One

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Weißt du noch, wer du warst, bevor dir die Welt erzählt hat, wer du zu sein hast?

Die Zeit war inzwischen weit vorangeschritten, ein Blick auf ihre alte Armbanduhr, verriet ihr, dass es bereits kurz nach viertel zwölf in der Nacht war.

Und diese dämliche Band spielte noch immer auf der Bühne... Dabei zehrte die Müdigkeit der letzten Tage so heftig an ihr, dass sie selbst neben einer der wummernden Bassboxen geschlafen hätte.

Lilian lehnte sich mit dem Rücken an die Wand, winkelte ein Bein an und versenkte die Hände in den Taschen ihrer viel zu großen Jacke.

Die Kapuze rutschte ein Stück weit von ihrem Kopf und entblößte ein paar Strähnen blonden Haares, die sich vom vorherigen Regen etwas gelockt hatten. Schnell strich sie sie zurück und zog die Kapuze tief ins Gesicht, damit sie niemand erkannte.

Ein verschmitztes Lächeln umspielte ihre schmalen Lippen, als der Sänger endlich die Bühne mit dem Objekt betrat, das sie ihm später an diesem Abend entwenden würde – diese, wild im Takt der hämmernden Musik flackernde Gitarre! Die würde einiges einbringen und mit Sicherheit würde sich schnell ein Käufer finden!

Bereits zwei Tage vor dem Konzert war sie um die Location herumgeschlichen und hatte sich einen Weg gesucht, unbemerkt in den Backstagebereich zu kommen.

Das würde einfach werden! Rein – raus – die Gitarre an neurotische Fans verscherbeln und sich eine ganze Weile keine Sorgen mehr machen müssen.

Als erstes würde sie sich etwas Richtiges zu essen kaufen! Etwas, das richtig satt machen würde. Einen Döner, oder so einen Burger beim Imbiss ums Eck. Allein bei dem Gedanken an dieses gut duftende Essen, lief ihr das Wasser im Mund zusammen.

Doch erstmal musste alles so klappen wie sie es geplant hatte.

Wie lange ging dieses Konzert denn noch?

Sie verdrehte die Augen, als die Band von der Bühne verschwand und die Fans nach einer Zugabe schrien. Reichte es denn nicht langsam?

Zu aller Ernüchterung der begeisterten Menge, flackerten Neonröhren an der Decke auf, verkündeten somit, dass das Konzert nun endlich zu Ende war.

Ihr war bewusst, dass die Band noch einmal für Autogramme und Fotos herauskommen würde.

Und wieder lächelte sie und freute sich schon auf die Einfachheit ihres Diebeszuges.

Die Konzerthalle hatte sich ein paar Minuten später bereits merklich geleert, nur hier und da standen noch kleine Grüppchen und warteten auf den „Lord", sowie sie ihn nannten.

Was war das eigentlich für ein Name?

Lord of the Lost

Herr der Verlorenen.

Hielt er sich für einen Schäfer, der eine Herde „verlorener Schafe" hüten musste?

Sowie sie aus verschiedenen Gesprächen heraushören konnte, war er wohl ein sehr arroganter Kerl, also fragte sie sich, warum sich so viele Menschen um ein Foto mit ihm rissen, oder ihn um ein Autogramm baten.

Wenn man jemanden nicht mochte, schwänzelte man doch nicht um ihn herum, oder schwärmte von ihm!

Sie hatte das rege Treiben eine ganze Weile lang beobachtet, ehe sie sich in Richtung Backstagebereich aufmachte.

Ihr Vorhaben erwies sich zudem noch leichter als gedacht, als es ihr gelang, einer Frau aus der Crew den Ausweis zu stibitzen, der an einem Schlüsselband an ihrer Hose hing.

Weißt du eigentlich noch...?   Lord of the Lost FFWhere stories live. Discover now