Prologue ; honey

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Und in der Nacht, da hörte ich die Sterne tanzen und die Gräser sich vor Kälte schaudern.
Am Morgen wurde ich Zeuge eines unvermeidlichen Erwachens aller, die sich noch immer vollends in den Fängen und Bedürfnissen ihrer jahrtausend alten Vorgänger befanden und nachdem ich meine Lider aufschlug und wir unsere Welt wieder in die verschiedensten Farben und Ordnungen tauchten, da vergaß ich, was ich mir jeden Abend aufs Neue schwor.
Da vergaß ich meine Gedanken und meine Wünsche, überräumte sie mit Verantwortungen und Verpflichtungen, welche mir den Rest des Tages wie ein schwerer Pelzmantel auf dem Rücken lasten würden, ehe ich am späten Nachmittag, gleich nachdem ich durch die gläsernen Türen des „Beluger's" trat, in welches in gelernt hatte, mehr kostbare Liebe, als Zeit zu investieren, wieder den Ansatz der Ungebundenheit verspürte, der es mir erlaubte, meinen Kopf von all dem, mich fast in eine schläfrige ekstase verfrachtenden, Nebel zu befreien und sei es auch nur für die dürren zwanzig Minuten Bahnfahrt, die ich bis in die Northern Village brauchte.
In diesen zwanzig Minuten, da erinnerte ich mich meistens vage wieder an das, was ich mir selbst mit jedem Herabsenken der Sonne immer wieder genau so hoch und heilig versprach, wie ich es damals bei Tante Luoi getan hatte.
Ich erinnerte mich, mehr aber auch nicht.

Das war es, und vielleicht sollte es das auch sein, denn sobald das alte Fahrgerät mit einem nahezu betäubenden Quietschen, wie es sich nur an meiner Haltestelle ereignete, zum Stehen kam und ich aus dem dritten Wagon von hinten am Fensterplatz bereits den kleinen Bäcker sah, da war alles wieder weg und von dem mir unwillkürlich zu bekannten Nebel umhüllt.
Und ja, vielleicht sollte es so.

Vielleicht sollte es genau so sein, dass ich mir wie jeden Tag um knapp sechzehnuhrdreiundvierzig einen Kakao, ich mochte Kaffee selbst nach all diesen Jahren immer noch nicht im Geringsten, beim Bäcker Hanks kaufte und dessen letzten Schluck immer genau dann meine Kehle hinunterlief, als ich den güldenen Schlüssel in meine Haustür steckte, umdrehte und mich im nächsten Augenblick der Geruch von Räucherstäbchen, dessen Duft immer an die Jahreszeit angepasst, ummantelte.

Wie ein nicht enden wollender Kreislauf wiederholte sich jeder Tag aufs Neue und wäre es nicht um das sich alle vierundzwanzig Stunden wechselnde Datum auf meinem Telefon, wäre es mir ein Leichtes, in den Gedanken zu rutschen, mein Leben wäre nur eine Geschichte und irgendjemand las sie seinem Kind jede Nacht aufs Neue vor.

Ich wusste, genau so sehr wie ich es vor sechs Jahren schon tat, dass ich mir, sobald meine Gestalt in den Blickwinkel meiner Eltern fallen würde, wieder eine skurrile Anekdote meiner Mutter aus ihrem Arbeitsleben anhören musste, von denen ich mir seit etwa zwei Jahren sicher war, sie dachte sich sie nur aus, um zu überzeichnen, was ihr so deutlich in den Falten unter den Augen geschrieben stand.

Dennoch hörte ich immer zu, gab nie zu erkennen, dass ich die ein oder andere Geschichte bereits kannte.

Mal war es ihre Arbeitskollegin, die ihren Chef verführte und daraufhin gefeuert wurde, oder der Stromausfall in dem gesamten Gebäude, der für monotone Belustigung in den Großraumbüros sorgte, hin und wieder schien sie weniger kreativ zu sein, da ward es dann lediglich um die debattierte Gehaltsverkürzung, die aber, ganz selbstverständlich, bei niemandem Gehör fand.

Ich ließ mich hin und wieder mitreißen, von dieser Fassade, die meine Mutter immer zu Zeiten des Mittagessens standhaft machte.

Dieser Fassade, die es nach außen hin beinahe so wirken ließ, als wäre unser Familienleben eine visuelle Darbietung unserer Geister, die allesamt im Einklang zu seien schienen.
Die es so wirken ließ, als entledigte sich mein Vater auch nur eines einzigen Males seiner erbauten Rüstung, die es jedem verwahrte, durch ihn hindurchzublicken.

Fast so, als stünde nicht dieses gesamte Haus unter dem Zwang meines Vaters, der sich so sehr danach bemühte, sein makelloses Selbstbild aufrechtzuerhalten.

til I found salvation in the form of your graceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt