Die Dunkelheit schlang sich um mich, nahm mich in ihre Arme und verdrängte den Schmerz, die Angst. Sie löste das eisige Wasser ab, und umhüllte mich stattdessen mit einer angenehmen, freundlichen Wärme. Sie vertrieb den Schmerz aus meinen Lungen und erlöste mich vom Ersticken. Ich fühlte mich plötzlich schwerelos, alle Sorgen und Ängste waren verschwunden, von der Dunkelheit verschluckt worden. Ich hatte das Gefühl zu schweben, nicht mehr zu sinken, wie ein Stein, der ins Wasser geworfen wurde.
Plötzlich erkannte ich ein feines, winziges, helles Lichtlein, weit von mir entfernt. Es war nur ein kleiner Strahl, wie ein zarter Sonnenstrahl, der sich an einem wolkenverhangenem Tag zwischen ihnen durchkämpfte und ein weiches Licht spendete. Fasziniert beobachtete ich, wie es zu wachsen schien und wie die Dunkelheit langsam etwas Hellerem wich.
Und dann sah ich sie.
Ich schwebte über ihnen, über einer Anzahl von einzelnen Blasen, durchsichtig und schimmernd, wie Seifenblasen. Ihre dünne Haut schillerte in allen möglichen Farben und je näher ich am, desto mehr glitzerten sie. Dann hatte ich die Ansammlung, die Kolonie an Blasen erreicht und riss erstaunt die Augen auf. In diesen Blasen bewegte sich etwas! Oder nein, nicht etwas, ich konnte deutlich Katzen erkennen, in manchen spielten Junge, in manchen konnte ich eine Schülerzeremonie beobachten. Interessiert betrachtete ich die Blase die mir am nächsten war und beobachtete die Jungen die darin spielten. Die Umgebung kam mir seltsam vertraut vor, der Eingang zur Kinderstube, die typischen, schmalen Blätter einer Weide, die am Rande der Szene zu sehen waren und das frische Grüne Gras, über das die Jungen tollten. Stirnrunzelnd betrachtete ich die Szene und versuchte einen Zusammenhang zu ihr herzustellen. Da betrat eine Katze das Bild, sie schlüpfte aus der Kinderstube heraus und es fiel mir wie Schuppen von den Augen. Das war ich! Ich mit meinen Geschwistern und meiner Mama! Die Blase schwebte näher an mich heran, fast so als hätte sie gemerkt, dass ich es realisiert hatte und als wollte sie mir das geschehen näher zeigen. Ich lächelte als ich mich und meine drei Geschwister beobachtete und ein warmes Glücksgefühl breitete sich in mir aus. Das waren Zeiten gewesen, so sorglos und glücklich. Ich sah, wie meine Mama nähertrat und uns mit ihrem buschigen Schweif einsammelte und zurück in die Kinderstube brachte. Hören konnte ich nichts, aber das war auch nicht nötig. Diese Erinnerung wirkte genauso friedlich, wie sie für mich auch war.
Als die Katzen in der Kinderstube verschwanden, spürte ich plötzlich einen Windstoß, der mich zur nächsten Blase beförderte. Wieder erkannte ich eine Erinnerung, einen Abschnitt meine Lebens. Diesmal zeigte sie meine Schülerzeremonie, eine sehr zweischneidige Erinnerung. Einerseits hatte ich es kaum erwarten können endlich Schüler zu werden, andererseits war ich tieftraurig, meine beiden Geschwister nicht bei mir zu haben. Sie waren alle beide als Junge gestorben, ohne einen ersichtlichen Grund. Die Heiler hatten mondelang nach Ursachen gesucht, doch sie hatten einfach nichts finden können, was nicht gerade zur Besserung des Zustandes meiner Mama beitragen konnte. Und so sah ich mich nun dort stehen, alleine vor dem Hochfelsen auf dem der Anführer thronte. Trotz all der Trauer sah ich, wie ich aufgeregt herumzappelte und mit glänzenden Augen meine Ernennung erwartete. Ich stutzte, denn erst jetzt bemerkte ich, wie meine Mama lächelte, während ich zum Schüler