem Grinsen im Gesicht. Ich seufzte als ich mich nach meinen Büchern bücken wollte, doch in diesem Moment schubste mich einer der drei erneut und ich fiel vornüber gebeugt wie schon meine Bücher auf das nasse Holz.

"Hey!", rief Lestrange. "Hast du keine Manieren? Entschuldige dich gefälligst."

Ich richtete mich auf, straffte leicht die Schultern und sagte mit heiserer Stimme: "Tut mir leid."

Das Grinsen der Jungen wurde breiter. Lestrange drückte mich zur Seite und bückte sich dann nach einem meiner Bücher am Boden.

"Typisch, Ravenclaw. Nur Streber und Neunmalkluge." Er betrachtete es einige Augenblicke gehässig und warf mir einen funkelnden, ja fast herausordernden Blick zu. Dann warf er das Buch mit einer Handbewegung von der Brücke. Ich sah noch, wie sich einige Seiten daraus lösten, als der starke Wind aus der Schlucht dagegen peitschte.

"Tut mir Leid." , versuchte er, meine Stimme zu miemen. "Nicht sehr zufriedenstellend, Ravenclaw." Betreten sah ich zu Boden. "Name?", fragte er dann schroff.

Ich dachte nicht eine Sekunde daran, ihm zu antworten. Dolohow und Mulciber gaben tadelnde Laute von sich. Auf ein Handzeichen Lestranges hin packten die beiden mich an den Armen und zerrten mich an den Rand der Brücke. Der Wind schlug mir beißend ins Gesicht und peitschte mir mein dunkles Haar entgegen. Als ich hinunter sah, wurde mir übel und ich spürte förmlich, wie mir der letzte Rest Farbe aus dem Gesicht wich. "Lasst mich los", schrie ich verzweifelt. Mein Ruf hallte von den großen Steinwänden wider, die den tiefen Graben unter der Brücke bildeten.

"Name", wiederholte Lestrange, etwas schärfer als zuvor und beugte sich von hinten nah an mein linkes Ohr. Meine Nackenhaare stellten sich auf und mein Körper verkrampfte sich.

"Eve." Meine Stimme klang noch immer heiser und merkwürdig gebrochen und es fiel mir schwer, das Getöse des Windes zu übertönen."Eve, und weiter?"

"E-Ebony."

Daraufhin schwieg Lestrange einige Sekunden. Dann packte er mit einer Hand meinen Umhang im Nacken und rief: "Dann will ich dir mal etwas sagen, Eve Ebony."

Seine Stimme klang amüsiert. "Du bekommst hier und jetzt die Chance auf einen Freiflugschein! Los!"

Er lachte kurz und freudlos auf, dann zog er seinen Zauberstab. Verzweifet versuchte ich mich zu befreien, doch es war hoffnungslos. "Lasst mich los! Bitte!", keuchte ich ängstlich. Meine Ohren dröhnten und mein Kopf schmerzte. Die Slytherins hingegen dachten nicht daran, im Gegenteil, ihr Lachen wurde lauter und Lestrange hob nun seinen Zauberstab und öffnete den Mund. Ich kniff Augen und Zähne zusammen und wartete auf den großen Knall. Doch dieser blieb wider Erwarten aus und so öffnete ich vorsichtig meine Augen und blickte verwundert hoch zu Lestrange, der mir den Rücken zugewandt hatte und offenbar mit jemandem sprach, den ich nicht sehen konnte. Ich nutze es aus, dass Dolohow und Mulciber von mir abgelassen hatten, und lehnte mich schwer atmend gegen das Geländer der Brücke.

"Ach komm!", hörte ich Dolohow sagen. "Wir haben doch nur ein wenig Spaß gemacht. Wir hätten sie nicht wirklich von der Brücke fliegen lassen. Was machst du so einen Aufstand?"

"Heb die Bücher auf", tönte eine kalte, schneidende Stimme. Eine Stimme die mir ungeheuer bekannt vorkam, doch ich war mir sicher, dass ich mich irrte. Ich hustete ein paar Mal und drehte mich dann zu den anderen um. Nur wenige Meter von mir entfernt stand der Mensch, von dem ich am wenigsten erwartet hätte, dass er mir auf dieser Brücke zur Hilfe kam. Tom Riddle - Vertrauensschüler der Slytherins, groß, schlank und gut aussehend stand im flackernden Licht der magischen Fackeln, die in Abständen die Pfeiler der Brücke flankierten. Dunkle Schatten fielen auf sein Gesicht und Oberkörper, ließen sein Profil beeindruckender wirken als es ohnehin schon war. Er trug einen dunklen Umhang und darauf schimmerte das silberne Abzeichen, dass ich nur zu gut von meiner Freundin Elizabeth kannte.

"Was soll ich?", fragte Lestrange ungläubig.

"Ich wiederhole mich ungern."

Lestrange schnaufte und blähte seine Nasenflügel auf, dann warf er mir einen verächtlichen Blick zu und bückte sich nach meinen Büchern. Während er das tat, wandte ich nicht einen Moment den Blick von Tom. Lestrange drückte mir meine Sachen unsanft in die Hände und wandte sich dann zum Gehen, doch die kühle Stimme Riddles kam ihm zuvor: "Und jetzt entschuldige dich."

Lestrange hielt inne und warf einen Blick über die Schulter. "Das ist nicht dein Ernst, Tom?"

Er antwortete nicht, starrte ihn nur mit seinen dunklen Augen an und mir lief ein Schauer über den Rücken, als ich die Kälte in seinem Blick sah. Es dauerte nicht lange, da trat der Slytherin vor mich und sprach mit zynischer, doch zugleich beschämter Miene: "Es tut mir leid, Ebony."

Nicht besonders einfallsreich, brannte es mir auf der Zunge, doch diese schien wie gelähmt und ich brachte keinen Ton heraus. Ich nickte mit leicht zusammengekniffenen Augen und hielt meine Bücher fest umklammert. Dann warf Lestrange einen letzten Blick auf Tom und verschwand mit Mulciber und Dolohow in der Dunkelheit. Ich sah ihnen einen Augenblick lang nach und wandte mich dann wieder in die andere Richtung. Sofort fiel mein Blick auf Riddle, der bereits kehrt und sich auf den Weg zurück ins Schloss gemacht hatte.

"D-danke.", rief ich ihm mit zittriger Stimme nach. Er drehte sich nicht um, blieb nicht stehen und doch war ich sicher, dass er mich gehört hatte.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Jun 09, 2018 ⏰

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