Unverhofftes Wiedersehen

25 1 0
                                    

Das bereits vierte Vorstellungsgespräch diesen Monat. Man sollte meinen, ich hätte mich längst an die aufkommende Nervosität gewöhnt, doch meine Finger zittern. Und auch meine Schultern - nein, mein ganzer Körper bebt. Ob vor Kälte oder Aufregung weiß ich nicht. Mit klammen Fingern ziehe ich meinen Schal höher, sodass er mir bis an die Nasenspitze reicht. Doch das Gefühl bleibt. Dieses Mal noch weitaus stärker als die letzten Male.

Fühlt sich so Verzweiflung an? Ich brauche endlich wieder einen Job und dass ich diese Zusage für ein Gespräch bekommen habe, war wirklich die Krönung. Vielleicht bin ich deswegen umso mehr angespannt.
Mein Zug ist bereits da und auch hier im Warmen kann ich nicht aufhören zu zittern. Selbst die Musik im Ohr lenkt mich nicht ab - was ist heute nur los? Noch drei Minuten. Zum weiß Gott wievielten Mal gehe ich im Kopf meine Worte durch, aber so richtig konzentrieren, kann ich mich doch nicht. Seufzend stehe ich auf und nehme meine Tasche vom Boden, die mir im selben Augenblick wieder aus den Händen gleitet und ihren kompletten Inhalt von Bewerbungsunterlagen, über Taschentücher und Kleingeld, bis hin zu meinem Schlüsselbund auf dem schmutzigen Zugboden verteilt. „So ein Mist.", zische ich zwischen zusammengebissenen Zähnen und ernte dafür nur den missbilligenden Blick einer älteren Dame. Das fängt ja wirklich gut an... Rasch beeile ich mich meine Sachen vom Boden zu lesen, weil der Zug bereits in den Bahnhof einfährt.
Ungeschickt stopfe ich meine Kopfhörer zuletzt zurück, werfe noch einen Blick in die Scheiben und nehme am Rande wahr, dass es schneit, ehe ich durch die Türen haste.
So richtig bewusst wird es mir aber erst, als dicke Schneeflocken mich umwehen und die kalte Luft mich zumindest für den Moment wieder klarer denken lässt.

Unruhig rutsche ich auf dem Plastikstuhl hin und her. Schon seit einer Minute kann ich das unverhohlene Mustern meines Gegenübers spüren, was mir nicht gerade behagt. Ich wünschte, ich könnte von mir behaupten, kompetent zu wirken und professionell aufzutreten. Doch bereits jetzt weiß ich, dass es mir heute wieder nicht gelingen wird, zu überzeugen.

Im Kopf bin ich längst alle Szenarien durch gegangen, für jede Frage habe ich mir eine Antwort zurechtgelegt - das glaube ich zumindest. Ich hasse es, schon seit ich denken kann, unvorbereitet zu sein.

Warum sieht der Typ mich denn so kritisch an?
Vorsichtig, fast beiläufig, lasse ich meinen Blick zu ihm wandern und zucke zusammen.

Sofort beuge ich mich wieder peinlich berührt über meine Unterlagen. Dieser Blick! So provokant und gerade heraus und... hatte ich diese braunen Augen nicht schon einmal gesehen? Ich spüre wie meine Wangen zu glühen beginnen und senke meinen Blick noch mehr, sodass meine dunklen Haare mir ins Gesicht fallen und ihm so hoffentlich jede Sicht verwehren.
Eine Gänsehaut überzieht meine Arme und ich bin mir bewusst, dass es dieses Mal nicht an der Nervosität wegen des bevorstehenden Gespräches liegt. Ich spiele kurz mit dem Gedanken, den jungen Mann noch einmal genauer anzusehen, doch die Entscheidung wird mir im nächsten Moment abgenommen.
„Kommen Sie bitte?"
Beinahe synchron fragen wir: „Wer?"
Der Klang seiner Stimme lässt mich zusammenzucken und ich nehme nur nebenbei wahr, wie die streng dreinblickende Frau uns beide erneut auffordert, mit ihr zu kommen.

Ehe ich in der Lage bin die Situation vollständig zu analysieren, geht das Interview los und trifft mich mit einer Wucht, die ich nicht in Worte fassen kann. Wofür hatte ich mich so lange vorbereitet und verschiedene Szenarien durchgespielt, wenn es nun doch so anders vonstatten geht?
Ein verdammtes Partnerinterview soll das werden? Ohne ein Wort über die Firma zu verlieren, beginnen die Frau und zwei weitere Männer mit Fragen, die wir abwechselnd beantworten müssen.

Meine Nervosität beginnt sich zu legen, als ich Gelegenheit bekomme über meine Laufbahn zu sprechen. Schnell jedoch werde ich wieder unterbrochen, was mich für einen kurzen Moment erneut aus der Fassung bringt.
„Als Sanitäterin in der Bundeswehr also? Und zwar in...", mit ihrem Zeigefinger sucht die Frau in den Papieren auf dem Schreibtisch, nur um mich gleich darauf mit einem skeptischen Blick zu tangieren. „In Afghanistan.", vervollständige ich somit ihren Satz.
„Seltsam... was für Zufälle es gibt! Hier steht, dass auch Sie, Herr Brandt in Afghanistan waren, jedoch als Soldat und..." Erneut sucht sie in ihren Unterlagen und ich warte wie gebannt auf das, was als Nächstes kommt. Ich hätte für ihre Worte bereit sein können und doch ist es, als würde mir jemand einen Eimer Wasser ins Gesicht leeren.

Unverhofftes WiedersehenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt