Ohne Dich

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  Ich habe das Gefühl, dass alles um mich herum nur noch verschwommen ist. Kaum noch nehme ich mein Umfeld wahr. Ich spüre Schmerzen, große Schmerzen. Sie dringen aus meiner Brust, aus meinem zerbrochenem Herzen. Mit jedem Herzschlag spüre ich die einzelnen Scherben, die blutenden Stellen.
Immer wenn ich versuche, nicht daran zu denken, werden meine Gedanken nur noch schlimmer. Und dann stehe ich da, unfähig mich zu bewegen, beinahe unfähig zu atmen. Ich fühle mich wie betäubt.
Jegliche Ablenkung hat bisher nichts gebracht und ich denke, dass in der kommenden Zeit auch keine etwas bringen wird. Denn meine größte Ablenkung von allem schlechten ist nicht mehr da. Du bist nicht mehr da. 



Ich hätte nie gedacht, dass ich innerhalb weniger Tage jemanden so stark vermissen kann. Dass mich jemand so traurig stimmen kann. Richtig traurig konnte ich nie sein, denn immer, wenn ich es war, hast du mich wieder aufgemuntert. Wer muntert mich jetzt auf? 



Ich habe nie daran gedacht, dass du uns – mich – verlassen könntest. Ich habe nie daran gedacht, dass du diesen Weg eines Tages gehst, den Weg ohne uns. Ich habe nie gedacht, dass du einmal deine Worte ernst meinen könntest, die du manchmal sagtest. Und immer habe ich gedacht, dass wir uns immer alles erzählen, egal ob gutes oder schlechtes. Das hast du dieses Mal nicht getan.
Aber auf dich sauer sein kann ich nicht, nicht wirklich. Dafür bist du mir zu wichtig. 



Den Tag, an dem Till zu uns kam und uns sagte, dass du nicht mehr wiederkommen wirst, werde ich nie wieder vergessen. Ich wollte es nicht wahrhaben. Ich hielt es für eine Lüge, einen schlechten Scherz. Ich wollte zu dir, sofort. Aber er hatte Recht, du warst wirklich gegangen, ohne auch nur ein Sterbenswörtchen zu sagen.
In dem Moment wusste ich nicht, was ich fühlen sollte. Wut, Trauer, Enttäuschung...
Heute weiß ich es. Ich bin traurig, sehr traurig. Wut und Enttäuschung...dafür habe ich keine Kraft, zumindest im Moment nicht.



Ich wollte nur noch raus, weg von allen. Ich wollte heulen, schreien, zusammenbrechen und nicht mehr aufstehen. Wie von allein führten mich meine Beine zu deiner Wohnung. Ich hatte einen Ersatzschlüssel. Für den Notfall sagtest du mal zu mir.
Ich ging hinein, alles war wie immer. Als würdest du gleich wiederkommen. Genau das wünschte ich mir in dem Moment, dass du wiederkommst, mich umarmst und sagst, dass alles gut wird und du da bist. Für immer da bist, mich nie verlässt.


Aber du kamst nicht. Du bist bis heute nicht wiedergekommen und so langsam realisiere ich, dass du nie wiederkommen wirst. Ich realisiere so langsam, dass du mich verlassen hast. Es schmerzt. Kennst du dieses Gefühl, wenn dein Herz Stück für Stück in tausende Stücke zerbricht?


Zittrig ging ich durch deine Wohnung, alles war wirklich wie immer. Dabei fand ich ihn, deinen Brief. Deine Gründe, für dein Gehen, ohne uns deine Entscheidung mitzuteilen. Ich las sie mir durch, war kurz davor, Dinge zu zerstören oder einfach in Ohnmacht zu fallen. Doch nichts dergleichen tat ich. Vor lauter Tränen konnte ich irgendwann die Zeilen nicht mehr lesen, zu verschwommen war meine Sicht. Mir wurde schlecht, ich brauchte frische Luft.


Diesen Schwindel, diese Übelkeit verspüre ich immer noch. Sie wollen nicht verschwinden. Manchmal wundere ich mich selbst, dass ich überhaupt noch grade stehen kann.


An dem Tag konnte ich nur rennen. Vor allem wegrennen und leise hoffen, dass es sich als schlechten Scherz herausstellt. An diesem Tag habe ich mich betrunken, wollte dieses Geschehene komplett aus meinem Kopf verbannen. Je mehr Tränen kamen, desto mehr Alkohol floss. Er vernebelt alles in meinem Kopf, bis ich an nichts mehr dachte.

Ohne DichWhere stories live. Discover now