1. Happy Birthday Kate

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Ich kramte genervt nach meinem Schlüssel. Wie konnte es sein, dass ich in dieser winzigen Handtasche so viel Zeug mit mir herumschleppte?

Mein Lippenstift fiel klappernd zu Boden. In der Frühlingssonne schimmerten die violetten Spitzen meiner blonden Haare wie Fliederbüsche. Durch die hübsche Tür mit der Buntglasverzierung hörte ich bereits das Schreien meiner kleinen Schwester. Seit ich studierte, beschwerten sich meine Eltern darüber, dass niemand Lena so gut beruhigen konnte wie ich. Irgendwie verschaffte mir diese Tatsache eine seltsame Form der Befriedigung. Immerhin war ich es gewesen, die jedes Wochenende auf das Baby aufgepasst hatte.

Endlich sah ich das Funkeln meines Schlüssels und zog ihn triumphierend hervor. „Ich bin sofort bei dir Lena!", rief ich und schob mich durch die Tür. Das Baby saß weinend mitten im Flur. Dicke Tränen kullerten über das rote Gesicht.

„Mum, ich bin da!", schrie ich und ließ die Tür unachtsam zufallen, während ich auf meine kleine Schwester zustürmte. Niemand antwortete mir. Ich nahm die Kleine auf den Arm und gab ihr einen Kuss auf die heiße Stirn.

„Mum, wo steckst du?"

Dann sah ich das Blut.

Das Blut an den kleinen Fingern, die Abdrücke an der Wand, auf dem Boden. Mein Herz setzte aus. Ich traute mich kaum zu atmen. Während Lena sich fest an mich drückte, wagte ich es, einen Schritt ins Wohnzimmer zu machen. Meine Mutter lag mit dem Kopf in einem Teich aus Blut. Keuchend wich ich zurück, bis ich die Wand im Rücken spürte.

Arme und Beine waren seltsam verdreht. Neben dem Sofa lag mein großer Bruder. Ein Loch klaffte in seinem Kopf und seine toten Augen starrten auf die Veranda, als würde er noch immer die Blumen betrachten, die meine Mutter gepflanzt hatte. Die Stille im Raum drohte mich zu ersticken. Selbst mein Herz schien nicht weiter schlagen zu wollen.

Mein Kopf weigerte sich zu verstehen, was los war. Ich setzte Lena ab, die damit begonnen hatte an ihrem Daumen zu nuckeln. Zitternd machte ich einen Schritt nach dem nächsten, bis ich mich neben meine Mutter hocken und ihren Puls fühlen konnte. Sie war kalt. Das schimmernde Blut spiegelte mein eigenes Gesicht. Ich sah nicht aus wie ich.

Meine Augen waren weit aufgerissen und mein Mund stand zitternd offen. Jegliche Farbe in meinem Gesicht war durch das Rot des Blutes ersetzt worden. Ich wandte den Blick ab.

Lena krabbelte auf mich zu und zog am Saum meines Shirts. Doch meine Gedanken waren wie in Watte gepackt. Unwillkürlich zwickte ich mich in den Oberarm. Der Schmerz ließ mich jedoch nicht aus diesem Albtraum aufwachen. Ich konnte nicht logisch denken. Statt gleich nach meinem Handy zu greifen, brannte sich etwas ganz anderes in meinen Geist: „Die Zwillinge!"

Panisch sprang ich auf, setzte Lena in ihr Laufgitter und stürmte ohne nachzudenken die Treppen hinauf. Das Kinderzimmer lag auf der rechten Seite, die Tür stand offen. Von unten konnte ich hören, wie Lena wieder anfing zu weinen. Meine Brüder lagen in ihren Betten. Wäre nicht das viele Blut gewesen, hätte man meinen können, sie würden einfach nur schlafen. Ich schlug eine Hand vor den Mund und taumelte aus dem Zimmer.

„Kate ..."

Der Klang meines Namens ließ mich zusammenzucken. Es war nicht mehr als ein Hauchen. Blinzelnd versuchte ich zu verstehen, woher es gekommen war. Aus dem Augenwinkel sah ich einen Schatten. Das Schlafzimmer meiner Eltern. Ich rannte los.

Mein Vater lag zusammengesunken neben dem Bett. Sein helles Hemd hatte leuchtende Flecken. Ich rutschte neben ihn auf die Knie. Ein langer Schnitt an seinem Hals, nur einer. Sauber wie in einem Film. Seine Hände pressten sich darauf, doch ich wusste, dass es nicht helfen würde. „Kate..."

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⏰ Last updated: Oct 06, 2018 ⏰

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Spiegelseele - Das Geheimnis der SpiegelWhere stories live. Discover now