"Gott Daisy, jetzt beeil dich doch mal!" Stöhnend ließ Ambar sich auf eine Bank fallen, eine der wenigen die es in Erenia noch gab. Meine Mutter behauptete immer, die Überbleibsel der Vergangenheit wären ein Schandfleck in unserem fortschrittlichen Leben, aber mich faszinierten sie nur. Wie konnten Menschen sich früher z.B. mit Autos, Bahnen und Flugzeugen fortbewegen? War das nicht viel zu gefährlich? Heutzutage gab es nur noch Paregments und Trams, dazu brauchte es keinen Straßenverkehr mehr. Ein erneutes Aufstöhnen riss mich aus meinen Gedanken und ich griff schnell nach der Schaufel um weiterzugraben. Wir waren beinahe bis zur Grenze Erenias gefahren, dem Zeta-Bezirk, in welchem sich nur die ärmsten Leute aufhielten und wohnten. Dieser Teil des Landes lag ungefähr sechs Stunden von meinem und Ambars zu Hause entfernt und wir mussten wirklich unglaublich viele Grenzen passieren um überhaupt hierher zu gelangen. Ehrlich gesagt war ich an all dem hier Schuld und hätte dies hier auch alleine durchgezogen, aber meine beste (und gleichzeitig auch einzige) Freundin hatte es sich nicht nehmen lassen und wollte unbedingt mitkommen. Fünf Stunden später hatte aber auch sie keine Lust mehr und jammerte seitdem unentwegt herum. Es war ja auch nicht so als ob ich sie gewarnt hätte, nein, sie bestand ja darauf mich zu begleiten und mir zu helfen. Ambar war eine der wenigen, die mein wohl gehütetes Geheimnis kannte. Grund dafür, dass ich es fast niemandem anvertraute war, dass es wohl ziemlich illegal war und ich unter keinen Umständen verraten werden dürfte. Als Tochter eines bedeutenden Regierungsmitglieds durfte ich mir einfach keine Fehler erlauben, schon gar nicht das Führen von illegalen Besitztümern oder den Kontakt mit Zetá - Bewohnern. Unser Land war in 24 einzelne Bezirke unterteilt - von dem reichen Avala - Bezirk bis hin zu dem Zetá - Bezirk, in welchem hauptsächlich frühere Verbrecher mit ihren Familien lebten. Gedankenverloren beobachtete ich, wie auf der Straßenseite schräg gegenüber ein kleiner Junge aus einer kleinen Hütte hervortrat, welche komplett aus Holz gebaut war. Er trug zwei Plastiktüten auf seinen Armen, vollbepackt mit Nahrungsmitteln. Ein Pfiff ertönte und kurz darauf ein Schrei, da rannte der Kleine auch schon los - direkt an uns vorbei und um den nächsten Häußerblock herum. Noch wärend Ambar ein genervtes Stöhnen entfuhr, kam der Ladenbesitzer aus seinem heruntergekommenen Einkaufsladen hinaus und lief direkt auf uns zu. " Wo ist der kleine Junge langgelaufen?" fragte er uns entnervt. In diesem Bezirk war Diebstahl keine Seltenheit, er gehört vielmehr fast schon zum Alltag. Wortlos deutete ich in die entgegengesetzte Richtung des Jungen und ignorierte Ambars empörte Blicke - sie war nie ein Freund von gesetzesbrechenden Aktionen gewesen, geschweige denn Ladendiebstahl. Während ich diejenige war die sofort ein Auge zudrückt, war sie schon immer die, die andere Leute mit missbilligenden Blicken strafte und niemals etwas Illegales begehen wollte. Dazu kam noch, dass ich den kleinen Jungen gekannt hatte - und zwar schon ziemlich lange. " Ich verstehe einfach nicht wie du nur Marlon in Schutz nehmen kannst, obwohl er das hier jeden Tag macht!" fragte sie mal wieder ungläubig. Ich würde ihn jedoch niemals verraten und das wusste Ambar ganz genau. Sobald der Ladenbesitzer um die Ecke gelaufen war wandte ich mich wieder dem Loch zu und griff nach meiner Schaufel um weiterzugraben. Hier scherte es niemanden, wenn ein fremdes Mädchen am Rande der Straße ein Loch buddelte...dies war auch einer der Gründe warum ich mein Versteck in den Zetá-Bezirk verlegt hatte. In diesem Bezirk von Erenia war die Kriminalitätsrate so hoch und die Gegend so heruntergekommen, dass die Polizei kaum noch hierher kam. Endlich war das Loch groß genug um etwas hineinzulegen....genauer gesagt ein Buch. Wie immer zog ich es ehrfürchtig aus der Tasche heraus und platzierte es so gut es ging in der Mitte des Loches. Es war ziemlich dick und mit unglaublich vielen Ornamenten geschmückt, vor allem in gold und rot. In geschwungener Schrift darauf geschrieben stand "Die Geheimnisse der Vergangenheit", ein ziemlich protziger Titel wie Ambar immer meinte. Man sah dem Buch an, dass es sehr alt sein musste, wodurch sich dessen Wert um vielfaches vergrößerte. Trotzdem würde ich es für kein Geld der Welt verkaufen, egal wie wertvoll es auch sein