Meine Mama

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Die Tropfen peitschen auf meinen bunten Regenschirm. Ich habe ihn schon sehr lange und das sieht man ihm auch an. Am unteren Ende ist der schwarze Schaumstoffhenkel abgebrochen. Am Stiel sind seichte Kratzer zu entdecken und die Speichen rosten langsam vor sich hin. Es ist mein Lieblingsschirm und deswegen nutze ich ihn auch, egal wie kaputt er aussieht. An meinen Füßen sammelt sich eine Kolonie aus Regentropfen. Langsam und mühsam baut sich eine Pfütze auf. Ich bewundere den Prozess, denn ohne sich stoppen zu lassen, kämpft sich die Pfütze über den glänzenden, grauäschernden Asphalt und umgeht alle Hindernisse. Beziehungsweise, was heißt umgeht? Sie umschließt die Hindernisse und ertränkt sie. Ich ducke mich und sehe mein Spiegelbild. Ich sehe zuerst auf meine blondgefärbte Bobfrisur, dann an die, für mein Gesicht, zu klein geratenen Ohren, weiter zu meinen rotgetränkten, schmalen Lippen, über meine kleine Stupsnase, bis hin zu meinen smaragdgrünen Augen. Mit meinem Zeigefinger fische ich ein wenig in der Pfütze rum und spüre die Kälte, die sich gefühlt durch meinen ganzen Körper zieht. In den Wellen der Pfütze, schaue ich wieder zurück auf meine Mundwinkel, wie sie leicht nach oben gezogen sind, denn ich habe angefangen, ein wenig über meine Vergangenheit nachzudenken. Es ist einfach schön, daran zu denken, wie ich damals als kleines Mädchen neben meiner Mutti, Hand in Hand, gelaufen bin und ihr von meinen Geschichten im Kindergarten erzählt habe. Voller Enthusiasmus und Interesse lauschte sie meiner, für damalige Verhältnisse, viel zu schrillen Stimme zu und fantasierte die Geschichten weiter. Ja, wir saßen uns teils gegenüber und haben unsere Geschichten immer weiter fortgeführt. Ich habe es ihr immer angesehen, wie sie es genoss, wenn meine Milchzähne, hinter meinen Lippen, zum Vorschein kamen. Das sind kleine Dinge, die wir heute eher als selbstverständlich hinnehmen, anstatt sie zu genießen. Ich hatte eine große Bindung zu ihr. Ihr wohlgeformter Körper gab mir immer Geborgenheit und Schutz. Ich habe meistens meinen Kopf zwischen ihre Brust geklemmt und dabei gelauscht, wie ihr kleines, zerbrechliches Herz schlug. Ein ruhiger, gleichmäßiger Takt, der Stress verfliegen ließ. Meine Gedanken wurden von näherkommenden Schritten unterbrochen und ich richte meinen dünnen Körper auf. Ein leichtes Lächeln huscht noch mal über mein Gesicht und anschließend schließe ich wieder meine Tür zur Vergangenheit und tauche wieder in den Alltag zurück. Und wenn das Leben wieder mal gegen dich sein sollte, dann gehe, wie ich, nach draußen, beobachte die Natur und denke an die schönen Zeiten, die dich zu dem gemacht haben, was du heute bist.

KindheitserinnerungenWhere stories live. Discover now