2. Kapitel

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Der Weg zur Zentrale führt mich durch scheinbar unendliche Straßen und kostet mich Unmengen von Zeit, denn ich schlendere. Gemütlich schlendere ich durch die Gassen, niemand könnte darauf kommen, dass ich auf dem Weg bin, einen schrecklichen Auftrag in Empfang zu nehmen. Doch das ist es was ich will, abschalten. Ich darf vor meinen Vorgesetzten keine Gefühle zeigen, ich muss kalt, bitter und entschlossen wirken, wie all die andern Todbringer. Sie alle haben keinesfalls Probleme damit, jemandem das Leben zu nehmen, egal ob es ein Niemand, der Nachbar oder gar die eigene Mutter ist.

Vor kurzem hab ich von einem jungen Todbringer gehört, der seinen eigenen Vater opfern musste. Er war kaum älter als ich, man erzählte sich er sei neunzehn gewesen, hieße Alec und hätte blondes Haar. Jedenfalls hatte er am nächsten Tag der Zuweisung, also dem Fünfundzwanzigsten, an dem wir die neuen Eigenschaften verkündet bekommen, ganz verweinte Augen und hin und wieder lief ihm eine Träne über die blasse Wange. Das war für unsre Anführer Grund genug, ihn zu verstoßen. Das heißt, dass er wieder zu einem normalen Mensch wird und seine Aufgabe als Todbringer verliert. Für mich wäre es ein Segen diese erdrückenden Auftrag abgeben zu können, doch man munkelt, dass jeder Verstoßene kaum mehr als 3 Monate überlebte und jeder einzelne starb an einem Einundzwanzigsten, dem Tag der Abrechnung oder des Opfers. Er trägt viele Namen. Die Ereignisse häuften sich und schon bald war jedem klar, dass unsere Anführer genau das bezweckten, sie wollten den Tod, als Strafe für die Ausgestoßenen. Also gaben  sie dem Todbringer des Gebiets, in dem der verstoßene lebte, genau die Eigenschaften, die auf den Ausgestoßenen zutreffen. Wenn sie wollen, dass jemand bestimmtes stirbt, gibt es kaum Chancen, dass man einen anderen mit exakt diesen Eigenschaften findet. Egal wer es ist, ob Onkel, Oma, Freunde oder Ehefrau, der Mensch muss geopfert werden. Noch scheint Alec zu leben, aber niemand hat von ihm gehört und es ist nur eine Frage der Zeit bis auch er vernichtet wird.

Da taucht sie vor mir auf, die Zentrale. In dem grauen sehr sterilen Gebäude sind die Fenster immer verschlossen und es ist unmöglich hinein zu gelangen, wenn man kein Todbringer ist. Jeder von uns trägt ein kreuzförmiges Muttermal über der Pulsader am Handgelenk, welches uns den Eintritt in die zentrale ermöglicht. Ich halte es unter einen Scanner in einer Lucke am Tor und die großen Torflügel schwingen mit einem raunen auf und ich gehe rasch auf das große graue Eingangsportal zu. Ich bin wie immer eine der letzten und stelle mich zu einigen meiner Freunde, doch ich starre sie nur kurz an und nicke, denn eine überschwängliche Begrüßung oder gar ein Handschlag, wäre eine gewisse Art von Gefühle zeigen  und würde uns alle in große Schwierigkeiten bringen. 