ernannt wurde. Seit dem Tod meiner Geschwister hatte ich sie nicht mehr Lächeln sehen, wir drei waren das Einzige was ihr von ihrem Gefährten geblieben war, und nun wurden auch wir ihr fast alle genommen. Ich lächelte ebenfalls als ich diese Szene beobachtete und meine Mama lächeln sah. Ich blinzelte verwirrt, als sich plötzlich Nebel in die Blase schlich, doch bevor ich genauer hinsehen konnte, zerplatzte die Blase und ich schwebte zur nächsten. Obwohl ich mich dem geheimnisvollem Lichtstrahl näherte, war diese Blase von dunklem Rauch durchzogen. Ich schwebte näher und berührte mit meiner Nase fast schon die dünner, zerbrechlich wirkende Wand. Da erkannte ich was dort gerade vor sich ging und schlagartig kroch mit die Angst in den Nacken. Zu sehen, oder eigentlich nicht zu erkennen, war unser Lager, getaucht in dicken, schweren Rauch und einzelne rot-orange Flammen. Katzen flohen und rannten um ihr Leben, Katzen miauten schrill nach ihren Liebsten, Katzen starrten mit Panik in den Augen, auf ihr Zuhause. Ich wusste was gleich kommen würde und der Gedanke trieb mir Tränen in die Augen. Diese Ereignis, war wohl das letzte Puzzleteil gewesen, warum ich in den See gesprungen war. Warum ich freiwillig ins Wasser gegangen war, obwohl ich nicht schwimmen konnte. Warum ich mich gegen das Sinken nicht gewehrt habe und meinen Überlebensinstinkt unterdrückt habe. Gerade als meine Gedanken an das Ereignis abschweiften, sah ich es mit eigenen Augen und erlebte es noch einmal. Ich sah meine Mama, wie sie sich mit letzter Kraft aus dem Feuer zog, ihr Fell mit Brandblasen übersäht und ich sah mich, leblos, aber völlig unverletzt in ihrem Maul baumelnd. Ich sah, wie sie mich in Sicherheit brachte, wie sie sicherstellte, dass ich atmete und lebte und ich sah wie sie kraftlos und husten neben mir zusammensank und ihre Augen schloss. Ich sah wie ihr Atem immer flacher wurde und wie er schließlich ganz ausblieb. Ich sah wie ich aufwachte und meine tote Mama neben mir liegen sah. Und ich sah die Trauer und das Entsetzen in meinen Augen, die sie von da an nie mehr verlassen hatten.
Eine einzelne Träne rolle mir über die Wange. Ich hatte die richtige Wahl getroffen. Das Leben war zu grausam, als dass es lebenswert gewesen wäre. Diese Blase hatte mich in meiner Entscheidung wieder bestätigt, hatten die anderen Beiden jedoch, einen Funken Zweifel in mir geschürt. Doch diese Erinnerung hatte den Funken gelöscht, hatte ihn ertrinken lassen, wie ich es gerade tat. Die Blase löste sich auf und ein Lufthauch trieb mich durch den schwarzen Rauch hindurch Ich kniff die Augen zusammen und blinzelte als ich eine weitere Blase erblickte. Sie war direkt vor dem erlösendem Lichtstrahl, die letzte Station, bevor ich diesen warmen Schein erreichte, bevor ich an der Endstation ankam. Der Rauch verzog sich, als ob ihn jemand vertreiben würde und schaffte Platz für die letzte Blase. Staunend stellte ich fest, dass sie irgendwie glühte und ein leichtes Licht von ihr abging. Sie verstrahlte eine wohlige Wärme und ich konnte en Ufer erkennen. Nein, nicht ein Ufer, sondern Das Ufer unserer Insel, wo sich zwei Katzen aufhielten. Sie hatten beide die Größe von Schülern, und die schneeweiße Kätzin beugte sich besorgt über einen nachtschwarzen Kater. Ihre eisblauen Augen funkelten besorgt und starrten verzweifelt auf den vor ihr liegenden Kater. Er schien nicht zu atmen und war komplett durchnässt. Ein kleines Rinnsal Wasser, lief von seinem Körper wieder zurück in den See.
//Das bin ich// machte sich die Erkenntnis in mir breit und veränderte meinen Blickwinkel. Das dort, war die Realität, nicht die Vergangenheit. Das war das Jetzt und das dort war ich. Sie hatte mich aus dem Wasser gezogen, sie wollte mich retten. Obwohl wir doch so verschieden waren, sie so lebensfroh und ich so depressiv, sie so hübsch und ich bloß ein schwarzer Kater, sie so beliebt und ich doch der Außenseiter des Clans, sie mit einer großen Familie und ich mit niemanden. Obwohl all das zwischen uns stand, hatte sie mich aus dem Wasser gezogen. Hatte sich selbst in Lebensgefahr gebracht, um mich zu retten. Nur für mich.
Und dann sah ich es. Nun wusste ich, warum diese Erinnerung leuchtete. Hier war eine Weggabelung. Das hier war meine letzte Entscheidung. Wählte ich die Blase, wählte ich mein Leben, eine Chance auf ein Leben mit ihr. Wählte ich jedoch das Licht, wählte ich den Tod, eine Existenz ohne sie. Dafür bot mir die Ewigkeit die Befreiung von all meinen Schmerzen, meinen Ängsten und meiner Trauer. Sie war ein sicherer Hafen, eine Unendlichkeit, ohne den Hürden des Lebens.
Doch wollte ich das?
Wollte ich für alle Ewigkeit ohne wirkliche Gefühle leben? Wollte ich wirklich alleine dort herum schweben? Oder wollte ich dem Leben eine neue Chance geben, eine zweite Chancen wie sie jeder verdient hat? Eine Chance, mir zu zeigen, dass das Leben auch schön sein kann? Dass ich meine Liebe finden kann? Glücklich werden kann?
Ohne es zu wissen, hatte ich mich bereits entschieden. Mein Herz hatte das schon vor einer Weile getan, doch nun war auch mein Verstand dabei. Der Funke, den ich erloschen glaubte, war nie erloschen. Er war nur kleiner geworden, von aufziehenden Regenwolken, verdrängt. Doch er war nie erloschen. Ich hatte noch nicht aufgegeben. Noch konnte ich zurück. Eine Wendung in mein Leben bringen. Mit ihr einen neuen Anfang machen. Waren wir doch wie Tag und Nacht, so gehörten wir doch zusammen. Denn ohne den Tag, gibt es keine Nacht, ohne die Nacht gibt es keinen Tag. Der Funke in mir wurde größer und stärker, die Regenwolken verzogen sich und der Funke wurde zu einer Flamme. Immer schneller breitete sich diese kleine Flamme aus, wurde zu einem Feuer, dass mich erfüllte. Entschlossen wand ich mich von dem Lichtstrahl ab und der Blase zu. Ich zögerte nun nicht mehr, hatte keinen Zweifel und berührte mit meinen Pfoten die Blase. Ein Loch klaffte dort, wo ich ihre dünner Wand berührt hatte und ich nutze die Chance und schlüpfte hindurch. Die Blasen, das Licht und die Dunkelheit verschwanden und kurz war es vollkommen still.
Dann auf einmal drang Vogelgezwitscher zu mir durch, Gerüche der Blattfrische strömten in meine Nase und Sonnenstrahlen tanzten auf meinen geschlossenen Lidern. Ein Ruck ging durch meinen Körper und ich atmete husten ein. Ich sog die Luft in mich auf und öffnete meine Augen. Doch ich sah nicht den Himmel, keine Bäume oder Pflanzen, keine Steine kein Gras. Ich blickte geradewegs in tiefe, kristallklare blaue Augen. Ich erkannte die einzelnen Blautöne, die vielen verschiedenen Nuancen, die in sich verschwammen und doch so klar abgetrennt waren. Kein anderer Farbton störte dieses reine Blau, das ihre Augen so einzigartig machte. Und diese Augen starrte mich an, voller Erleichterung und voller Freude. Sie glitzerten von der einfallenden Sonne und ich wusste, dass ich richtig entschieden hatte. Das Leben ging noch weiter, das Leben hatte noch etwas it mir vor. Und ich war bereit dieses Abenteuer zu gehen, war bereit daran teilzunehmen und an mein Ziel zu gelangen. Denn eines wusste ich nun:
Ich wollte Leben.
Danke fürs Lesen!
Kritik, Anmerkungen, Verbesserungen, immer nur her damit!
-CaerulaLuna
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Eine zweite Chance
FanfictionWas wenn das Leben eine zweite Chance gibt? Was wenn es trotz allem etwas gibt, was dich dort hält? Ist es den Schmerz wert?