Neue Welt

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Ich fühlte mich so, wie in meinem Lieblingslied gesungen wurde. In my blood von Shawn Mendes. Ich dachte so oft darüber nach, einfach aufzugeben, aber ich stand wieder und wieder auf. Bis die Wände um mich herum doch zusammen brachen. Mit dem Tod meiner Mutter. Und zu allem Überfluss musste ich auch noch erfahren, dass sie mir verschwiegen hatte, dass ich einen Zwillingsbruder hatte, der ebenfalls auf dem besten Weg war, berühmt zu werden. Deshalb saß ich auch im Flugzeug nach Amerika. Von Deutschland nach Amerika. Nach New York um genauer zu sein. Ich wusste absolut nicht, was mich dort erwarten würde. Mich würde eine Großstadt erwarten, soviel wusste ich. Dann tauchte die Stadt auch schon unter mir auf. Selbst von so weit oben sahen die Häuser riesig aus. Und schneller als mein Hirn folgen konnte, landete das Flugzeug. Das Lied, was gerade auf meinem IPod lief, passte sehr gut: Nervous. Ich kannte meinen Zwillingsbruder gar nicht, genau wie ich meinen dad nicht kannte und nun sollte ich bei den beiden leben? Grandios.

Ich riss förmlich meine Handtasche aus der Gepäckablage über mir und drängte mich an den anderen vorbei ins Freie. Ich hasste es erstens warten zu müssen und zweitens hasste ich diese furchtbare Luft in Flugzeugen. Ich drängte mich auch im Flughafengebäude durch die Masse an Leuten zum Fließband und zu meinem Glück kamen meine großen lila Koffer bereits angefahren. Ich riss sie in einem runter und zog sie hinter mir her Richtung Flughafenhalle. Da stand ein recht groß gewachsener Mann in Anzug und mit denselben goldblonden Haaren, die ich auch hatte. Auf dem Tablet, das er hochhielt, stand mein Name drauf: Allie Taylor.

Also ging ich mal zu dem Mann rüber. „Bist du wirklich meine kleine Allie?", fragte er dann und sah so aus, als müsse er gleich heulen, „Du meine Güte, bist du groß geworden." „Kleiner wäre auch komisch", verwendete ich eines meiner Lieblingsfilmzitate aus Ostwind. Er lachte und fügte dann hinzu: „Ich bin Jason. Aber du kannst mich auch gerne dad nennen." Das veranlasste mich zu einem Lächeln. Er wollte mir schon die Koffer abnehmen, aber ich konnte es verhindern, indem ich sie entschlossen ergriff und wieder hinter mir herzog. Er hatte mich schnell wieder eingeholt und meinte mit einem leichten Lächeln auf den Lippen: „Die gleiche Eigenwilligkeit, wie deine Mutter. Tut mir Leid, die Sache mit dem Unfall." „Passt schon", erwiderte ich und musste mich bemühen, nicht schon wieder zu heulen, „Ist ja nur meine halbe Welt zusammen gebrochen, als sie gestorben ist, ohne das ich mich von ihr verabschieden konnte. Ich will einfach nicht darüber reden." Und den Rest des Weges durch den Flughafen legten wir schweigend zurück.

Ich muss zugeben, mir wäre beinahe die Kinnlade runter gefallen, als ich der Limousine ansichtig wurde, in die mein Vater einstieg. Nice. Und von innen war sie noch cooler, als von außen: Eine große, ach was, RIESIGE! Sitzbank, die den halben Wagen ausfüllte und eine Minibar mit Getränken und etwas zum Knabbern. Nice.

Die Fahrt dauerte eine gewisse Zeit, erstens wegen dem Verkehr, zweitens weil dad nicht direkt in New York wohnte, sondern in einem Dorf außerhalb. Ich hatte noch nie etwas von diesem Kaff gehört. Genauso, wie niemand weiß, was Ransbach-Baumbach ist, wenn man diese Frage stellt. Wirklich, fragt mal irgendwen nach Ransbach-Baumbach, niemand wird euch sagen können, wo das liegt! „Du sprichst ziemlich gut Englisch", stellte dad plötzlich fest. „Erstens haben wir zu Hause ständig Englisch geredet, zweitens Englisch Leistungskurs in der Schule. Muss ich hier echt den halben Tag in der Schule hocken?"„Erstmal sind ja Sommerferien", erwiderte dad lachend, „Und dann kannst du übers Internet weiterhin an deine alte Schule in Deutschland gehen. Falls du das möchtest." „Alles klar", gab ich erstmal nur zurück und lehnte mich in meinem Sitz zurück.