„Maggie, bist du es?“, jemand flüstert mir von hinten zu. Ich drehe mich um und sehe in Joes tief dunkelbraune Augen. „Ja, ich bin es.“, beantworte ich seine Frage. Wieso sieht er so verstört und wütend aus. Ich muss schwer mit mir ringen, dass ich ihm nicht um den Hals falle, um ihn zu trösten. Joe ist einer meiner ältesten Freunde und seit etwa einem halben Jahr sind wir sogar ein Paar, was ich mit ihm schon alles durchgestanden habe, kaum vorstellbar. Beispielsweise unsere Ausbildung zum Todbringer, schreckliche Dinge haben wir gesehen und getan, Dinge für die wir bei den Menschen längst  lebenslänglich im Knast säßen. Doch dann ganz plötzlich vor etwa drei Wochen hat er mich verlassen. Nur mit den Worten: „Du begehst einen schrecklichen Fehler,  vergiss mich besser“. Seit diesem Tag habe ich nichts von ihm gehört und ihn nicht mehr gesehen. Er war wie von der Bildfläche verschwunden. Ich habe Nächte lang nur dagesessen und ins leere gestarrt, habe mich gefragt, was ich ihm den getan hätte. Immer wieder habe ich seine Worte in meinem Kopf abgespielt. „…vergiss mich…“, aber ich konnte ihn nicht vergessen, so sehr ich auch wollte. Er hat mich einfach alleine gelassen und das auch noch einen Tag vor der Abrechnung. Doch jetzt taucht er einfach wieder auf.

Ein Gemisch aus Wut, Liebe und Enttäuschung kommt in mir hoch. Doch ich muss es kommentarlos herunterschlucken. Ich darf jetzt nicht die Kontrolle verlieren.  Erschütternde Erinnerungen schießen mir durch den Kopf, als Joe mich aus meinen Gedanken reist: „Ich muss mit dir reden. Es ist sehr dringend.“ „Was jetzt?“, frage ich verwundert, „Das ist wirklich nicht der richtige Ort für ein solches Gespräch.“ Er sieht mich eindringlich an und ich bemerke wie ernst es ihm ist, scheinbar scheint ihn irgendetwas schwer zu beschäftigen. Er versucht mich an den Rand der Menge zu drängen. Immer wieder sage ich ihm, dass wir jetzt nicht weg könnten und das sie uns erwischen würden, doch er hört nicht auf mich. Mein Kopf beginnt zu pochen, ich stämme mich gegen seinen muskulösen Körper, der mich immer weiter weg drängt. All die Verletzlichkeit und Trauer verschwindet aus seinen Augen, er behandelt mich wie einen Feind. Was ist bloß mit ihm los. Er ist viel stärker als ich, sodass wir schon fast am Rand der Hintertreppe, die in einen kleinen überwucherten Garten führt, stehen.  Ich kann nicht mehr, ich weiß ich kann ihm nicht mehr lange stand halten. Meine Gedanken drehen sich wie wild,  mein Kopf hat all seine Ordnung verloren. Immer wieder zische ich ihm ins Ohr er solle mich in Frieden lassen und wir können das doch später besprechen. Ich muss voll kommen gefühlslos bleiben, keiner der Wächter darf sehen, wie wir beide miteinander rangeln, sie würden diese unüberlegte Handlung als Gefühlsausbruch abstempeln. Das Portal öffnet sich und Joe wird nach vorn gedrängelt, jetzt kann er mich nicht weiter bedrängen. Ich drücke mich vor bis zu Andy, einer alten Sandkastenfreundin, und verschwinde mit ihr in den tiefen grauen Versammlungssaal. Hinter mir erblicke ich noch einmal Joes verzweifeltes Gesicht, doch ich kann mein Leben nicht aufs Spiel setzten, nur um mir seine Sorgen anzuhören. Das muss Zeit haben.

Seit etwa zehn Minuten sitze ich nun schon auf einem ebenfalls grauen Klappstuhl in der großen kalten Halle, ganz still und starr. Ich muss mich fassen, meine Gedanken ordnen. Joe ist mein bester Freund und nie hatten wir eine Auseinandersetzung wie diese. Er war immer der vernünftige gewesen, der Vorsichtige, der niemals einfach so sein Leben aufs Spiel gesetzt hätte für ein lächerliches Gespräch. Er ist der Sohn einer der führenden Räte der Todbringer und eigentlich dürfte er nicht einmal den Kontakt zu mir pflegen.  Ich kann keinen klaren Gedanken mehr fassen und in knapp einer halben Stunde wird die Zeremonie beginnen. Doch ich hab kaum länger Zeit, meinen Kopf weiter zu ordnen, als plötzlich Joe hinter mir auftaucht. Er sagt mit einem Blick auf Andy, die neben mir sitzt und ins Leere starrt, ganz locker und entspannt wie immer, dass er mich nur kurz ausleihen wolle und ich gleich zurück wäre.

