Das Mädchen im Kofferraum

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Schwer atmend riss sie die Augen auf, doch es gab nicht den kleinsten Hauch von Licht. Alles um sie herum war vollkommen schwarz. Mit schweren Gliedern versuchte sie, sich aufzurichten, doch sobald sie den Kopf hob, donnerte dieser gegen einen Widerstand über ihr. Panisch ließ sie sich wieder sinken und tastete den kleinen Raum ab, in dem sie sich befand. Sie konnte sich kaum bewegen, ohne gegen die Wände zu stoßen, geschweige denn, dass sie ihre Beine in eine andere Position bekam.

Ein Panikanfall übermannte sie, ihre Atmung wurde schneller und Angstschweiß trat auf ihre Stirn.

„HILFEEEEE! IST DA JEMAND? HILFEEEEEEE!"

Sie versuchte, sich gegen die Wände ihres Gefängnisses zu drücken, trommelte mit den Fäusten gegen die Wände und trat nach allen Seiten, bis sie spürte, dass ihre Fingerknöchel aufrissen und das Brennen der abgewetzten Haut sie zum Aufhören bewegte. Tränen schossen ihr in die Augen. Ihr Verstand weigerte sich zu glauben, dass dies kein Traum sein sollte. Panisch versuchte sie, einen klaren Gedanken zu fassen. Das Letzte, an das sie sich vor dieser Dunkelheit erinnern konnte, war eine Bar.

Wimmernd tastete sie neben sich und schnitt sich einen Finger an dem Papier einer Zeitschrift. Nur langsam wurde ihr bewusst, dass jemand sie in einen Kofferraum gesperrt hatte.

Eine Bar? Oder war es ein Club?

Sie wusste noch, dass ihre Freundin jemanden kennen gelernt hatte. Sie steckte den blutenden Finger in den Mund und versuchteprobierte, sich zu beruhigen. Wenn sie sich von ihrer Panik überwältigen ließ, würde sie es nie schaffen, aus diesem Gefängnis auszubrechen.

Sie war mit jemandem dort gewesen, in dieser Bar. Mit einem Mann, doch sie konnte sich nicht mehr an das Gesicht erinnern, nur an den Hut - einen kitschigen Cowboyhut.

„IST DA JEMAND? KANN MICH JEMAND HÖREN?", ihre Stimme klang bereits ruhiger.

Alles war vollkommen still.

Der Puls hämmerte in ihren Schläfen und ließ sie zittern. Ihre Hände tasteten weiter in der Dunkelheit und bekamen einen schweren Gegenstand zu fassen. Das kalte Metall ließ sie kurz zusammenzucken. Vorsichtig versuchte sie zu erkennen, was sie in den Händen hielt. Sie strich über eine Biegung des Metalls.

„Eine Brechstange ...", flüsterte sie und ein Funke Hoffnung stieg in ihr auf. Sie drehte sich auf die Seite und befühlte den Innenraum nach einem schmalen Spalt. „Ich werde nicht darauf warten, dass mich derjenige hier rausholt, dem ich das Ganze zu verdanken habe ... Ich komme hier raus, ich schaff das schon ..."

Die ersten Versuche scheiterten und ließen sie laut auffluchen.

Bis plötzlich etwas anderes sie innehalten ließ.

Der Motor des Wagens heulte laut auf und das Rucken bestätigte die Befürchtung, dass der Wagen sich bewegte. Eine neue Welle Angst ließ sie erstarren.

"LASSEN SIE MICH HIER RAUS!"

Sie rammte die Spitze des Krummfußes in den schmalen Spalt und stemmte, so gut es ging, ihr Gewicht darauf, doch immer wieder rutschte sie ab.

"VERDAMMT WER SIND SIE? HOLEN SIE MICH HIER RAUS!"

Niemand antwortete auf ihre Schreie. Es blieb nur ein leises Klingeln in ihren Ohren, das durch das panische Rauschen ihres Blutes abgelöst wurde. Fieberhaft kratzte sie über die Verkleidung, rutschte ab und knallt mit dem Kopf gegen eine harte Kante. Sie fluchte und versuchte, den dumpfen Schmerz zu ignorieren. Ihre verschwitzten Hände machten es ihr noch schwerer, die schwere Stange in die richtige Position zu bringen, und plötzlich spürte sie es. Zuerst dachte sie, es wären nur einigen Tränen, auf das Metall getropft, doch dann erkannte sie, dass Wasser durch den Spalt des Kofferraums sickerte. Einen Moment lang weigerte sich ihr Gehirn, diese Information zu verarbeiten.

„Nein, nein ... bitte nicht ..."

Panisch schlug sie mit der Stange auf den Kofferraum ein, doch es half nichts. Inzwischen war der Boden vollständig mit Wasser bedeckt und ihr wurde bewusst, dass sie ertrinken würde, wenn sie es nicht endlich schaffen würde, aus diesem Auto herauszukommen.

