Kapitel 7

346 25 2
                                    

Draußen sprossen schon die ersten Knospen, der Winter war vorüber. Acht Jahre waren vergangen, seit Jacrun das letzte Mal auf Thilias Schwelle gestanden hatte. Sein Blick war verzweifelt gewesen, ängstlich. „Thilia“, hatte er gesagt und ihre Hand genommen, „Thilia. Bewahre das hier für mich auf und vergiss mich bitte nicht.“

Er hatte sie umarmt, sie geküsst, als stünde sein Tod kurz bevor. Thilia hatte ihn angesehen und einen gehetzten Mann in ihm erkannt. Jacrun hatte ihr etwas in die hohle Hand gelegt, sich umgedreht und war verschwunden, seine Spuren im Schnee hatte der Wind schon bald verwischt.

Blumen hatte er ihr keine gebracht.

Fünf Jahre später, es war Hochsommer und ein Sturm bahnte sich an, hatte es erneut an ihre Tür geklopft. Die Menschen aus dem nahegelegenen Dorf trauten sich normalerweise nicht so nah an den Waldrand heran und mieden auch die Frau, die, scheinbar ohne Mann, so weit abgeschieden lebte.

Es waren Fremde, eine Frau und zwei Kinder, die um Unterkunft für eine Nacht baten. Sie seien auf der Reise, hatten sie gesagt. Thilia hatte sie eingelassen, ohne männliche Begleitung hätten sie im Dorf wohl keinen Unterschlupf gefunden.

Thilia hatte ihnen Brühe gekocht, Brot gegeben und ein Bett aus Decken gerichtet. Sie hatten alle in einem Raum schlafen müssen, Thilia war nicht reich genug, um sich ein Haus mit Innenwänden kaufen zu können. Beim Essen hatte Thilia gefragt: „Hast du keinen Mann?“ Und die Frau hatte geantwortet: „Hast du keinen Mann?“

Jacrun hatte ihr damals zwei Scherben gegeben, jadegrün, in jede ein Name eingeritzt. Sie hatte sie auf die Fensterbank gelegt, sodass Jacrun gleich sehen konnte, dass sie gut auf sie aufgepasste, wenn er wiederkam. Falls er wiederkam.

Die Frau hatte die Scherben unverhohlen angestarrt, sagte jedoch nichts. Nach dem Essen hatten die Kinder, ein Junge und ein Mädchen, etwa elf oder zwölf Jahre alt, beim Fenster gespielt, auch sie sahen immer wieder zu den Scherben und warfen ihrer Mutter fragende Blicke zu. Doch die hatte immer nur den Kopf geschüttelt, wenn sie glaubte, Thilia würde es nicht sehen.

Später in der Nacht, die Kinder schliefen bereits, hatte sich Thilia ein Herz gefasst und von ihrer Stickarbeit aufgesehen. „Warum bist du so an diesen Scherben interessiert? 

Die Frau hatte ihr in die Augen gesehen und gesagt: „Woher hast du sie?“

Thilia hatte getan als fiele ihr nicht auf, wie die Frau ihre Frage umging. „Mein Mann gab sie mir vor einigen Jahren.“

„Und woher hat er sie?“

„Das hat er nicht gesagt und ich habe nicht gefragt.“

„Würdest du sie mir überlassen?“

Thilia hatte die Frau mit einem abschätzenden Blick gemessen. „Sie stehen nicht zum Verkauf. Und selbst wenn, und bitte verzeih mir, hast du wohl kaum genug Geld bei dir um ihren Preis bezahlen zu können.“

„Warum glaubst du das?“, hatte die Frau erwidert, „sehen wir so abgerissen aus?“

Ein kleines Lächeln war auf Thilias Lippen erschienen. „Hättest du genug Geld, hättet ihr im Dorf in einem Gasthaus übernachtet, doch ihr seid zu mir gekommen.“

„Das stimmt. Doch was sagt dir, dass wir nicht wegen der Scherben gekommen sind? Immerhin kann sie dort am Fenster jeder sehen. 

„Ich bin den ganzen Tag an diesem Fenster gesessen und niemand ist vorbeigekommen. Es liegt der Straße abgewandt.“

Die Frau hatte die Augen geschlossen und sich zurückgelehnt, die Hände im Schoß. „Bist du sicher, dass du die Scherben nicht verkaufen willst? Kennst du jemanden mit dem Namen Sora oder Kakuzu, dem du sie schenken kannst?“

Language of DespairWo Geschichten leben. Entdecke jetzt