Misstrauen macht sich in mir breit, als er mich in ein kleines Nebenzimmer schiebt.  „Maggie, es ist von äußerster Wichtigkeit, dass du mir jetzt genau zu hörst. Hast du verstanden?“, begann er mit einem eindringlichen Blick, der mein Herz schneller schlagen ließ. Schließlich presse ich ein „Ja, ich hör dir zu“ hervor, welches sich zu meinem Bedauern keineswegs selbstsicher oder stark anhörte. Er sollte nicht denken, dass ich Respekt vor ihm hätte oder gar Angst. Doch er sagt nur „gut“ und startet mir von seinem dringenden Anliegen zu erzählen. „Du weißt doch, dass mein Vater Teil des Rates ist, der jeden Monat die neuen Eigenschaften bestimmt und neulich habe ich eines seiner Gespräche mitbekommen.“ Seine Gesichtszüge entspannen sich langsam wieder etwas und ich denke ich könnte die Stimmung mit einem kleinen Scherz etwas aufheitern. „Mitbekommen? Sehr witzig, du hast ihn belauscht.“, sage ich in einer gespielten Lockerheit. Doch falsch gedacht, Joes Miene zieht sich erneut zusammen und er sieht noch schlechter aus als zuvor. Jetzt habe ich wirklich Angst und beschließe den Mund zu halten bis er mich auffordert etwas zu sagen. Mit einem Nicken gebe ich ihm zu verstehen, dass es mir Leid tut und er ruhig weiter reden könne. „Nein, habe ich nicht“, beantwortet er etwas genervt meinen Versuch die Stimmung aufzulockern. „Jetzt ist nicht die Zeit für dumme Scherze, die Lage ist ernst. Ich weiß nicht genau was es ist, aber sie haben etwas mit dir vor, Maggie. Du erinnerst dich sicher an Alec, den Jungen, der vor knapp vier Monaten verstoßen wurde.“ Er sieht mich gespannt an, doch ich verstehe nicht worauf er hinaus möchte. „Vier Monate! Ist dir bewusst was das heißt? Nie hat ein Verstoßener so lange überlebt, aber ich denke das ist kein Zufall. Alec ist sehr schlau. Ich habe erschreckend oft deinen Namen in Verbindung mit deinem gehört. Pass bitte auf dich auf, hörst du. Ich weiß das hört sich vielleicht etwas absurd an, aber der Rat vermutet, dass Alec Rache will. Rache an uns allen.“, fügte er etwas besorgt hinzu. Was, das war´s? Ich soll mich in Hut nehmen, nur weil Joe Alec´s und meinen Namen in derselben Unterhaltung gehört hat. „Joe, das ist jetzt nicht dein Ernst!“, sage ich jetzt etwas lauter, „Du schubst mich hier herum, nur um mir das zu sagen? Wo hast du bloß deinen gesunden Verstand gelassen, für welchen ich dich immer so bewundert hatte? Du scheinst mir etwas verwirrt. Tut mir wirklich leid, aber ich werde jetzt gehen.“ Ohne ein weiteres Wort machte ich auf dem Absatz kehrt und ging zurück zu Andy, wo auch schon bald die Zeremonie beginnt. In den letzten Metern ruf Joe mir noch etwas wütend hinterher: „Er ist vielleicht gefährlich, Maggie. Nimm dich in Acht. Er kenn uns Todbringer besser als wir uns selbst.“

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⏰ Letzte Aktualisierung: Aug 03, 2014 ⏰

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Das Zeichen des TodesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt