Eine Abhandlung über die Auswirkungen von häufigem Magiegebrauch auf den menschlichen Körper bot interessantes Lesematerial, auch wenn Gorr nur die Hälfte der Wörter lesen konnte. Mit dem Papier in der einen und einem voll mit Wasser in der anderen Hand nahm der bullige Halb-Ork fast die Hälfte des Tresens ein, an dem er saß. Sehr zum Unbehagen der wenigen anderen Kunden, die die Bar schon so früh am Morgen aufgesucht hatten.
Während Gorr an einem besonders kniffligen Wort rätselte, kam einer der Leute, ein glatzköpfiger Mann mit moderaten Muskeln, auf ihn zu. "Hey, Orkgesicht", begann er. Der Alkohol hatte schon Auswirkungen auf seine Sprache. "Einen Moment bitte", antwortete Gorr mechanisch. Das schien dem Mann nicht zu gefallen. "Hey, Monster!", rief er wütend und spuckte aus. "Dich Will hier niemand haben!"
Gorr nickte einfach. Er hatte kein Wort gehört, stattdessen hatte er all seine Aufmerksamkeit auf die medizinische Abhandlung vor seiner Nase konzentriert. Erst als der wütende Mann ihm grob an die Schulter fasste, realisierte er überhaupt, dass er im Fokus der ganzen Bar stand. Mehrere Augenpaare verfolgten jede seiner Bewegungen, ihre Besitzer dazu bereit, sofort das Weite zu suchen, falls die Situation eskalieren sollte.
"Ähm... Entschuldigung, was haben sie gerade gesagt?", fragte Gorr und verfluchte sich innerlich dafür, nicht aufgepasst zu haben. Der Betrunkene lachte laut. "Du hat richtig gehört! Verschwinde! Monster sind hier nicht willkommen", rief er laut. Bevor Gorr ihn informieren konnte, dass er eigentlich nur zur Hälfte Monster war, wandte sich der Mann an die anderen Gäste. "Findet ihr doch auch! Los, weg mit den Monstern! Weg mit den Monstern!", startete er den Sprechgesang. Ein oder zwei Leute stimmten halbherzig ein. "Weg mit den Monstern! Weg mit den Monstern!"
Gorr war sich unsicher, was er tun sollte. "Entschuldigung...", versuchte er, doch er wurde von dem Dumpfen Sprechgesang übertönt. "Entschuldigung!" Auch als er lauter wurde, beachtete ihn niemand, also stand er auf und griff nach der Schulter des Unruhestifters, der den Ärger erst gestartet hatte.
"Weg mit den Monstern! Weg mit den..." Alle anderen Gäste waren verstummt. "Hey was ist los?", fragte der Betrunkene, während er sich zu Gorr umdrehte. Er musste hochschauen. Vor ihm stand ein gut 2,15m großer, wie ein Schrank gebauter Halb-Ork, dessen vernarbtes Gesicht zu einer genervten Grimasse verzogen war. Der Mann brauchte einen Moment, in dem sein Gehirn die Informationen verarbeitete, dann wurde er so weiß wie Neuschnee.
"W-wir sind doch alle Kumpel hier...", meinte er schwach. Alle anderen Gäste wichen seinem Blick aus. "Sicher!", bestätigte Gorr freundlich und lächelte. Dies hatte den unbeabsichtigten Nebeneffekt, dass der Mann einen guten Blick auf seine gelblichen Hauer werfen konnte. "Gut, dass du das realisiert hast", meinte der Halb-Ork, zwar glücklich, dass er die Situation entschärft hatte, aber komplett unwissend, warum der Mann plötzlich seine Einstellung geändert hatte. Er hielt seinem Gegenüber eine Pranke hin, die mindestens so groß wie der Kopf des Mannes war. Dieser ging nicht darauf ein und torkelte auf schwachen so schnell wie möglich Knien aus der Bar hinaus. Gorr atmete tief durch, nahm einen Schluck Wasser und wandte sich wieder der Schrift zu.
Nach einigen Minuten, in denen Gorr drei weitere Wörter entziffert hatte, flog erneut die Tür auf. Mit dem Knall von Holz auf Holz und einem Fluch des Wirtes stand eine dem Halb-Ork wohlbekannte Figur im Türrahmen. "Tark!", grüßte er freundlich. Der junge Heiler kämpfte mit einem Stapel dokumente und hatte keine Hand frei um zurückzuwinken. Gorr konnte ihn leise Schimpfen hören, als der Stapel hin- und herschwankte. Er wollte gerade seine Hilfe anbieten, doch Tark unterbrach ihn. "Schnauze! Ich schaff das schon."
Vorsichtig senkte er den Stapel auf die Bar. "Siehst du?" Tark breitete die Arme aus und wandte sich zu Gorr. Doch mit seiner enthusiastischen Bewegung traf er einen der dicken Ordner. Der Turm schwankte nicht einmal. Zum Flattern des Papieres und Tarks lautem Fluchen breiteten Akten, Ordner und Notizbücher sich auf dem Boden aus.
Tark endete seine lange Schimpftirade, die ihn zum Mittelpunkt der Bar gemacht hatte, mit einem einfachen: "Dreck." Gorr klopfte seinem nach Luft schnappenden Freund auf den Rücken und fragte: "Was ist das überhaupt für Zeug?" Dieser bückte sich schon nach den verstreuten Papieren. "Neue Sachen mit denen du Lesen üben kannst.", antwortete er, nur um danach hinzuzufügen: "Ich habe die Archive der Akademie ein Bisschen geplündert."
Gorr konnte die Titel einiger Akten gerade so entziffern. Es handelte sich bei allen um medizinische Schriften. "Das ist viel zu lesen", merkte er an. "Irgendwie musst du es ja üben", schoss Tark zurück. Er hatte die meisten Ordner mittlerweile aufgehoben und ließ sich in einen Stuhl neben seinen Freund fallen.
"Denk dran: Trink nicht zu viel Alkohol morgens!", erinnerte er Gorr, der einen Schluck Wasser wagte. "Ich habe eben schon wieder einen Typen gesehen. Bleich wie eine Leiche war der. Hat einfach in die Gasse gekotzt", erzählte Tark. "Einige Leute kennen einfach ihre Grenzen nicht, was Alkohol angeht." Daraufhin rief er dem Wirt zu: "Das Übliche bitte!" Der kam sofort mit einem großen Glas starken Alkohols und nahm Tarks Geld dankend an.
"Und? Wie war dein Morgen?", fragte der Magier zwischen seinen großen Schlücken. "Interessant", antwortete Gorr zögerlich. Er wollte nicht unbedingt ins Detail gehen. "Steht heute irgendetwas an", wechselte er stattdessen schnell das Thema.
"Interessanterweise, ja." Tark knallte sein schon fast leeres Glas auf den Tisch und begann, den Stapel Papier zu durchsuchen. "Deshalb musste ich dich eigentlich aufsuchen. Den anderen Kram habe ich für dich in letzter Sekunde rausgesucht", fügte er hinzu. Gorr zweifelte dran, dass sein Freund all dieses Material in "letzter Sekunde" rausgesucht hatte, doch er sagte nichts. Stattdessen beugte er sich über den Papierfetzen, den Tarek aus dem Stapel gefischt hatte. Die Handschrift war krakelig und wild, Gorr war froh, dass sein Freund ihn nicht dazu zwang, vorzulesen.
"Wir beide wurden an der Seite unseres Vorstehers an einem Treffen der wichtigen Leute dieser Stadt eingeladen, der Vorsteher der besten Arenakämpfer", erklärte Tarek und seufzte. "Das..ist wichtig, oder?", fragte Gorr. Er hatte sich noch nicht wirklich mit der politischen Seite der Arenakämpfe auseinandergesetzt. "Ziemlich wichtig", antwortete Tarek. "Da sind sehr viele der großen Namen bei. Zanxi Sturmgeboren, Varian Caliburn...", begann er aufzuzählen. Alle von diesen Kämpfern lockten Tausende in die Arena. Sie waren das Gesicht der Stadt.Gorr wurde schwindelig "Ich glaube nicht, dass ich für sowas bereit bin...", murmelte er. "Keine Sorge, unser Boss hat mich angewiesen, für dich zu sprechen. Du musst einfach nur in deine Figur des 'wilden Orks' schlüpfen und die Leute da beeindrucken", wies Tarek ihn an.
"Wenn du meinst...", seufzte Gorr, woraufhin ihn sein Freund ermutigte:"So musst du denken!"
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Blutige Spiele
FantasyGorr ist ein Halb-Ork und ein relativ neuer Teilnehmer an den Schaukämpfen in den Arenen von Sanguinsburg, der Stadt des Geldes, des Schweißes und des Blutes. Doch als er an einem Unfall in der Arena beteiligt ist, werden die Schaukämpfe plötzlich z...