Die Glühwein-Eskalation

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Von Helena


Wenn wir das vorher gewusst hätten, wäre die Sache mit dem Glühwein nie passiert. Dann säßen wir jetzt nicht auf den harten Plastikstühlen im Wartebereich des Krankenhauses.

Neben mir fasst Mark sich immer wieder an die Unterlippe. Sie ist aufgeplatzt. An seinen Fingerspitzen klebt ein wenig Blut.

Mir selbst brummt der Schädel, auch wenn ich von den Ereignissen ziemlich ernüchtert bin. Die letzte Tasse Glühwein war dann wohl doch eine zu viel.

Für uns alle.

Ich sehe auf die Uhr an der Wand, deren Zeiger auf Viertel vor Eins zu kriechen. Seit anderthalb Stunden warten wir. Was treiben die da drin solange?

Außer uns und der gelangweilten Schwester am Empfang sitzt niemand im Wartebereich. Ich könnte mir auch schöneres vorstellen. Zum Beispiel mit meinen Freunden noch Lebkuchen essen und dann nachhause fahren, um in mein warmes Bett zu kriechen. Den Rausch ausschlafen.

Nein, stattdessen verbringe ich die Nacht hier und sitze mir den Hintern platt, während Alex noch behandelt wird. Der heiße Glühwein hat ihn aufschreien lassen.

Dabei hatte der Abend so schön begonnen.



Nur widerwillig hatte sich Alex von Mark und mir auf den Weihnachtsmarkt schleifen lassen.

„Es wird dich auf andere Gedanken bringen," hatte Mark zu ihm gesagt. „Das wird lustig," hatte Mark gesagt.

Auch ich hatte es für eine gute Idee gehalten. Nach der Trennung von Lisa – dieser Bitch – war Alex kaum noch aus dem Haus gekommen. In einen Decken-Burrito eingewickelt, mimte er den selig Leidenden. Spinnen webten ihre Netze an ihm und er setzte Staub an.

Es war also höchste Zeit gewesen, dass er wieder aus dem Haus kam. Wir drückten ihm einen Glühwein in die Hand und bahnten uns einen Weg durch das völlig überfüllte Zelt. Das Stimmengewirr übertönte die Weihnachtsmusik, die hier, in den Kaufhäuser und leider auch in so mancher Privatwohnung dudelte. Einige Familien saßen gesellig beisammen, Freundesgruppen lachten. Man ging nicht alleine zum Trinken auf den Weihnachtsmarkt.

Ich reckte mich, um über die Köpfe der Menge blicken zu können.

„Dahinten," rief ich und den anderen beiden um, „dahinten sind noch Plätze frei."

Die Arme und die dampfenden Tassen dicht an unsere Körper gepresst, schoben wir uns durch das Gewühl. Endlich an den freien Plätzen angekommen – wir schnappten sie einer Gruppe schnatternder Mittvierzigerinnen weg -, verließen wir sie den Rest des Abends nur noch, um Crêpes oder frischen Glühwein zu besorgen.

Lichterketten blinkten fröhlich vor sich hin, während wir immer heiterer wurden. Mark trotzte Alex ein Lachen ab, in dem er ihm von den jüngsten Abenteuern des Nachbarkaters in seinem Keller erzählte.

„Ich mache also den Trockner auf und zwei große grüne Augen starren mich aus dem Dunkeln heraus an. Das Viech ist gruselisch..." lallte er schon leicht angetrunken.

Nach zweieinhalb Stunden und zwei oder drei weiteren Glühweinen heulte Alex uns die Ohren wegen Lisa – dieser Bitch – voll.

Ich trank gerade einen weiteren Schluck aus meiner Tasse und ließ meinen bereits verschwommenen Blick durch das Zelt schweifen. Die Familien waren verschwunden, ebenso die schnatternden Mittvierzigerinnen. Eine Gruppe Studenten grölte ein wenig harmonisches Lied und ein Pärchen rammte sich gegenseitig die Zunge in den Hals. Beide trugen Rentiergeweihe aus Filz, an den leise Glöckchen bimmelten. Ein schrilles Lachen erscholl.

Das waren doch... ich prustete Glühwein über den Tisch und haarscharf an Alex vorbei.

„Hey!", rief dieser empört.

