Momi

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Kahekili war schon immer ein eher ruhiger Junge. Anders als die anderen Jugendlichen in seinem kleinen hawaiianischen Dorf mochte er es nicht so laut grölend über den Sandstrand einem Ball hinterherzujagen. Er saß lieber allein auf dem Steg vor seiner Hütte, die wie alle anderen auf Stelzen gebaut war, sodass direkt unter ihm die Wellen dahinschwappten. Hin und wieder spritzte Wasser zu ihm hinauf und er genoss die kurze Abkühlung von der schwülen Hitze. Wie immer um diese Jahreszeit war am Himmel keine Wolke zu sehen, die Sonne brannte ungebremst auf sein kleines Fischerdorf hinunter. Seit Monaten schon hatte es nicht mehr geregnet. Doch er wusste, dass es nur mehr eine Frage der Zeit war, bis die Stürme wieder anfingen. Sie kamen jedes Jahr und jedes Jahr hinterließen sie ein Feld der Zerstörung. Sie waren erst vor zwei Monaten mit der Reparatur der Schäden von der letzten Saison fertiggeworden.

Kahekili mochte die Stürme nicht. Ein besonders starker, der beinahe das ganze Dorf dem Erdboden gleichgemacht hat, hatte ihm vor drei Jahren seine Eltern genommen. Er war damals 14 gewesen und musste von da an alleine zurechtkommen. Die anderen im Dorf unterstützten ihn zwar, aber er wollte niemanden zu lasten fallen. Sein Vater hatte ihm schon das Fischershandwerk beigebracht, deswegen konnte er auch seinen Beitrag zur Gemeinschaft beitragen und jeder akzeptierte, dass er lieber für sich blieb. Gelegentlich kamen welche aus den anderen Hütten vorbei um nach ihm zu sehen, aber das war es auch schon. Und Kahekili war froh deswegen. Er vermisste seine Eltern oft, aber er wusste, dass sie an einem besseren Ort waren. Die Götter hatten sie zu sich ins Meer geholt, wo sie nun glücklich waren und eines Tages würde Kahekili zu ihnen kommen.

Er blickte weiter aufs Meer hinaus. Er mochte das Meer. Es war eines der schönsten Dinge auf dieser Erde, und gleichzeitig auch eines der gefährlichsten. Hier in Hawaii war das Wasser türkisfarben und klar, wenn er sich anstrengte, konnte er sogar noch den Grund sehen, der ungefähr zwei Meter unter der Wasseroberfläche war. Ein Schwarm kleiner silberner Fischchen schwamm unter ihm vorbei und verschwand unter dem Steg.

Wenn er hier alleine saß und gen Horizont schaute, konnte er sich beinahe einbilden, nicht mehr hier im Dorf zu sein, sondern weit draußen am Meer, wo weit und breit nichts weiter war, als Wasser, wohin das Auge auch blickte. Und wenn er die Augen schloss und sich stark konzentrierte, dann konnte er sie neben sich spüren.

Kahekili hatte nämlich ein Geheimnis. Jeden Abend ging er ein Stück den Strand entlang, gerade soweit, dass man ihn vom Dorf aus weder sehen noch hören konnte und dort wartete er dann am Wasser, wartete auf sie. Sie kam nicht immer, nur alle paar Tage, manchmal hatte er sie schon mehrere Wochen nicht gesehen. Jede Nacht, die sie ihn besuchen kam, war ein Geschenk und er hoffte, dass heute wieder eine solcher Nächte war. Er hatte noch nie einer Menschenseele davon erzählt, nur er wusste davon und das war gut so. Er wollte sie mit niemandem teilen.

Er blickte auf zur Sonne, sie stand schon recht tief und der Himmel begann sich langsam rosa zu färben. Er lächelte. „Ich bin bald wieder bei dir, meine Perle", flüsterte er in die Wellen. Er wusste, dass sie ihn hören konnte. Eine besonders hohe Welle spritzte ihm ins Gesicht. Er kicherte und hob die Perle, die er immer an einer Kette um den Hals trug, an seine Lippen. Dann erhob er sich seufzend. Er musste an den Strand, wo die alten seines Volkes schon ein Lagerfeuer gezündet haben und das Abendessen vorbereiteten. Es war selbstverständlich, dass am Abend das ganze Dorf zusammenkam, um gemeinsam zu speisen und den Göttern zu danken, dass sie uns einen weiteren Tag versorgten und uns gestatteten, die Fische zu fangen um uns zu ernähren.

Auf dem Weg zum Strand begegnete er noch anderen Leuten seines Stammes und gemeinsam bewegten sie sich Richtung Lagerfeuer. Stimmengewirr und fröhliches Lachen erschall. Obwohl Kahekili sich eher als Außenseiter fühlte und auch jetzt für sich ging, mochte er dieses Ritual am Abend, wo alle zusammenkamen und gemeinsam aßen. Es zeigte ihm, dass er trotz allem noch eine Familie hatte, auch wenn er seine Eltern verloren hatte.

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