Endlich waren wir an unserem Ziel angekommen. Eine Villa mitten im Grünen. Wurde ja immer besser. Okay, eine Villa im Grünen musste nicht zwangsläufig etwas Gutes bedeuten. Ich sag nur Kaff, das niemand kennt verbunden mit Langeweile...

Diese Langeweile war auch der einzige Grund, warum ich mich dagegen entschieden hatte, bei meiner Oma einzuziehen. Der Westerwald war einfach nur sterbenslangweilig. Und in Amerika lebten immerhin zig tausend Stars und Sternchen. Vielleicht nicht die britische Königsfamilie, aber immerhin sehr viele berühmte Schauspieler! Und auch gewisse Sänger wie Justin Bieber, Shawn Mendes oder auch Pink...

„Ich muss leider direkt weiter Allie", sagte dad dann zu mir, „Ich hatte nicht damit gerechnet, dass du schon heute kommen würdest." „Ist schon okay", antwortete ich nur, hüpfte aus der Limo und zerrte meine Koffer und die Handtasche aus dem Kofferraum, „Ich hab ja noch einen Zwillingsbruder, den ich nicht kenne." Und damit wandte ich mich von ihm ab und ging auf das Haus zu. Taylor stand in geschwungenen Lettern auf dem Briefschlitz, der in der Tür eingelassen war. Ich nahm meinen gesamten vorhandenen Mut zusammen und drückte auf die Klingel. „Komme schon!", rief eine Stimme von drinnen. Und Sekunden später ging tatsächlich die Tür auf. Der Junge, der vor mir stand, sah mom sehr ähnlich. Er hatte die gleichen kupferfarbene Haare und weiche, jugendliche Gesichtszüge. Außerdem war er etwas kleiner als ich. Moms mom war ursprünglich aus Italien, ist aber kurz vor moms Geburt nach Kanada abgehauen. „Du bist dann wahrscheinlich Allie",begrüßte er mich schließlich zögernd. „Und du bist dann wahrscheinlich Jace", erwiderte ich. „Der Zwilling, von dem ich nichts wusste", sagten wir dann gleichzeitig, was uns beiden ein vorsichtiges Lachen entlockte. Darauf folgte allerdings eine kurze peinliche Stille. Ich meine, wie begrüßt man einen Zwilling, den man nicht kennt? „Komm doch rein", sagte er dann und ging einen Schritt zur Seite. Damit überquerte ich dann die Schwelle zu meinem neuen zu Hause. Und es war auch von innen sehr schön. Jetzt keine übertriebene Eingangshalle mit Marmor oder so, sondern einfach ein größerer Flur, in dem einige Türen zu sehen waren. Aber nie gegenüber angeordnet, sondern leicht versetzt. Am Ende des Flurs führte eine Wendeltreppe nach oben. „Dein Zimmer ist oben, neben meinem", erklärte Jace mir dann, „Und wenn dad dann mal zu Hause ist, schläft er immer auf der Couch." „Alles klar", erwiderte ich, als Zeichen, dass ich verstanden hatte. Also ging ich weiter auf die Wendeltreppe zu, schleppte schließlich meine Koffer nach oben und dachte oben angekommen für einen kurzen Moment, ich wäre im Himmel. Ein heller Flur erstreckte sich vor mir, mit einer Tür auf jeder Seite, und endete in einer Glasfront, durch die man nach draußen auf den nahe gelegenen Wald blicken konnte. Ich dachte schon, dieser Flur wäre bereits der Himmel, aber in dem Moment, indem ich in mein neues Zimmer ging, fühlte ich mich wie eine Prinzessin. Eine Wand war vollständig aus Glas und die übrigen waren wie die anderen Wände dieses Hauses. In der Mitte des Raumes stand ein wunderschönes Himmelbett. Es stand so, dass man durch die Glasfront auf die Natur draußen blicken konnte, wenn man in diesem himmlischen Bett liegen würde. Ein Kleiderschrank, fast so groß wie die normale Wand stand rechts von der Tür aus gesehen und es stand auch ein großes Bücherregal in diesem Raum. Und dieses Zimmer sollte wirklich meins sein? Ich dachte, ich würde träumen. „Oh, bevor ich es vergesse", unterbrach Jace die Stille, „Ich hab zumAbendessen einen Freund eingeladen, weil ich nicht wusste, dass du schon heute kommen würdest." „Wie heißt er?", fragte ich abwesend, während ich immer noch auf diese wunderschöne Wand aus Glas starrte. „Shawn Mendes."

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