musste. Niemand, schon gar nicht die Leute meines Alters, interessierten sich noch für die Vergangenheit... niemand außer mir. Schon als Kind wollte ich immer wissen wie die Welt früher einmal ausgesehen hatte, vor den Perfections oder sogar vor Erenia. Dad sagte immer, dass wir in die Zukunft schauen sollen, nicht in die Vergangenheit, denn diese können wir nicht mehr ändern. Was geschehen ist ist geschehen, die Zukunft aber liegt alleine in unseren Händen. Jedes andere Kind hätte sich vermutlich damit zufrieden gegeben, ich aber nicht. In der Schule stellte ich tausende Fragen an die Lehrerin, die mir keine einzige beantworten konnte. Meine Eltern wurden mehr als einmal zur Schulleitung gerufen und mir wurden tausende von Vorträgen gehalten, was ich tun und lassen musste und was ich fragen durfte und was nicht. Wäre mein Vater kein so angesehenes Führungsmitglied wäre ich womöglich schon längst suspendiert worden wegen unangemessenem Verhalten, so kam ich allerdings immer mit einer Warnung davon. Ungefähr auf diese Art ging es weiter, bis ich in die siebte Klasse kam. Unser Schulsystem funktionierte ganz anders wie früher - die Kinder werden früher eingeschult und sind auch früher mit der Schule fertig. Nach der achten Klasse absolvieren sie einen großen Test, der landesweit gleich gehalten ist. Somit wird für jedes Kind eine Zahl ermittelt, die sie weiter beibehalten werden. Je kleiner die Zahl ist desto besser. Die Zahlen werden für jeden Jahrgang neu verteilt und zeigen eigentlich nur den Fleiß der Person, da jede/r Perfection gleich intelligent ist, nur unterschiedlich gefördert und erzogen. So herrscht eine Art Gerechtigkeit, da jeder die Möglichkeit besitzt zu den besten Zahlen zu gehören - man muss sich nur genügend anstrengen. Ungefähr ein Jahr vor meinem großen Test brachte ich damals das Fass zum überlaufen. Ich hatte meine Direktorin noch nie zuvor so wütend gesehen wie an diesem Tag. Vor meinen Eltern verhielt sie sich angemessen höflich und verhalten, zu mir selbst hingegen war sie unglaublich unfreundlich und ungeduldig. Sie einigte sich mit meinen Eltern darauf mir eine Lektion zu erteilen, die ich nie wieder vergessen würde - was auch tatsächlich der Fall war, wenn auch aus einem komplett anderen Grund. Als meine "Strafe" musste ich bei einem Gerichtsverfahren zuschauen, um selbst zu sehen was mit Menschen passiert, die zu neugrierig sind bzw. zu viele Fragen stellen und sich mit der Vergangenheit beschäftigen. Ich saß direkt hinter dem Angeklagten, einem Mann mittleren Alters und dessen Sohn. Der war ungefähr sieben Jahre alt und klammerte sich ängstlich an seinen Vater, einem ehemaligen Arbeitskollegen meines Dads. Dieser war wegen unerlaubtem Besitz eines Gegenstandes aus der Vergangenheit angeklagt worden und seinen Forschungen daran. Mit dreizehn begriff ich damals nicht was das hieß, denn was konnte schon so schlimm daran sein etwas über seine Vergangenheit erfahren zu wollen? Der Vater wurde zu lebenslänglicher Verbannung verurteilt und musste vom Avala-Bezirk in den Zetá-Bezirk ziehen, seine Familie selbstverständlich auch. Doch noch während das Urteil gesprochen wurde bemerkte ich wie ein dickes Buch unter der Bank zu mir hinter geschoben wurde, eben dieses Buch das ich nun vergraben wollte. Damals hatte ich es eilig in meiner Tasche verstaut, panisch vor Angst das mich jemand womöglich beobachtet hatte und mich erwischte, und war extra so lange geblieben bis niemand mehr in der Halle war - niemand außer dem kleinen Jungen, der weinend auf der Bank saß. Zögerlich lief ich auf ihn zu und nahm ihn in den Arm, bis er sich schließlich von mir löste und mir direkt in die Augen blickte. Während ich, immer noch nervös bei dem Gedanken an das Buch in meiner Tasche, damit beschäftigt war nach einem Taschentuch zu suchen, fing der kleine Junge an zu reden. Er stellte sich als Marlon Triva vor und ich schnappte kurz nach Luft. Die Trivas waren eine der angesehendsten Familien des Landes, was für ein Skandal mochte es wohl sein, wenn die Presse von der Verurteilung Wind bekam?
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The Perfections
Fantasy50 Teams, ein Gewinner - mit einem Auftrag, der das Leben aller für immer verändern wird. Daisy ist wohl nicht gerade ein Mädchen, welches man als abenteuerlustig oder mutig bezeichnen würde. Sie ist Tochter eines Regierungsmitgliedes, allerdings mi...