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Wirklich schlafen konnte ich in der Zeit, in welcher ich darauf wartete das es dunkel wurde, nicht. Mein gesamter Körper stand unter Spannung, gar unter Strom, so fühlte es sich an und jedes Mal wenn ich versuchte die Augen zu schließen, sah ich Kindheitserinnerungen mit Daniel vor meinem inneren Auge ablaufen.

Da waren Nachmittags im Garten unserer Eltern unter einem strahlend blauen Himmel, wie wir in unserem kleinen Pool herumplantschen und den ganzen Tag am Lachen und Kreischen sind.

Ein anderer Tag aber wieder blauer Himmel, wir alle sind hübsch angezogen und ich sehe mich selbst total aufgeregt vor meiner neuen Klasse, es ist der Tag meiner Einschulung. Daniel versteckt sich hinter den Beinen unseres Dads, hat er ein wenig Angst vor all den Menschen.

Nie laufen die vollständigen Erinnerungen ab, immer nur kurze Fetzen und doch kann ich das Glück, welches wir damals verspürten in meinem ganzen Körper vernehmen.

Die letzte Erinnerung ist kurz bevor Daniel abgeholt wurde. Niemals hätte ich damals daran gedacht, dass er in so tiefer Scheiße stecken könnte, war er für mich immer mein kleiner leicht verrückter Bruder, der sich lieber ein Bein ausgerissen hätte als das mich jemand ärgern konnte. Und dabei war er der jüngere von uns beiden, verhalten hat er sich aber niemals so.

Nach 4 Stunden halte ich es einfach nicht mehr aus und selbst wenn es gerade erst beginnt zu dämmern, muss ich etwas unternehmen. Diese ganzen Bilder haben mir vor Augen geführt, dass ich niemals hätte aufhören dürfen an Daniel zu denken. Er ist ein Teil von mir, war es immer und ich habe zugelassen, dass man ihn uns und vor allem mir weggenommen hat. Mehrfach vergewissere ich mich, dass Henry auch wirklich tief und fest schlummert und erneut droht mich das schlechte Gewissen zu übermannen. Henry, der Mann der sein Leben für mich opfern würde, der Mann für den ich mein Leben geben würde, der einzige Mann dem ich bedingungslos vertraue und den ich dennoch hintergehen muss.

Seit ich Daniels Gesicht in dieser Email gesehen habe, erkannte, dass er lebt und es ihm gut geht, auch wenn er auf der falschen Seite steht, sind all die Vorhaben, Aufträge und Geheimnisse in den Hintergrund gerückt. Egal sind mir die Probleme, die mein Vorhaben nach sich ziehen könnten, egal ist mir auch, dass ich unseren gesamten Auftrag in Gefahr bringen könnte.

Ich muss einfach wissen, dass es meinem kleinen Bruder gut geht, ganz egal das er gegen mich sein wird.

Meine Kleidung ist komplett schwarz als ich mich aus dem Hotel begebe, meine Kapuze tief ins Gesicht gezogen, damit keiner der Angestellten ausmachen könnte, wer da das Gebäude verlässt. Zwar weiß keiner wer wir wirklich sind, trotzdem traue ich einfach diesem ganzen Gebilde unserer Organisation nicht mehr komplett. Zu verwirrend sind die Vorkommnisse der letzten Tage, die abgehakten Informationen, dieses Halbwissen. Wieder frage ich mich, seit wann wir so im Unklaren gelassen werden bei einem Auftrag. Immer ist man um unsere Sicherheit besorgt, trifft Vorkehrungen die mehr als übertrieben sind und dieses Mal wirft man uns ins eiskalte Wasser, völlig unvorbereitet und ohne Schwimmweste.

Mit rasenden Gedanken, die mein Kopf nur mässig sortieren kann begebe ich mich zu dem kleinen Lokal, in welchem sich Daniel heute Abend aufhalten soll. Laut meinem Informant ist er allein unterwegs, gönnt sich einen Abend Ruhe bevor ab Morgen wichtige Verhandlungen anstehen. Wirklich wissen woher dieses Wissen kommt möchte ich nicht. Informanten sind keine vertrauenswürdigen Personen, meist Menschen die sich ihren Platz in der Welt zurück erobern wollen in dem sie ihre jetzigen Auftraggeber verraten und so die momentane Ungnade wichtigerer Organisationen ungeschehen machen wollen. 

Der Laden sieht heruntergekommen aus, schäbig und ich frage mich ernsthaft was mit 'Daniel geschehen ist, das er in solchen Etablissements Ruhe und Erholung sucht. Es dauert einige Moment bis ich mich traue die Hand auf den Türknauf zu legen, nur um im letzten Moment zur Seite gezerrt zu werden. Mir entweicht ein laute erschrockener Schrei, welchen ich von mir selbst nicht gewohnt bin, kenne ich das Gefühl von Angst nicht. Eine große warme Hand wird auf meinen Mund gedrückt als ich eine enge dunkle Seitengasse gezogen werde. Blitzschnell überlege ich mir einen Plan den Kerl auszuschalten als beide Hände von meinem Körper entfernt werden und ich um dunklen Schein einer einzigen spärlichen Lampe mache ich viel zu vertraute Augen aus, die mich wütend und enttäuscht anblicken.

Komm laut & stirb Leise (Leseprobe)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt