Anlass: Da unsere Treffen meistens mehrere Stunden dauern und wir leider auch menschliche Wesen mit einem Hungerempfinden sind, müssen wir auch essen. Gestern ging wir also für eine Weile auf den örtlichen Weihnachtsmarkt und haben uns Futter besorgt. Danach wurden wir aufgefordert, ein Cluster unserer Eindrücke zu erstellen und daraus eine Geschichte zu fabrizieren. Thema sollte sein "Wenn wir das vorher gewusst hätten, wäre es nie passiert".
Heraus kamen zwei recht ähnliche Geschichten, die erste seht ihr hier.
Von Silvia
Das Fest der Liebe
Es hätte ein schöner Tag werden sollen, das Happy End einer tragischen Geschichte, der lang ersehnte Frieden. Jonas und Charlotta hatten sich getrennt, und das nach neun glücklichen Jahren! Das konnte nur ein Missverständnis gewesen sein, waren wir der Meinung, schließlich waren die beiden ein Paar gewesen, das selbst William und Kate in den Schatten stellte. Wir versuchten also ein Gespräch zwischen den beiden zu fördern, um alle Missverständnisse zu beseitigen und unser Traumpaar wieder herzustellen. Natürlich durfte weder Charlotta noch Jonas etwas davon erfahren, weshalb wir einen neutralen Platz wählten, wo sie sich „zufällig" begegnen sollten.
So kam es, dass wir an diesem Tag mit Jonas über den Weihnachtsmarkt schlenderten und versuchten ihm weis zu machen, dass wir seine Entscheidung vollkommen verstehen und befürworten würden. Zusammen waren wir eine Gruppe von drei Leuten: Jonas, ich und Isabelle, die gerade erst wieder an die wahre Liebe glaubte, ungefähr seitdem sie mit Michael zusammen war, und diese nun mit jugendlichem Enthusiasmus verteidigen wollte. Michael hätte eigentlich mitkommen sollen, doch er war momentan aus beruflichen Gründen verreist und hatte nach Isabelles Angaben auch kaum Handyempfang. So hatte der Tag sogar doppelt was Gutes: Wir würden Jonas' Liebe retten und dabei Isabelle davon ablenken, dass ihre erst am Ende der Woche wieder nach Hause käme, sodass sie nicht wie sonst nur in ihrer Wohnung ausharrte und darauf wartete, dass er wieder bei ihr war.
Ein bisschen aufgeregt war ich schon. Charlotta hatte mir netterweise erzählt, dass sie jeden Donnerstag nach der Arbeit auf den Weihnachtsmarkt ginge und so konnte ich diesen Tag perfekt planen. Selbstbewusst wie ich war, hatte ich natürlich keinen Plan B ausgedacht, denn das taten ja nur Leute, die davon ausgingen, dass sie scheiterten. Und scheitern würde ich ganz sicher nicht. Jetzt musste nur noch Charlotta endlich auftauchen.
Es dauerte lange, bis ich ihre roten Haare endlich erblickte, und Jonas war schon kurz davor nach Hause zu gehen, um die neue Folge seiner Lieblingssendung nicht zu verpassen, doch nun konnten Isabelle und ich die Verfolgung aufnehmen. Geschickt lotsten wir Jonas durch das Gedränge und waren auch schon fast am Ziel, als Isabelle plötzlich wie erstarrt stehen blieb. Erstaunt sahen Jonas und ich zu ihr und bemerkten, wie sie sichtlich um Fassung rang. Besorgt sprach Jonas sie an und nahm sie schließlich in den Arm, als sie nicht sprach, ihr aber dicke Tränen über die Wange liefen. Dazu sollte man wissen, das Michael der beste Freund von Jonas war und sich Jonas während dessen Abwesenheit ein wenig um Isabelle kümmerte, wenn sie jemanden zum Reden brauchte.
„Ich... da war gerade Michael", rückte das zierliche Mädchen schließlich mit tränenerstickter Stimme heraus. „Ich habe ihn ganz genau gesehen."
„Ich weiß, dass er dir fehlt", versuchte Jonas sie zu beruhigen. „Aber du weißt auch, dass er nicht in der Stadt sein kann."
Doch Isabelle hörte ihm gar nicht zu, sondern schien einen Punkt hinter ihm zu fixieren. Innerhalb von Sekunden wandelte sich ihre Trauer in Zorn, ihr Gesicht verzerrte sich, ihr Körper bebte, und ich glaubte sogar ein leises Knurren zu hören.
„Ich glaube, ich kann jetzt wirklich verstehen, warum das mit dir und Charlotta nichts mehr wird", fauchte sie schließlich, ließ ihren Blick aber nicht von dem Punkt ab, was mich dazu brachte mich nun doch danach umzudrehen. Was ich dort sah, verblüffte mich so sehr, dass ich erst gar nicht bemerkte, wie meine Freunde auf das sich liebevoll umarmende Pärchen zu gingen. Es war wohl Isabelle, bei der die Sicherung zuerst durchbrannte und die Michael, der verblüfft neben Charlotta stand, ihre Faust ins Gesicht donnerte.
Was dann passierte, ist leicht zu erzählen, wenn man die fortgeschrittene Stunde und die dazugehörigen Massen an angetrunkenen Jugendlichen in unserer Nähe bedenkt. Wie dem auch sei, wir wurden einzeln aufs Revier gebracht und haben nun Hausverbot auf dem Weihnachtsmarkt.
Wenn uns Jonas von Anfang an alles erzählt hätte, hätten wir den Tag wohl gemütlich auf dem Sofa verbracht. Aber egal, ich mag sowieso keine Weihnachtsmärkte.
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Die Schreibfabrik - Kurzgeschichten
Short StoryAb und zu bringen wir auch selbst etwas auf Papier. Unsere Kurzgeschichten entstehen meistens an unseren Treffen samstags in der Bibliothek. Das Geschreibsel möchten wir euch natürlich in vorenthalten, deshalb findet ihr es nun auch hier. Cover: von...