Ein abgelegener Zweibeinerort. Dämmerung. Spike sitzt im Garten auf dem Zaun, welcher den direkt anliegenden Wald von seinem Zuhause abgrenzt. Die kühle Brise des Herbstes zupft sanft an den Schnurrhaaren des jungen Katers. Die Gartentür hinter ihm öffnet sich und ein Zweibeiner tritt aus.
"Spike! Es gibt Essen!" So schnell wie sich die Tür geöffnet hatte schloss sie sich auch wieder und wenige Momente später hatte Spike fast schon vergessen, dass er gerufen wurde. Normalerweise wäre er bei diesem Stichwort sofort losgerannt, um sich in der warmen Umgebung seiner Zweibeiner einer ausgiebigen Mahlzeit zu unterziehen, doch heute war es anders. Er fühlte sich wohl in der einsamen Stille der Natur. Er lauschte dem Windrauschen und beobachtete, wie die Bäume des Waldes diesem nach und nach ihr leichtes Blättergewand überließen, bestaunte die Vielfalt an Wildwuchs, die sich über den Waldrand erstreckte und starrte in die Tiefen dieses bedrohlichen Labyrinths, durch dessen löchriges Blätterdach nun seit einiger Zeit das Licht der Dämmerung brach. Spike liebte es, sich auf den Zaun zu setzen und sich in der Sicherheit des hinter ihm liegendem Zweibeinernestes ganz der Natur hinzugeben. Er schloss die Augen und widmete alle seine Sinne dieser Umgebung. Er atmete die kalte Luft, spürte den Hauch des Windes...
"Spike! Wo bleibst du?" ertönte die Stimme eines Zweibeiners hinter ihm. Spike war so konzentriert gewesen, dass er selbst den unüberhörbaren Lärm der sich öffnenden Gartentür überhört hatte. In Folge dessen schreckte er auf und stürzte vom Zaun in den Garten zurück.
"Und sie sagen", verärgert spuckte er etwas Erde aus, während er den Kopf vom Boden hob, "dass Katzen immer auf allen vier Pfoten landen..."
Spike schüttelte sich den Dreck vom Fell und machte sich langsam auf den Weg zurück zum Zweibeinernest. Auf einmal raschelte es hinter ihm.
"Hey! Du willst doch wohl noch nicht zurück in dein Nest, Hauskätzchen?"
Eine fremde Katze war von der Seite des Waldes auf seinen Zaun gesprungen. Spike hatte sie noch nie gesehen, und wusste zuerst nicht, wie er reagieren sollte.
"Wer bist du und was willst du? Das ist mein Revier.", er bemühte sich, selbstsicher zu klingen, was offensichtlich keine Wirkung zeigte, da die fremde Katze als Antwort belustigt am Zaun kratzte.
"Dein Revier? Für ein Revier muss man kämpfen. Du hast kein Revier. Ich würde es eher.... Hotel nennen"
"Ein Hotel?" Verdutzt versuchte Spike eine Antwort zu finden, scheiterte jedoch. Er musterte die unbekannte Kätzin. Sie war eine ebenfalls äußerst junge Katze. Trotz des fahlen Lichtes strahlte ihr golden rotes Fell heller als die Sonne und ihre tiefblauen Augen funkelten ihn geradezu an. Sie sah ihm direkt in die Augen.
"Es geht mir nicht darum, dir dein Revier streitig zu machen.", Sie hüpfte vom Zaun in den Garten und ging auf ihn zu.
"Ich beobachte dich schon seit Neumond" Gerade mal eine Pfotenlänge vor Spike blieb sie stehen.
"Ich habe längst bemerkt, dass du dich nach dem Wald sehnst."
