"Und bist du schon aufgeregt, wie er sein wird?", erklang die verzerrte Stimme durch das Telefon. Lia zuckte mit den Schultern, auch wenn Marie es gar nicht sehen konnte. "In den E-Mails erschien er ganz nett, also mache ich mir da nicht allzu viele Sorgen.", erwiderte die Blonde, obwohl es komplett gelogen war. In Wirklichkeit graute es Lia schon seit zwei Wochen, wie ihr neuer Mitbewohner sein würde. Sie wusste nicht viel von ihm. Eigentlich nur, dass er ebenfalls dreiundzwanzig und zudem Stockschwul war. In den E-Mails war er nie Wirklich auf seine Person eingegangen, sodass Lia bis heute nicht wusste, wie sie mit ihm umgehen sollte. Schon in wenigen Minuten sollte er in ihrer Wohnung auftauchen, doch sie konnte sich nicht einmal vorstellen, wie sie ihn ordentlich begrüßen sollte. In den letzten Tagen hatte Lia sich zisch Szenarios ausgemalt, wie der Tag verlaufen würde, doch ihr war klar, dass es niemals so werden würde, wie vorgestellt.
"Ich glaube, dass er bestimmt super lustig drauf ist. Schwule Jungs sind doch immer so aufgedreht oder nicht? Ich würde mich bestimmt blendend mit ihm verstehen.", unterbrach Marie die Gedanken ihrer besten Freundin. Lachend stimmt Lia ihr zu. Wenn es eine Person auf der Welt gab, die etwas zu viel von guter Laune hatte, dann war es mit Sicherheit Marie. Schon als kleines Mädchen, war sie schon immer die Lauteste und zog dies bis zum heutigen Tag durch. Obwohl Lia schon seit Tag eins mit ihr befreundet war, hatte sie Marie nur so selten traurig gesehen, dass sie es an einer Hand abzählen konnte.
Plötzlich ertönte die Türklingel und Lia sah erschrocken auf. "Oh mein Gott, er ist da!", murmelte sie verstört, während sie bereits aufstand und auf die Tür zu lief. Schnell flüsterte sie noch eine Verabschiedung, dann öffnete sie mit zitternden Händen die Haustür. So langsam wie möglich zog sie Stück für Stück die Tür auf und enthüllte damit die Gestalt ihres zukünftigen Mitbewohners. Lia hatte zwar bereits Bilder von ihm gesehen, doch seine große Gestalt jetzt vor ihr zu sehen, war einfach nicht vergleichbar. Er war bestimmt zwei Meter groß. Genau wie auf den Bildern trug er eine enge Röhrenjeans und ein enganliegendes Top, welches seine Brustmuskeln zur Schau stellte. Über den Schultern lag eine Strickjacke, die er lässig vor seinem Hals zusammengeknotete hatte. Lia musste beinahe schmunzeln, so sehr traf er das Stereotypische eines Schwulen. Freundlich lächelte der Braunhaarige sie mit seinem kristallblauen Augen an. Lia blieb beinahe die Spucke weg, so gut sah er aus, trotz der Tatsache, dass man ihm seine Orientierung genau ansehen konnte. Als Lia ihn eine Weile zu lange anstarrte räusperte sich der Zweimeterriese und hielt ihr freundlich lächelnd die Hand hin. "Ich bin Brandon.", stellte er sich vor, ohne sie dabei aus den Augen zu lassen. "Aliandra oder besser gesagt Lia für dich.", erwiderte sie schüchtern und sah überall hin, nur nicht in seine Augen. Schließlich trat sie einen Schritt zur Seite, um ihm Platz zu machen. Nachdem Brandon den Karton aufgehoben hatte, den er zuvor im Hausflur stehen gelassen hatte, ging er an ihr vorbei in die Wohnung und spähte kurz durch den Flur. Den Karton mit seinem Sachen trug er derweil vor seiner Brust. "Sieht gut aus.", kommentierte er den Flur, während er aufs Wohnzimmer zulief, ohne dass Lia hinterher kam. Dieser versuchte ihm hinterherzueilen, erreichte ihn allerdings erst, als er sich auf die Couch vor den Fernseher geworfen und den Karton neben sich auf den Boden geschmissen hatte. Verwundert blieb Lia im Türrahmen stehen und blickte ihn schräg an. Als Brandon ihren Blick wahrnahm, sah er sie ebenfalls fragend an. "Was ist?", fragte er und schien nicht zu ahnen, wie er gerade wirkte. "Naja irgendwie habe ich mir dich anders