Levi Mills

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Die Frau hob ihre Finger in die Schale voller Blut, schien es zu beobachten. Es war das Blut des Mutanten, das ihm abgenommen worden war. Levi studierte ihren Körperbau, ihre Haltung, ihr Verhalten. Gab Informationen an sein Unterbewusstsein weiter, verarbeitete diese und gab ihm im Bruchteil einer Sekunde, dreizehn verschiedene Möglichkeiten, die Frau im Notfall zu überwältigen, auf Grund dieser dreizehnMöglichkeiten, rechnete sein Hirn unzählige Folgeszenarien aus und deren Wahrscheinlichkeit, aufgrund der bisherigen Eindrücke. Es war ein passiver Vorgang. Levi konnte ihn nicht aussetzen, nicht deaktivieren, allerhöchstens ignorieren und dennoch, sein Hirn arbeitete. Immer, schneller, dauerhaft auf Hochtouren. Seit Jahren litt er unter Kopfschmerzen, unter Schlafmangel, unter Mangelernährung. Der Mutant hatte mehr als einmal, die bestmöglichen Umstände ausgerechnet, die ihm ein möglichst langes Leben ermöglichen würden. Eines, über das er selbst die Kontrolle hatte. Das Ergebnis war so einfach, wie unmenschlich gewesen: Verzicht, auf alles überflüssige, absolute Kontrolle, absolute Disziplin. So würde er noch gute zehn Jahre ohne massivere Störungen leben können, ehe die Leistungen seines Hirns auf einen Level hinabsteigen würden, der nicht mehr erträglich sein würde. Doch dann würde er immer noch klar genug sein, den eigenen Schlussstrich zu ziehen und selbst zu entscheiden, dass er nun mehr leiden würde, denn helfen. Zehn Jahre, in denen er nicht mehr als eine Maschine sein würde, einzig und alleine auf sein eigenes Ziel ausgerichtet.

Er saß da. Den Blick stur gerade aus gerichtet, direkt und beständig auf die ältere Mutantin, die für Medical & Research arbeitete. Eine Haemokinetikerin, mit einer noch stärkeren Ausprägung in der Genese. Er hatte ihre Akte gelesen, wusste dass diese Frau schon verdammt viele Leben gerettet und ebenso viele beendet hatte. Sie war eine von den wenigen Wissenschaftlern, die auch eine Ausbildung auf dem Feld genossen hatte. Eine Feldärztin, eine Heilerin.

"Ich habe Ihnen meine Anweisungen gegeben Mills, wenn Sie der Meinung sind, Sie wüssten es besser, bitteschön. Kommen Sie aber nicht zu mir, wenn es Probleme gibt." Einer ihrer Arzthelfer, löste den Verband um Levis Schulter. Sie waren nur zu dritt, eine der vielen Bedingungen die Levi stellte und dank seiner Position auch einfordern konnte. Ärztliche Schweigepflicht, war eine moralische Angelegenheit und auf die Moral von Anderen, konnte man sich nicht verlassen. Also gab es nur eine Handvoll Leute, die Levi überhaupt behandeln durften, nach seinem eigenem Ermessen, verstand sich.


Die Frau nahm das Skalpell und schnitt einen langen, tiefen Schnitt in den vernarbten Daumen, ohne einmal mit der Wimper zu zucken. Es gab einfachere, deutlich humanere Methoden ihr generiertes Blut in seinen Körper zu bekommen, doch Levi wusste wieso sie es machte. Sie war keine gütige Frau, nicht im herkömmlichen Sinne. Allgemein galt sie wohl als die ruppigste, direkteste und unfreundlichste, praktizierende Ärztin in dieser Abteilung. Ein Charakter, geformt auf dem Schlachtfeld, gewohnt Befehle zu verteilen oder sie zu erhalten. Das war der Grund, wieso Levi sie vorzog. Er wusste immer woran er war und sie versuchte nicht, ihm Dinge auszureden, die ihm nicht auszureden waren. Wenn Schmerz dafür ein Preis war, war er bereit diesen zu zahlen. Er hatte die Frau einmal arbeiten sehen, richtig, als es um Leben und Tod ging und er wusste, dass es deutlich einfacher war, den benötigten Blutkontakt, mithilfe von Transfusionsschläuchen herzustellen. Wie es schien, hatte er heute die Ehre einer ganz besonderen Methode.

