1. Kapitel

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Ich schlage die Augen auf und schaue wie immer als erstes meine Hände an. Unverändert, wie immer. Blasse, helle Haut, die von einem hellen Schimmer überzogen ist. Ich seufze. An liebsten will ich einfach liegen bleiben und in Selbstmitleid versinken. Dennoch stehe ich auf und nehme mir mein Outfit vom Boden. Ein hellrosa T-Shirt mit einer blauen Jeans. Nichts besonderes. Ich seufze noch einmal und ziehe mich um. Ich trete vor die Tür und erstarre. Wie lange habe ich geschlafen? Zu lange. Das komplette Schloss ist bereits mit Besuchern gefüllt. Achtlos laufen sie umher, um die verschiedenen alten Räume des Schlosses zu bewundern. Alles wie immer. Da fällt mir ein Mann auf der mich anstarrt und weiß wie eine Wand ist. Kann er mich sehen? Vorsichtig hebe ich die Hand und spüre einen Schlag. Ein anderer Mann ist von hinten durch mich durchgelaufen und begrüßt den Anderen.
Schade, ich hatte mich schon gefreut. Ich dachte, er könnte mich sehen. Während ich ein paar Räume weiter gehe, muss ich immer wieder Besuchern ausweichen, die das Schloss besuchen, in dem ich aufgewachsen bin.
Als ich durch eine Wand schwebe, spüre ich , wie sie unangenehm durch mich durch läuft.

Auch wenn viele Menschen denken, dass Geister einfach durch alles hindurch schweben können ist das nicht richtig. Klar kann ich durch eine Wand laufen oder einen Menschen, doch wenn ich nicht darauf vorbereitet bin, kann das sehr schmerzhaft sein.
Endlich bin ich in dem Raum angekommen, in den ich wollte. Hier kann kein Mensch hinkommen, weil der Raum keine Tür hat. Es ist einfach ein Hohlraum zwischen den Mauern des Schlosses.
Ich krieche in eine Ecke und nehme eine kleine Kiste heraus. Darin liegt ein kleiner Zettel. Er ist von der einzigen Person, mit der ich je reden konnte. Sie hat sich um mich gekümmert, als ich noch eine kleines Baby war, doch sie sagte mir immer, dass sie nicht meine Mutter ist. Ihren richtigen Namen kannte ich nicht, doch sie meinte ich soll sie einfach Tante Helen nennen. Ob sie wirklich so hieß habe ich nie erfahren.

Bis zu meinem 6 Geburtstag hätte ich nie gedacht, dass Menschen anders sind. An meinem 6. Geburtstag hat Helen mit mir einen Ausflug gemacht und da habe ich zum ersten Mal verstanden, was ich bin. Ein Geist. Eine Gefangene zwischen Leben und Tod. Jemand der in einer anderen Dimension lebt. Nicht existent für lebende Menschen. Von da an war das Gefühl einsam und allein zu sein mein stetiger Begleiter. Natürlich nicht wenn Helen dabei war, doch wenn ich meine Runden durch das Schloss, in dem ich aufgewachsen bin zog und die Menschen sah, die einfach durch mich durchliefen und mich nicht einmal wahrnahmen.
Helen erzählte mir, wie die wenigen Geister entstanden. Es gibt immer Ausnahmen, doch häufig werden Menschen Geister, wenn sie in einem Zeitloch sterben. Ein Zeitloch ist ein Ort an dem die Zeit keine Auswirkungen hat. Sie sind nicht von der Umgebung zu unterscheiden, doch stirb man darin, wird man ein Gefangener der Zeit. Man bleibt für immer so, wie man in dem Moment seines Todes ist. Nur bei Kindern ist das anders. Diese altern bis zu ihrem 18. Lebensjahr, dann bleiben sie für immer 18.
Die Frage, die ich mir immer wieder stelle ist: Wie bin ich gestorben? War ich meiner Mutter egal? Ich weiß es nicht.

Als ich 12 Jahre alt war hat mich Helen verlassen. Eines Morgens war sie weg und hat nur den Zettel hinterlassen, den ich seitdem wie einen Schatz hüte.
In dem Brief stand nicht wieso sie gegangen ist, aber immerhin, dass es ihr leid tut und ich nicht raus aus dem Schloss soll. 2 Jahre habe ich das getan, doch dann habe ich es nicht mehr ausgehalten und bin aus dem Schloss rausgegangen. Die Welt da draußen ist so bunt, dass ich jeden Tag raus gehe und versuche mein Dasein zu akzeptieren. Doch wie kann ich wenn mich niemand sehen kann und nur unter Anstrengung etwas anfassen kann, was nicht von Geisterhand geschaffen ist. Ich fühle mich so einsam.

Seufzend schiebe ich die Kiste zurück und verlasse den Raum. Früher habe ich mir einen Spaß daraus gemacht zu versuchen die Menschen zu erschrecken. Es hat nur einmal funktioniert und das nur, weil ich eine Vase herunter geschmissen habe. Danach habe ich sehr viel Ärger von Helen bekommen.
Jetzt wo ich jedoch 15 Jahre alt bin macht mir so etwas keinen Spaß mehr. Auch nicht ein paar Zentimeter über dem Boden zu schweben. Richtig fliegen kann ich nicht. Das einzige, was mich glücklich machen würde, wäre ein normaler Mensch zu sein. Traurig verlasse ich das Schloss und laufe durch den stillen Wald.
Der Wind bläst durch mich durch und macht mich noch wütender. Nicht einmal Wind kann mich treffen.

Auf einmal rennen zwei Kinder an mir vorbei. Dem einen fällt ein Zettel aus der Tasche. Darauf ist Werbung für irgendein Produkt abgebildet und oben auf dem Bild steht groß: Wünsch dir was  Vorsichtig hebe ich ihn auf und flüstere:,,Ich wünschte, ich wäre ein Mensch." Auf einmal leuchtet ein rotes Licht vor mir auf. Ich beuge mich vor und will es berühren, doch da geschieht es. Blitze zucken um mich herum. Feuer breitet sich rasend schnell aus. Mitten aus den Flammen steht ein brennender Mann und mir stockt der Atem, als ich ihn erkenne.

Zwischen Leben und TodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt