Tonlos

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Stille.

Das war alles was sie hörte.

Die Welt um sie war still.

Ihr Inneres war still.

Ja, sogar ihre Gedanken waren ausnahmsweise mal still.

Stille war das, was sie rund um die Uhr wahrnahm. Kein Geräusch drang durch ihr Trommelfell und auch kein Geräusch drang aus ihrem Mund.

Das scheint wohl der Nachteil zu sein, wenn man taub ist. Doch sie konnte sich nicht beschweren. In ihrem Inneren war ein großes Loch, denn sie würde schon gerne wissen wie es klingt wenn sie ihre Katze streichelt. Oder wie die Stimme ihrer Mutter klingt. Oder Musik.

Ja, Musik nicht hören zu können setzt ihr am meisten zu. Jeden Tag sieht sie Menschen mit Kopfhörern in den Ohren. Wie sie am Wochenende in der Disco tanzen. Oder auch die Straßenmusiker.

Kein Ton oder Klang drang zu ihr durch und das machte sie traurig.

Eine große warme Hand legte sich auf ihre Schulter. Sie hatte ihn nicht hören kommen. Wie denn auch?

Ihr bester Freund setzte sich neben sie in das Laub und lächelte sie an. Stumm reichte er ihr eine Mütze, welche sie aufsetzt.

Er war der einzige, der diese Leere etwas in ihr füllen konnte. Sie lernten sich damals im Kindergarten kennen. Schnell merkte er, dass sie anders ist. Gemeinsam fanden sie irgendwann raus, dass Musik ihr gemeinsames Ding ist.

Zwar hörte sie keine Töne, aber durch Zufall fanden sie raus, wie sie die Musik dennoch spüren kann.

Noch immer lächelnd legte er seine Hand in ihre. Verborgt zwischen ihnen ein Lautsprecher.

Mit einem Klick auf seinem Smartphone spielte er ihr Lieblingslied ab. Ein einfaches akustisches Lied mit viel Bass.

Der Lautsprecher fing an im Takt zu vibrieren. Die Melodie klang durch den Garten.

Sie schloss die Augen. Fühlte die Vibration des Lautsprechers im ganzen Körper.

Farben tanzten vor ihren Augen.

Die Musik, welche für sie stumm aber nicht unsichtbar war, erfüllte jeden Teil ihres Körpers und belebte ihren Geist.

Vielleicht kann sie nichts hören oder sagen, aber sie hat gelernt Geräusche anders wahrzunehmen. 

So saßen sie da. 

Schulter an Schulter. 

Hand in Hand. 

Und dazwischen verborgen ein Lautsprecher. 

Die Vibration ging ihr durch den Arm und traf direkt in ihre Seele, in ihr Herz und in ihren Geist. 

Zum ersten Mal seit langem konnte sie wieder durchatmen. Fühlte sich frei. 

Noch immer hatte sie die Augen geschlossen. Noch immer tanzten Farben vor ihren inneren Auge. Ersetzten die Leere und Stille in ihr. 

Sie bemerkte einen Blick auf sich, öffnete die Augen und sah zu ihrem besten Freund. 

Seine braunen Augen zeigten ihr wärme, sein Lächeln galt nur ihr und automatisch lächelte sie zurück. Wärme flutete ihren Körper. 

In diesem Moment machte es ihr nichts aus taub zu sein. Sie hatte einen wichtigen Menschen an ihrer Seite, der sie verstand und sie unterstützte. 

Die letzten Sonnenstrahlen fielen durch die Bäume, der Wind frischte auf und stich um sie herum. Ein Eichhörnchen flitzte in einigen Metern Entfernung durch das Laub und verschwand an einem Baum. 

TonlosWhere stories live. Discover now