Sie robbte auf die andere Seite und schlug gegen die Verkleidung. Die Brechstange hatte sie noch immer in der Hand und hackte mit der Spitze gegen das Material, solange, bis sie eine kleine Öffnung geschaffen hatte, gerade groß genug für ihre Hand.

Das Wasser hatte ihre Kleidung vollständig durchnässt, und sie zitterte nun nicht mehr nur aus Angst, sondern auch durch die Kälte, die sich durch ihre schmerzenden Glieder zog. Sie riss an dem Stoff und streckte ihren Arm so weit durch, bis sie die Rücksitze ertasten konnte. Hoffnung durchströmte sie, während das Wasser unaufhörlich stieg. Sie riss und zerrte an dem Stoff, ihre Nägel rissen blutig ein, doch der Schmerz war nebensächlich.

Und dann ...

... schaffte sie es. Sie drückte sich durch das Loch und zwängte sich mit aller Kraft nach vorne. Die Lehne des Rücksitzes gab nach und ihre Augen schmerzten kurz unter dem Licht der Innenbeleuchtung, die noch im selben Moment beginnt zu flackern beginnt und erlischt. Doch der Triumph wich einer neuen Panikwelle. Um sie herum war nichts als Wasser. Das Auto versank immer weiter in den Tiefen. Die Eisenstange noch immer in der Hand, kletterte sie auf den Vordersitz und atmete ein paar Mal tief durch. Die Türen ließen sich nicht öffnen, weil das Wasser von außen dagegen drückte. Sie musste warten, bis das Auto vollständig mit Wasser gefüllt war oder versuchen, die Scheiben einzuschlagen.

Weinend machte sie ein paar tiefe Atemzüge und blickte in die dunklen Tiefen des Wassers. Sie konnte den Grund noch nicht erkennen und wusste nicht, wo sie war. Einfach abwarten kam nicht in Frage. Sie drehte sich herum und schlug die Scheibe hinter dem Fahrersitz ein.

Eine Flutwelle riss Scherben mit sich und binnen Sekunden hatte das Wasser alles eingenommen.

Sie hielt sich mit einer Hand Mund und Nase zu und drückte sich durch das zersplitterte Fenster. Die Scherben schnitten durch ihre Haut. Sie zog eine kleine Blutspur hinter sich her, während das Auto versank, und sie musste ihre letzte Kraft mobilisieren, um sich nach oben zu drücken. Der Druck auf ihrem Körper schien immer großer zu werden und ihre Lunge schrie nach Luft. Jede Faser ihres Körpers schrie auf, die Muskeln verkrampften sich schmerzhaft und salzige Tränen vermischten sich mit dem dunklen Wasser.

Nur noch ein paar Meter, nur noch etwas, dann konnte sie wieder atmen.

In dem Moment, als sie die Oberfläche durchbrach, entfuhr ihr ein kleiner Freudenschrei.

Sie saugte die Luft ein, nochmal und nochmal, bis sie realisierte, dass sie es geschafft hatte. Mond und Sterne spiegelten sich auf der Oberfläche des kleinen Sees. Niemand schien am Ufer zu stehen.

Sie zwang sich zu schwimmen und steuerte das Ufer an. Ihre Muskeln beschwerten sich über die Überstrapazierung, doch in ihrem Hirn jubelte das Adrenalin auf. Sie hatte es geschafft. Sie war nicht auf dem Grund dieses Sees versunken, sie war am Leben. Endlich spürte sie schlammigen Boden unter ihren Füßen und stellte sich hin. Inzwischen störte sie die Kälte kaum noch. Langsam ging sie die letzten Meter und versuchte, sich nicht von der Erschöpfung übermannen zu lassen. Mit den Knöcheln noch im Wasser blieb sie stehen und beugte sich nach vorne.

Sie musste es zur Straße schaffen und ein Auto anhalten ...

Blinzelnd starrte sie in die Dunkelheit und wischte sich über die brennenden Augen. Es waren keine Lichter zu erkennen. Ihre Atmung beruhigte sich, und ihr Körper begann zu zittern. Ihr Kopf wollte wieder zu arbeiten und sie versuchte, sich daran zu erinnern, dass sie gerade noch in einer Bar gesessen hatte, zusammen mit ihrer Freundin. Sie hustete und würgte etwas Wasser heraus. Was war dann passiert? Wie war sie in dieses verdammte Auto gekommen? Schluckend blickte sie über ihre Schulter, denn fast wäre dieser dunkle See zu ihrem Grab geworden. Sie fuhr sich mit den kalten, blutigen Händen über das Gesicht. Schwerfällig richtete sie sich auf und wollte gerade weitergehen, als ein Schuss die nächtliche Stille durchbrach. Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie in die Dunkelheit, doch dann verschwamm die Welt. Ihr Körper fiel nach hinten. Blut und Hirnfetzen hinterließen eine schmierige Lache im Wasser.

Ein Mann trat aus der Dunkelheit und ließ das Gewehr sinken. Er zog seinen Cowboy-Hut nach unten und grinste schief. "Ich hab doch gesagt, die Kleine schafft es in einer halben Stunde ..."

Das Mädchen im KofferraumWhere stories live. Discover now