Prolog

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„Weißtdu,", sagte ich leise und schaute ihm tief in die Augen, „ichhabe Angst." Er wich meinem Blick aus, raufte sich durch die Haareund machte keine Anstalten, mir zu antworten. „Ich habe Angst.",wiederholte ich in der Hoffnung, dieses Mal durch den Schleier seinerGedanken oder durch seine bloße Ignoranz durchdringen zu können.Wie ich ihn kannte, war es eine Mischung aus beidem, denn wenn Nathanmich nicht hören wollte, dann hörte er mich nicht. „Nathan,antworte mir bitte...", flüsterte ich verzweifelt. In mir balltesich Wut zusammen. So war es immer. Ich war nie traurig. Ich warwütend. Es begann, in mir zu brodeln und es braute sich ein dunklerStrudel aus heißen Emotionen in meiner Brust zusammen. In einerletzten Hoffnung, mich zu beherrschen schloss ich meine Augen,wodurch ich verhindern konnte, ihn mit meinem entnervten Blick zuprovozieren. Mein energisches Atmen zu Überspielen gelang jedochnicht, weswegen Nathan mir einen kurzen, bösen Blick zuwarf. „Na,bist du sauer?", fragte er missbilligend. Immerhin habe ichseine Aufmerksamkeit gewonnen,dachte ich mir in einem Anflug von Hoffnung, dass er mir nun endlichzuhören würde und sich meine Wut legen könnte. Jedes derartigeGespräch war für mich nicht nur ein zwischenmenschlicher Konflikt,sondern auch ein Kampf mit mir selber und dieser war meist vielhärter, viel erbarmungsloser als der mit der Person gegenüber vonmir. Wieso streiten Nathan und ich uns nur ständig, ginges mir durch die Gedanken, als ich entkräftet zu einem weiterenAnlauf antrat: „Nathan... ich habe Angst und ich habe keine Kraftmehr, mich mit dir zu streiten, denn wir sind mit Sicherheit unserkleinstes Problem." „Ich will mich nicht streiten, Dana.",antwortete mein Freund. Diese Antwort war so typisch von ihm, soleicht vorauszusehen. In meinem Kopf raste es, mein Pulsbeschleunigte sich immer mehr bis ich mein Blut in meinen Ohrenrauschen hörte. Das Adrenalin feuerte durch meinen Kreislauf und ichhielt es nicht mehr aus... Ich sprang auf. In einem Augenblick hatteich die gegenüberliegende Seite des Zimmers erreicht, riss die Türauf und verschwand im Flur. Dort griff ich meinen Mantel und meineSchlüssel und wollte weiter rennen. Ich wollte hören wie dieWohnungstür hinter mir ins Schloss fiel und ich wollte sehen, wiemeine Füße mich die Treppen hinunter ins Erdgeschoss tragen würden,wo ich den Weg auf die Straße finden würde, wo ich in derverregneten Großstadt, die vor diesem Haus lag, untergehen könnte,wo die Menschenmassen mich verschlucken würden und wo ich eine dervielen unglücklichen, eine der unzähligen wütenden Seelen wäre.

InNathans Wohnung fühlte ich mich an Tagen wie heute wie ein roterFeuerball, ein Feuerwerk der Verwüstung, eine Supernova, gefangen ineinem Schmuckkästchen. Neben Nathan, der wie ein zarter blauerSchleier in der Welt stand, der niemals Wut zeigte, der niemals vorlauter Emotionen überschäumte, kam ich mir vor wie die größteSupernova, die das Universum je gesehen hatte. Hinter mir öffnetesich die Tür zum Wohnzimmer. Mein Freund lehnte sich gegen dieTürzarge und ich fand mich, wie ich mit meinem Mantel und meinemSchlüssel im Schoß auf den Boden gesackt war. Ein erloschenesFeuer. „Du brauchst keine Angst haben, Liebling. Ich bin dochhier.", gab er gelassen von sich. Wie kann er soentspannt sein, wo gerade doch so viel passiert ist?, fragteich mich, während mir klar wurde, dass alles nur in meinem Kopfgeschah. Wie immer. In Nathans ruhiger Realität war ich lediglichein weiteres Mal zur Wohnungstür gestürmt und nicht weitergekommen. „Babe... steh auf, ich kümmere mich um dich." Nathanstreckte mir seine Hand entgegen und kniete sich neben mich, als ichdiese nicht annahm. Vorsichtig nahm er meine Jacke, betrachtete siekurz und hängte sie dann fein säuberlich zurück an ihren Platz.Dort wo sie seit 6 Jahren hing. Er nahm auch meinen Schlüssel undhängte ihn an das kleine Schlüsselbrett neben unserer Eingangstür.„Home is where your heart is", stand dort in verschnörkelterSchrift. Wie passend. „Eines Tages gehen wir gemeinsam raus, ichverspreche es dir. Du brauchst Zeit und es ist ganz normal, dass duAngst hast, Dana." Wie sehr ich ihn liebe... Manchmalwusste Nathan einfach genau, was er sagen musste um mich zuberuhigen. In diesen Momenten war es perfekt, dass seine Seelehellblau schimmerte, denn nur so konnte er das lodern meinerbesänftigen. Eines Tages würden wir gemeinsam raus gehen. Ich würdees schaffen und irgendwann würde ich mit meinem Schlüssel dieWohnungstür von außen abschließen. Ich nahm schließlich NathansHand entgegen und ließ mich von ihm aufs Sofa begleiten. Wirverbrachten den Abend gemeinsam hier, Nathan musste nicht arbeiten.Die halbe Nacht lang kraulte er meinen Rücken und flüsterte mirimmer wieder besänftigende Worte zu. Er war mir die größte Stütze,er half mir über jedes Tief hinweg und hob mich anschließend hochin den Himmel. An diesem Abend schliefen wir miteinander undverharrten noch eine lange Zeit eng umschlungen auf unserem großenSofa. Das Licht der Stadt schimmerte durch die Fenster, ruhte aufunserer Haut und ließ Schatten in unsere Gesichter fallen. Der Regenhatte nachgelassen, doch immernoch wurden vereinzelte Regentropfenvon dem Wind gegen die Scheiben gepresst. Hier und da hörte manStimmen aus der Ferne oder Autos, die sich über den Asphalt schoben– Menschen die vom Feiern nach Hause kamen oder die auf dem Weg zurArbeit waren.

Eswar einer der schönsten Abende seit einer langen Zeit, was mich inder Annahme, dass dies das richtige Leben für mich sei, immer mehrbestärkte. Hier gehöre ich hin.

Gefangen in dirWo Geschichten leben. Entdecke jetzt