Spike konnte nicht antworten. Er stand wie angewurzelt fest und starrte mit geweiteten Augen auf die Besucherin. Die Kätzin vor ihm hatte sich nicht vorgestellt, kam ihm aber dennoch vertraut vor. Trotz des gepflegten Erscheinungsbildes hatte Irgendetwas an ihr ihm sofort gesagt, dass sie eine der Kriegerkatzen aus den Wäldern war.
"Was bedeutet für dich Freiheit?" Spike sah ein loderndes Feuer in den Augen der Wildkätzin.
Plötzlich erlangte er seine Fassung zurück. "Ich bin... frei..." nuschelte er.
Die Kätzin ging einen Schritt zurück "Das ist für dich Freiheit?" Ihr Blick wanderte verächtlich das Zweibeinernest entlang. "Du verbringst jeden Tag in Abhängigkeit der Zweibeiner, frisst den Krähenfraß, den sie dir vorlegen, traust dich aus Angst vor Gefahr nicht mal ansatzweise in den Wald hinein..."
Sie plusterte sich vor Stolz auf, was in etwa an die Gestalt einer Eule erinnerte.
"Würdest du dich uns anschließen, würdest du lernen, was wahre Freiheit ist." Ihr Blick wurde sanft. "Ich habe dich gesehen. Habe gesehen, wie dich die Natur beeinflusst. Ich weiß, dass du, tief in deinem Herzen, kein Hauskätzchen bist." Ihre letzten Worte waren fast nur noch ein Hauchen.
Sie will, dass ich mit ihr komme
Spike versuchte seine Gedanken zu ordnen. Tief im Inneren schrie er danach, das fade Hauskätzchenleben hinter sich zu lassen. Diese Entscheidung würde sein Leben verändern. Doch dann dachte er an die liebenden Zweibeiner, die ihn vermissen würden, und seinen warmen Schlafplatz, den er für immer verlassen würde...
"Ich..... kann nicht...."
Das Wildkätzchen zuckte schmerzvoll zusammen. "Also doch ein Hauskätzchen".
Wortlos drehte sie sich um und sprang zurück auf den Zaun. Ihr Fell schimmerte wie ein Stern in der Nacht, Spike konnte seinen Blick nicht von ihr abwenden. Zögernd drehte sie sich ein letztes Mal, sprang dann zurück in den Wald und verschwand in der Dunkelheit.
"Wieso habe ich das gesagt?!" Spike konnte nicht mehr klar denken. Die Wildkätzin hatte Recht. Er sehnte sich nach dem Wald und den Kriegerkatzen, auch wenn es bedeuten würde, sein Zuhause, seinen Schlafplatz und die lieblichen Berührungen der felllosen Zweibeinerpfoten ein für alle Mal zu verlassen.
Er hielt einen Moment inne. Es gab nur eine richtige Entscheidung. Spike musste beweisen, kein verweichlichtes Hauskätzchen zu sein, sondern den Willen zu haben, wahre Freiheit zu erreichen!
Es vergingen einige Augenblicke. Es kehrte jene Stille ein, jenes Wohlbefinden, dass Spike seit Anbeginn seiner Gedanken ersehnte. Er spürte das Leben des Waldes und der kühle Wind der Nacht durchfuhr sein Fell. Dann ging er los.
Spike sprang auf den Zaun. Ein letztes Mal drehte er sich um und blickte mit Liebe auf sein altes Zuhause. Durch die warmen Fenster sah er das Licht der künstlichen Menschensonnen, die innen an den Decken hingen.
"Leb wohl", maunzte er, obwohl niemand ihn hören konnte.
Dann sprang er auf die andere Seite und huschte in das Dunkel des Waldes, von dem er bald darauf verschluckt wurde.
Schreibdauer: Ca. 1,5 Stunden
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Warrior Cats FF | Sehnsucht
FanfictionIn der Dämmerung der Nacht begegnet das Hauskätzchen Spike einer wunderschönen Kätzin. Diese stellt seine Lebensart in Frage und konfrontiert ihn mit der wahren Bedeutung von Freiheit.