vorgestellt.", murmelte Lia, als sie sich unwohl über den Unterarm fuhr. Sie hatte vieles erwartet, aber nicht, dass er sich bereits nach fünf Sekunden so breit machen würde. Wie vor den Kopf gestoßen schüttelte Brandon mit dem Kopf und stand schnell auf. "Oh tut mir leid, aber ich dachte je eher ich mich hier einrichte, desto eher klappt das mit uns.", murmelte er und wirkte plötzlich wie ein kleiner unsicherer Junge. Lia musste leicht lächeln. Genau so hatte sie sich ihn vorgestellt. Die Vorstellung, dass er wie jeder andere Typ war, den sie kannte, gefiel ihr nämlich gar nicht. Zumindest nicht im Bezug aufs zusammenleben, denn sie hatte sich nicht ohne Grund einen Schwulen Mitbewohner gesucht. Lia wollte endlich mal eine Zeit lang ohne Drama leben und in ihren Augen klappte das nur, wenn sie ausschließlich unkomplizierte Beziehungen führte. Darum nickte sie nur mit dem Kopf und hob unschuldig die Arme. "Du hast Recht. Es tut mir leid, aber ich muss mich erst an die neue Situation gewöhnen. Auch wenn du Schwul bist, war hier länger kein Typ mehr und ich muss mich erst daran gewöhnen.", sagte sie einfühlend und bemerkte gar nicht, wie Brandon zu schmunzeln begonnen hatte. Bevor Lia es bemerken konnte, zwang er schnell seine Mundwinkel nach unten und ging einen Schritt auf sie zu, um über ihren Arm zu streicheln. "Kann ich verstehen. Männer können schon doof sein.", flüsterte er und lächelte sie einen Ticken zu breit an. Lia trat sofort einen Schritt zurück, da ihr die Nähe des Fremden zu unangenehm wurde. "Wie wäre es, wenn ich dir mal die Wohnung zeige?", fragte sie, um von der komischen Situation abzulenken. Sie wollte, dass das mit Brandon klappte, doch momentan konnte sie sich absolut nicht mit ihm anfreunden. Irgendetwas hatte er an sich, dass sie zweifeln lies. Brandon nickte jedoch nur und lies sich von Lia durch die kleine Wohnung führen. Es war nicht besonders groß, doch Lia hatte gemeinsam mit Marie dafür gesorgt, dass alles gemütlich wirkte und sie hoffte, dass auch Brandon dies bemerken würde.
"Und das wird dein Zimmer sein.", beendete sie ihre kleine Führung und hielt vor Brandons Tür an. Sie war genau gegenüber von ihrer, doch Lia war sich sicher, dass dies kein Problem darstellen würde, da die Wände dick genug waren, um Gespräche und andere Geräusche auszublenden. Brandon öffnete seine Zimmertür und blickte sich kurz um. "Da kann ich doch was draus machen.", lachte er und brachte auch Lia zum lächeln. Irgendwie war er halt doch ganz süß.
"Dann lass ich dich mal in deinem neuen Reich alleine.", murmelte Lia, als Brandon sein Zimmer weiter erkundete. Ohne auf eine Antwort zu warten, ging sie in ihr Zimmer gegenüber und legte sich auf ihr Bett. Eine Weile lag sie einfach nur da und starrte an die Decke. Irgendwie musste Lia an ihre Eltern denken, die sie jetzt sicherlich für verrückt halten würden. Beide waren schon immer ein wenig Homophob gewesen und würden es mit Sicherheit nicht tolerieren, dass Lia nun mit einem Schwulen eine Wohnung teilte. Sie können ja leider nichts dazu sagen, dachte Lia leicht schmunzelnd und rieb sich das Gesicht. Sie hörte leise etwas poltern und war sich sicher, dass es aus Brandons Zimmer kam. Obwohl es ihr in den Fingern kribbelte nachzusehen, was ihr neuer Mitbewohner so trieb, zwang sie sich ihm etwas Freiraum zu geben. Lia konnte sich noch genau daran erinnern, als sie und Marie zusammengezogen waren. Beide hatten sich erst Wochenlang ständig in die Haare gekriegt, bis sie es endlich auf die Reihe bekommen hatten, einen normalen Alltag ohne reguläre Diskussionen zu führen. Vielleicht war das einer der Gründe, weshalb Lia mit keinem Mädchen mehr zusammenwohnen wollte, denn sie hatten es zwar geschafft, doch den Trubel wollte Lia kein zweites Mal erleben.