„Sch-orry," nuschelte ich. Meine Füße waren plötzlich sehr interessant. Den Abend wollte ich nicht verderben, in dem ich Alex von meiner Entdeckung berichtete.

„Ist das Lisa?!", hörte ich in diesem Moment einen entsetzten Mark.

Ruckartig drehte sich Alex um. Sein Gesicht lief puderrot an und er umklammerte seine Tasse so fest, dass seine Fingerknöchel weiß hervortraten.

„Toll gemacht, Mark!", murmelte ich und kippte den letzten Schluck Glühwein hinunter, „Wir sollten jetzt gehen." Von der Nüchternheit in meiner Stimme war ich selbst überrascht.

„Guhute Idee," stimmte mein bester Freund mir zu und stand wankend auf. Er packte Alex unter einem Arm und wollte ihn hochziehen. Ich trat dazu, um ihm dabei zu helfen. Wir mussten Alex so schnell wie möglich aus dem Zelt schaffen.

Hart traf die Tasse auf Marks Kinn. Alex riss sich los und stürzte über einen Tisch auf das knutschende Pärchen zu. Das er dabei eine ältere Dame von ihrem Platz warf und die Papiertischdecke wegen einer umgekippten Kerze Feuer fing, bemerkte er gar nicht.

Erschrocken half ich Mark auf die Füße. Seine Lippe blutete und später meinte er, sein unterer Eckzahn säße locker.

Inzwischen schrien einige Leute. Es zischte, als jemand seinen Punsch auf das brennende Tischtuch kippte. Jemand half der Dame auf. Niemand stellte sich zwischen Alex und den anderen Kerl.

Der wusste nicht, wie ihm geschah, sondern drehte sich nur mit großen, glasigen Rentieraugen zu dem Tumult hinter sich um. Die Faust, die sich auf Kollisionskurs mit seinem Gesicht befand, schleuderte seinen Kopf zur Seite. Die Glöckchen in seinem Geweih klingelten. Lisa – diese Bitch - kreischte auf und versuchte Alex von ihrem Neuen wegzuziehen.

Mark sah mich an, ich sah Mark an. Wenn wir Alex nicht aufhielten, gäbe es Tote.

Lisas Neuer hatte sich unterdessen aufgerappelt und brüllte seinen Angreifer an. Das Geweih hing schief auf seinem Kopf. Alex nächster Schlag ging ins Leere.

Wir bahnten uns taumelnd einen Weg durchs Getümmel um Lisa dabei zu helfen, Alex von Mister Rentier wegzuzerren. Dieser hatte inzwischen zur Verteidigung angesetzt und unserem Freund ein paar Schläge zu verpassen. Glücklicherweise konnten die beiden mit so viel Alkohol im Blut nicht mehr richtig zielen. Die beiden ersten Schläge von Alex waren eher Glückstreffer gewesen.

Mit dem Rücken krachten Mister Rentier und Alex gegen die Theke. Das Holz gab unter der geballten Kraft des Eifersuchtsdramas nach. Es splitterte und schepperte. Die beiden Kontrahenten stöhnten und rappelten sich auf.

Bevor wir ihn erreichten, griff Alex hinter sich, um sich an der Arbeitsplatte aufzustützen. Lisa rief etwas, dass ich nicht verstehen konnte. Ihre Warnung ging in Alex gellendem Aufschrei unter. Heißer Glühwein ergoss sich über seinen Arm und seine Schulter, färbte seinen blauen Pulli dunkler.

Der Topf schlug dumpf auf den Holzspänen auf.





Die Tür zum Wartebereich schwingt auf. Alex grinst uns triumphierend entgegen. Ein leuchtend weißer Verband bedeckt seinen Arm und er hat ein Pflaster im Gesicht.

„Du hast Scheiße gebaut, Mann!" blaffe ich ich ihn an.

„Das hatte er verdient," gibt er zurück. Er klingt eher müde als wütend.

„Hatte er ni-"

Mark tippt mich an. Aufgebracht fahre ich herum und folge seinem erschrockenem Blick. Durch den Nachteingang kommen zwei Ordnungshüter auf uns zu.

„Gut, ich habe Scheiße gebaut," murmelt Alex kleinlaut.

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⏰ Last updated: Jan 04, 2019 ⏰

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