Sein Handy vibrierte auf dem Beistelltisch, neben dem Bett, auf dessen Kante er saß. "Ehrlich Mills? Wir sind hier auf einer Krankenstation, absolutes Handyverbot." Sie ballte ihre Faust, drückte das Blut aus dem Schnitt auf der Daumenkuppe, während Levi kommentarlos das Handy aufnahm um die Nachricht zu lesen. Eine Bestätigung, dass Erwing über den Berg war, doch noch nicht bei Bewusstsein. Der Gedanke wurde aber jeher aus einem Kopf gewischt, als die Heilerin ihren Daumen auf die noch offene Wunde an der Schulter drückte, aus der vor einigen Stunden noch eine Metallstange geprangt hatte. Levi schnappte nach Luft, kämpfte gegen das Bedürfnis an, aufzuschreien und zuckte schließlich ein Stück zurück. Doch sie hielt ihn mit einem klammernden Griff, so dass jede weitere Bewegung nur noch mehr schmerzte. Levi sah die gut zwanzig Jahre ältere Frau nicht an, starrte leer in den Raum, ohne ihr die Genugtuung zu geben, sich auch nur ein Mal über den Schmerz zu äußern. Disziplin. Stärke. Keine Schwäche zeigen. Er verfluchte die Worte in seinem Unterbewusstsein, die ihn dazu zwangen still zu bleiben und es über sich ergehen zu lassen. Es war ihre Strafe für ihn und er akzeptierte sie stillschweigend.

Die Haemokinetikerin blieb für einige Momente ruhig, konzentrierte sich auf das Blutbild ihres Patienten und es war beinahe, als konnte Levi spüren, wie das verlorene Blut zurück in seinen Körper gelangte, von ihr generiert, perfekt an sein eigenes Blut angepasst. Der erste Schmerz verblasste, sein Bewusstsein sagte seinem Körper, dass dort keiner war, also schwand er. Es klappte immer, nur nicht bei den verdammten Kopfschmerzen. Levi atmete kaum hörbar aus und seine Ärztin schien enttäuscht, dass der Schmerz schon wieder vorbei war.

"Keiner kann es sich in so einer Situation leisten." sagte er schließlich, als er sich sicher war, dass seine Stimme nichts von der Tortur in seinem Körper verraten konnte.

"Sie sollten es sich aber leisten, Mills. Sie kennen meine Berichte. Dabei bleibe ich."

Levi wusste es. Er erwartete nichts anderes. Sein eigener Verfall kam mit jedem Tag näher und so wie er spürte, dass sie ihm sein Blut zurück gab, so spürte er auch, wie es mit jedem Tag schwieriger wurde, so zu leben. Langsam und stetig.


Sie entzog ihm den Daumen und ließ die offene Wunde binnen eines Augenblicks gerinnen, so dass sie schneller heilte. Es war nur noch eine oberflächliche, offene Wunde, man hatte die inneren Schäden bereits geheilt, so dass Levi den Arm noch schonen musste, aber immerhin voll nutzen konnte. Auf jede weitere Heilung hatte er verzichtet. Die Mutanten hatten genug andere Patienten, die eine Behandlung deutlich notwendiger gehabt hatten.

"Wir sehen und nächste Woche und ich schwöre Ihnen, wenn sie auch nur einen weiteren Kratzer haben, werde ich Ihnen persönlich den Hals umdrehen." Unprofessionell, doch Levi akzeptierte ohne einen weiteren Kommentar. Er war sich mehr als sicher, dass sie ihre Drohung wahr machen konnte. Der Arzthelfer schien unbeeindruckt, widmete sich der Wunde, indem er sie nun steril versorgte.

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⏰ Last updated: Jul 13, 2018 ⏰

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