Also lies sie Brandon in Ruhe und machte sich ein wenig Musik an, um die Geräusche zu übertönen, die trotz der dicken Wände ihren Weg in Lias Zimmer fanden. Es dauerte nicht lange, da klopfte es plötzlich und Brandons Kopf erschien in ihrem Zimmer. Erwartungsvoll sah Lia ihn an, während Brandon jeden Winkel ihres Zimmers untersuchte. Erst als Lia sich räusperte, erwachte er aus seiner Inspektion und sah wieder grinsend zu der auf dem Bett liegenden Lia. "Tschuldige aber es ist wirklich gemütlich hier.", murmelte er und hatte ein leicht grinsenden Gesichtsausdruck drauf, der Lia stutzig werden würde. Diese winkte jedoch ab und fragte, was er tatsächlich hier zu suchen hatte. "Naja ich dachte, dass du mir vielleicht die wichtigsten Spots hier zeigen könntest, damit ich am Montag nicht wie ein Depp durch die Stadt laufen muss?", fragte Brandon schließlich und wirkte dabei so hilflos, dass Lia gar nicht anders konnte, als zuzustimmen und so kam es, dass beide eine halbe Stunde später durch Manhattan liefen.
Zwar sprachen beide kaum bis gar nicht miteinander, da sie den Anderen einfach nicht kannten, doch Lia genoss die Ruhe. Auch wenn sie unbedingt hinter die Fassade des Zweimetermannes schauen wollte, war es wie die Ruhe vor dem Sturm. Lia war sich sicher, dass sie nicht mit Brandon klar kommen würde, wenn sie von Tag eins an, alle seine düsteren Geheimnisse wusste. Darum kümmerte sie sich auch nicht darum, ihm etwas über sich zu entlocken, während sie durch die Straßen Manhattans schlenderten. In aller Ruhe zeigte sie Brandon die wichtigsten Spots und fühlte sich neben dem großen, tätowierten Mann gleich viel wohler und beschützter, als alleine. Manhattan war eben doch keine unschuldige Stadt, in der eine junge Frau alleine rum laufen sollte. Erst spät in der Nacht kehrten die beiden wieder in ihre Wohnung zurück und gingen in ihr jeweiliges Zimmer. Lia legte sich sofort in ihr Bett und starrte an die Decke. Sie konnte nicht verleugnen, dass sie sich bei dem Zweimeterriesen wohl gefühlt hatte, doch ihr war auch klar, dass irgendetwas an ihm nicht stimmte. Natürlich hatte sie nicht viel Erfahrung mit Typen wie ihm. Nicht jeder Junge in ihrer nahen Umgebung ging so offen mit seiner Sexualität um, wie Brandon es tat, doch während des Abends waren Lia immer wieder Kleinigkeiten aufgefallen, die sie stutzig gemacht hatten. Mehr als einmal hatte ihr Mitbewohner einer Frau hinterhergeschaut und sie dabei dreckig angegrinst. Lia schob es zunächst darauf, dass er seine Sexualität vielleicht doch verstecken wollte, doch dass passte einfach nicht zu seinen Erzählungen, in denen er immer feurig von anderen Männern schwärmte und Lia die tollsten Abenteuer mit seinen Ex-Freunden erzählte. Völlig von ihren Gedanken geleitet, öffnete Lia leise ihre Zimmertür, um an Brandons Tür zu lauschen, die einen Spalt geöffnet war. Sie kam sich zwar bescheuert vor, doch sie wollte wissen, wenn es Grund zur Vorsicht gab. Erstaunlicherweise konnte sie Brandon ausmachen, wie er mit irgendjemandem telefonierte.
"Ich hab heute in der Stadt einen so schnuckligen Typen gesehen, dass selbst du, als Hetero, ihn heiß gefunden hättest.", sprach ihr neuer Mitbewohner deutlich, sodass Lia alles ohne Probleme verstehen konnte und lachte zum Ende auf. Erleichtert lehnte sie vorsichtig ihren Kopf an die Tür. Sie war ja so bescheuert gewesen an ihm zu zweifeln! Viel befreiter ging Lia ohne einen Mucks zu machen wieder in ihr Zimmer, und legte sich in ihr Bett, um nun endlich zu schlafen. Der Tag hatte einiges von ihr abverlangt und sie war froh, endlich etwas Ruhe zu bekommen.
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Just a typically Liar
Teen FictionAls Lia mit dem "schwulen" Brandon zusammenzieht, um Geld für die Uni zu sparen, denkt sie sich nicht viel dabei. Doch Brandon ist alles andere als schwul. Mit seinen fiesen Maschen versucht er schon lange heranwachsende Frauen herum zu bekommen, do...