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Thalia

Die Treppe ist voll und mir kommen alle möglichen Menschen entgegen und ich versuche mich so klein, wie möglich zu machen aber das bringt nichts, denn ich werde trotzdem von links und rechts angerempelt oder gestreift.

Als ich endlich am Ende der Treppe angekommen bin, bin ich so außer Atem, dass ich erst einaml für ein paar Sekunden ausschnaufen muss.
Verdammte Ausdauer.

Ich hasse Treppen und dann auch noch am Morgen, das ist einfach zu viel verlangt.

Ich blicke mich im zweiten Stockwerk um und bemerke , dass ich dem Zimmer 226 immer näher komme.

Ich biege um die nächste Ecke und mir kommen drei bildhübsche Mädchen entgegen, die ungefähr in meinem Alter sein sollten.

,,Aber ihr ist bei dem Unfall nichts passiert.'', sagt die größte der drei Blondinen in einem Ton, der glaube ich Erleichterung aussprechen soll, wenn ich mich nicht täusche.

Und wie immer kommt der heftige Schmerz, der sich durch mich Herz bohrt.

Allein das Wort ,,Unfall'' erinnert mich an all das, was ich versuche hinter mir zu lassen.
Ich sehe es genau vor mir:

Überall Schrott und um mich herum Blau-und Rotlichter.
Ich sehe ihn am Boden liegen, in seinem eigenen Blut und seine Körperglieder verdreht in Winkel, die alles andere als gesund aussehen.
Ich bilde mir ein, er öffnet seine Augen und schaut mich voller Hass an.

Ich zucke zusammen und ich spüre, wie meine Augen zu brenne und tränen beginnen.

Dieser Albtraum erscheint mir nicht nur Nachts. Er verfolgt mich bei jedem Schritt und bei jedem Atemzug. Er ist mittlerweile ein fester Bestandteil meiner Gedanken und erscheint mir immer in den unpassendsten Momenten.
Es lässt mich nicht los. Und bringt mich um den Verstand.

Ich kneife meine Augen zusammen und balle meine Hände zu Fäusten und atme tief durch.
Du wirst nicht weinen, Thalia

Ich kann das. Du schaffst das.

Ich habe ganz bestimmt nicht all meinen Mut zusammen genommen und meine Familie verlassen, um Kilometer von zu Hause entfernt studieren zu können, nur um dann wieder in Tränen auszubrechen.

Du schaffst das. Ich kann das.

Es sind immer die gleichen Worte die ich, wie in einer Dauerschleife in meinem Kopf abspielen lasse.
Es hilft mir, mich zu beruhigen und es gibt mir die Kraft, um für meinen Tarum zu kämpfen:

Ohne Trauer leben zu können.
Mehr möchte ich nicht und mehr verlange ich auch nicht.

,,Vielleicht sehen ihre Haare heute durch den Unfall  aus wie ein Vogelnest.'', mit dem Lachen und den Worten reißt mich das Trio aus meinen Gedanken und aus meinem Albtraum.

Ich werde solche Mädchen nie verstehen können, ist es denn so schwer sich um seinen eigenen Kram zu kümmern?

Ich überhöre die nächsten Worte gekonnt und bekomme, wie immer nichts von der Konversation und der Außenwelt mit und gehe in schnellen Schritten den langen Flur entlang.

Da sind nur noch ich und meine Gedanken, die den Raum 226 suchen.
Ich habe in den letzten Monaten gelernt, wie man sich ohne Probleme von der Welt abschottet und ganz alleine mit seinen Gedanken bleiben kann.

Für mich ist dass ein Segen, der mich in eine Welt eintauchen lässt, die nur ich sehen und hören kann und in die ich in schwierigen oder stressigen Situationen fliehen kann.

Mit schnellen Schritten laufe ich bis an das Ende des Flures und gehe in Gedanken meinen Tagesablauf noch einmal durch.

Meine Kurse für heute besuchen und gut aufzupassen, um mein erstes Studienjahr gut zu starten.
Meine Schwester anrufen, um sie zu fragen, wie ihr Tag war.
Und in der Pause vielleicht ein paar Studenten kennenlernen und mich informieren und zur guter Letzt endlich meine Mitbewohnerin im Wohnheim zu treffen, denn komischer Weise ist sie bisher noch nicht aufgetaucht.

Vor der Tür bleibe ich stehen und nehme einen tiefen Atemzug.

Du schaffst das. Ich kann das.

Und dann betrete ich den Raum und das Erste was ich erblicke, als ich meinen Blick in den Raum richte, sind die grünen Augen, die ich so dringend versuche zu vergessen.

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