prolog. | superheroes.

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Es fing wohl mit vier Jahren an, dass ich mir ernsthafte Sorgen wegen meiner Spezialität machte. Ich wollte wie 80% der Bevölkerung sein und nicht zu den lausigen 20% gehören, die ohne besondere Fähigkeit auf die Welt gekommen waren. Ohne Spezialität war man ein Normalo.

Ein Langweiler.
Ein Schwächling.

Und vor allen Dingen konnte ich ohne Spezialität nicht wie mein Idol All Might sein.
Die Nummer eins am Superheldenhimmel. Der stärkste und bemerkenswerteste Mensch dieses Planeten, wie er mit einem breiten Lächeln im Gesicht jeden Hilfsbedürftigen rettet.
Genau so wollte ich werden.
Und die Hoffnung gab ich auch nie auf.
Zumindest nicht bis zu dem einen, alles entscheidenden Arzttermin.

"Es tut mir leid, aber der junge Izuku wird wohl keine Spezialität besitzen. Sonst hätte sie sich bis jetzt gezeigt."

Diese Worte ließen meine Welt zusammenbrechen.
Doch ich wollte es mir nicht eingestehen.
Wenigstens meine Mutter würde mir Zuspruch geben, dachte ich.
Allerdings hatte ich auch da falsch gedacht.

"Es tut mir leid, Izuku. Es tut mir so leid..."

Und ab da begann ich, andere Superhelden zu analysieren und ihre Spezialitäten zu verstehen. Wenn ich schon selbst kein Held werden konnte, dann musste ich mich eben ablenken. Jedoch wurde mir dies nicht leicht gemacht.

"Deku, du bist ein verdammter Nerd, ohne eine Spezialität bist du nicht mehr als heiße Luft. Du wirst niemals ein Held werden. Und jetzt mach' die Fliege."

Mein bester Freund, Bakugou Katsuki, machte es mir nie leicht, aber gerade nach der Feststellung des Arztes verletzte es mich besonders. Gerade von Katsuki. Von meinem anderen Idol, neben All Might. Er war stark, klug, beliebt, schnell und gutaussehend. Und auch, wenn er mir diese Seite nie zeigte, war er tief im Inneren sehr fürsorglich. Wahrscheinlich war das einer der Gründe, weshalb ich mich mit meinen damaligen zehn Jahren in ihn verliebte.
Wenn man es damals schon als 'Liebe' bezeichnen konnte.
Mit der Zeit wurde ich älter und fühlte mich immer stärker zu meinem ehemalig besten Freund hingezogen, jedoch unterdrückte ich meine Gefühle mit all meiner Kraft.
Genau wie meine Tränen, wenn er mich runtermachte.
Oder vor der Klasse bloßstellte.
Oder verprügelte.
Meine Mutter wusste nichts davon und ignorierte meine Verletzungen. Vermutlich aus Mitleid, vielleicht aber auch aus Desinteresse. Manchmal dachte ich, dass meine Mutter mich nicht liebte.
Weil ich schwach war.
Weil ich keine Hilfe war.
Weil ich keine Spezialität besaß.
Eines Tages, als meine Mutter nicht da war, betrachtete ich mein aufgequollenes Gesicht im Badezimmerspiegel und griff instinktiv nach der Rasierklinge. Wie sie es immer im Fernsehen machten. Wenn sie nicht wussten, wohin mit ihrer Wut und ihrem Frust, ließen sie ihren Körper dafür leiden. Und als ich damit begann, empfand ich es als gute Lösung. Die rote, warme Flüssigkeit floss immer öfter meine Arme hinunter, manchmal sogar in einer so großen Menge, dass ich mich auf den Badewannenrand setzen musste, um nicht umzukippen. Doch auch wenn meine Mutter es sah, sagte sie nichts. Sie schwieg, weinte leise und begann wegen ihrem Kummer mehr zu essen.
Aber sie würde nicht mit mir reden.
Weshalb auch? Schließlich war ich ein schwaches Kind ohne Spezialität.
Als meine Klassenkameraden herausfanden, dass ich mich ritzte, nahmen einige Abstand, während andere mich auslachten und niedermachten. Katsuki war einer von ihnen.
Seine Schläge taten mehr weh, als die der anderen.
Auch wenn er gleich fest zuschlug. Seine Prügel drang durch meine Haut bis zu meinem Herzen, wo sie blutige Narben hinterließ.
So ging es eine Zeit lang weiter, bis er mich eines Tages so sehr verprügelte, dass ich für einen Moment liegen blieb, da ich mich nicht bewegen konnte. Irgendwann schaffte ich es dann aufzustehen, lachend, während mir Tränen die Wangen hinunterliefen.

Alles Gute zum fünfzehnten Geburtstag, Deku.

Ich machte mich auf den Weg nach Hause, hoffend, meiner Mutter so gut wie möglich aus dem Weg zu gehen. Nicht, dass ich sie nicht mochte. Ich wollte einfach keine Last für sie sein.
Kein Schandfleck.
Schließlich war ich schwach.
Als ich die Wohnungstür aufschloss, ging ich in die Küche und sah, dass meine Mutter mir einen Zettel dagelassen hatte.

'Bin nur einkaufen, gleich wieder da.
Mom.'

Seufzend ließ ich mich aufs Sofa fallen und wackelte gelangweilt mit meinen Zehen, ehe ich nach einer halben Stunde den Fernseher anschaltete und durch die Sender stöberte, bis mir die Nachrichten ins Auge fielen.

'... während des Rettungseinsatzes der Helden kam unglücklicherweise eine unbeteiligte Zivilistin um, eine verwitwete alleinerziehende Mutter aus Musutafu, neben Tokyo. Es handelt sich um Midoriya Inko. Laut Zeugen war sie einkau-'

Ich bemerkte nicht, dass mein Zeigefinger instinktiv die Powertaste der Fernbedienung drückte und starrte mit großen Augen den schwarzen Bildschirm an. Mein Gehirn konnte die erhaltene Information nicht verarbeiten.
Oder eher wollte es nicht tun.
Ich war nun allein auf dieser Welt. Ohne Vater.
Ohne Mutter.
Ohne Freunde.
Ohne Katsuki.
Nur ich.
Das schwache Kind ohne Spezialität von nebenan.
Und warum war das so?
Warum war ich alleine?
Nicht etwa, weil ich verprügelt wurde.
Auch nicht, weil meine Mutter sich nicht um mich kümmerte.
Sondern wegen den Helden.
Einzig und allein die Superhelden waren Schuld.
Weil diese Superhelden ihre Arbeit nicht leicht ausübten, war ich nun allein auf dieser Welt.
Nur wegen den Superhelden.
Die Superhelden.
Doch war All Might auch so?

The Other Me [BakuDeku]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt