Jenseits von dem was du siehst

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Eine kleine Gestalt steht am Rande meiner Wahrnehmung und winkt mir aufgeregt zu. Langsam gehe ich auf sie zu.

„Wer bist du?"

„Schau selbst."

Sie ergreift meine Hand und zieht mich zu sich. Den Boden unter den Füßen verlierend, finde mich selbst in einer Welt voller Wunder wieder. Ich staune und staune. Flüsse in den Farben eines Regenbogens, Wesen dunkler als die Nacht und doch so real, so nah und so herrlich warm.

Doch die kleine Gestalt erzählt mir nur einmal von ihrem Leben und stellt sich dann wieder auf die leere Fläche hinter meinen Augen. Neben ihr erscheinen in kurzer Zeit sehr viel mehr Gestalten, manche groß und andere ganz winzig. Aber alle führen mich tiefer in diese verwobene Welt, und stellen sich anschließend zu der Ersten auf die Fläche.

Ich stehe hier und sehe mich um, so viele einzelne Gestalten, Welten und Farben. Sie ergeben alle eins, diese Landschaft. Vor mir erstreckt sich nicht länger eine graue Fläche auf der Gestalten stehen, nein diese Fläche ist mit atemberaubenden Farben und Gefühlen geschmückt. Sie laden mich immer wieder in neue Gebiete ein.

Dann merke ich, es werden weniger. Die Welten sind noch immer schön, doch der ewige Fluss verebbt und mit ihm die neuen Pflanzen am Ufer. Suchend sehe ich mich um, denn diesmal ist keine neue Gestalt aufgetaucht.

„Wo bleibst du?"

„Wen suchst du?", fragt mich die erste der Gestalten.

Erschrocken bemerke ich, das ihr Gesicht nicht mehr das ist, an welches ich mich erinnere. Es wirkt verzerrt, verschwommen.

Eine andere von ihnen spricht mich an, auch sie verschwimmt und verliert ihre Farben.

„Es kommt keiner mehr."

Obwohl ich frage und frage, jeden Tag warte. Niemand holt mich mehr ab und ich beginne die Welten zu vergessen, obwohl sie direkt vor mir liegen. Ich tauche nicht länger in sie ein, lasse mich nicht mehr verzaubern und öffne meine Augen.

Ich schließe meine Augen und sehe eine Fläche vor mir, sie ist dunkel von Schatten und ihre einst so strahlenden Farben sind kaum noch zu sehen.

„Es war schön mit euch, doch jetzt muss ich erwachsen werden."

Keine Antwort, keine letzten Worte sind zu hören. Ich drehe mich um und gehe.

Jahre vergehen und jeden Tag plagen mich Sorgen, doch niemand spendet Trost. Um niemandem zur Last zufallen, schließe ich meine Augen. Kalt und dunkel liegt eine Fläche vor mir. Ich erinnere mich nicht mehr an die Farben und die Freude. Enttäuscht öffne ich meine Augen, doch ich blinzel noch einmal und sehe ein Flackern von Farbe.

„Verlass mich nicht, ich bitte dich, hauch mir Farbe ein."

„Was?"

Verwundert sehe ich die Gestalt vor mir an, sie ist wie eine unfertige Tonfigur. Das Gesicht, nicht einmal der Körper zeigt irgendwelche Spuren von Farbe oder Kontur.

So beginne ich, sie zu formen. Ein Junge sollte es sein. Ich gebe ihm ein recht schlichtes Aussehen. Sollte er alt oder jung sein, was sind seine Merkmale. Was macht ihn zu dem was er ist...

„Wer bist du?"

„Ich weiß es nicht und du?"

Die Frage irritiert mich und ich denke einen Moment lang nach. Ein Satz fällt mir ein und lachend tippe ich dem Jungen gegen die Stirn.

„Schau selbst."

Augenblicklich werden die Haare an der Stelle rot, der Rest bleibt schwarz. Zufrieden nicke ich. In Ordnung, dies wird ihn besonders machen. Auf der Suche nach seinem Namen, streiche ich über die Fläche und eine Landschaft in wundervollen Farben entsteht. Einzelne Stellen könnten noch verbessert werden...

Ganz vertieft in diese Welt mit ihren unentdeckten Wundern, höre ich aus der Ferne eine Stimme. Sie klingt einsam und vertraut.

„Verlass mich nicht, ich bitte dich."

Ich sehe zurück und sehe den Jungen mit seiner roten Strähne. Kurzer Hand bekommt er einen Freund, blond etwas energisch und trotzdem liebenswert.

Zufrieden mit diesem kleinen Werk, begebe ich mich wieder in die Welt und verändere sie immer weiter. Manche Stellen werden entfernt, andere hinzugefügt. Da sie noch unbewohnt ist, erschaffe ich weitere Gestalten. Manche groß andere klein. Aus der Ferne betrachten mich der erste Junge und sein Freund. Und abermals höre ich die Stimme.

„Verlass mich nicht, ich bitte dich."

„Ich verlasse dich nicht, doch ich bitte dich, um nur einen kleinen Moment."

Mit kritischem Blick überschaue ich die Welt, sie ist fantastisch. Keinesfalls perfekt, aber doch sehr liebenswert. Mit einem schnipsen meiner Finger, erwecke ich alles in ihr zum Leben. Dann sehe ich zu den beiden Gestalten außerhalb dieser Welt und lade sie ein, daran Teil zuhaben.

„Verändert sie mit euren Taten, überrascht mich, zu was ihr fähig seid. Es wird nicht immer einfach sein, doch ich lade weitere zu euch ein."

Erst mit ihnen darin, erwacht die Welt wirklich zum Leben. Ich lehne mich zurück und erkenne, dass außerhalb bereits zwei Jahre vergangen sind und bin überrascht. Doch trotz dieser Überraschung verweile ich noch einen Moment und sehe den Gestalten der Welt zu, welche ich erschaffen habe.

„Ich komme wieder."

Damit öffne ich meine Augen, doch als ich kurz blinzle sehe ich eine Gruppe Gestalten.

Sie winken mir zu und ich grüße sie ebenfalls. Dann erinnere ich mich, sie haben mir vor Jahren diese ganzen Welten gezeigt. Mich das gelehrt, was ich in den letzten zwei Jahren unbewusst mit in meine Welt eingebaut habe. Sie sehen mich glücklich an und Tränen lösen sich aus meinen Augen, tropfen auf meine Hände, welche sie einst umarmten und mit ihnen in die verschiedenen Welten getaucht waren.

Meine Tränen fallen nicht aus Kummer, sondern aus Freude sie wieder zusehen und mich an die glückliche Zeit mit ihnen wieder erinnern zu können. Leise nenne ich jeden ihrer Namen und die Farben und Formen kommen wieder zu ihnen. Ich lade sie ein, meine Welt zu beobachten, wie sie langsam wächst und gedeiht.

„Vielen Dank für Alles."

Meine Worte können meinen Gefühlen ihnen gegenüber, nicht gerecht werden. Sie gaben mir so viel und ich habe nur diese eine Welt erschaffen.

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Alte Liebe rostet nicht - Jenseits von dem was man siehtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt