Langsam schlenderte ich den Weg entlang. Schon wieder war ich hier. Ein neuer Tag, an dem ich hier stand. Unter seinem Fenster und wartete bis er hinausschauen würde. Der Himmel zog sich langsam zu, während ich mich keinen Millimeter bewegte. Bevor ich ihn nicht gesehen hätte, würde ich nicht gehen. Er war wieder nicht in der Schule gewesen. Es begann zu regnen. Meine Kleidung durchnässte immer mehr, während sich der Himmel mit einer dunkeln Wolkendecke überzog.Ein Lächeln schlich sich auf meine Lippen. In seinem Zimmer war gerade das Licht angegangen und schon stand er an seinem Fenster. Er lächelte, doch in seinen Augen sah man die Verzweiflung. Irgendwann hatte er es aufgegeben, mich in der Schule überzeugen zu wollen, nicht mehr her zu kommen. Ich konnte und wollte nicht einen Tag ohne ihn verbringen müssen. Wie immer, wenn ich hier stand, sah ich ihm nur in seine Augen, deren Tiefe mich jedes Mal in ihren Bann zog. Seine Augen waren wie ein Fenster in seine Seele, in denen der Schmerz und die Zweifel hoffnungslos versuchten sich zu verstecken. Sein Lächeln war so wunderschön, dass es mir äußerst schwer viel, mir sein ehrliches Lächeln vorzustellen.
Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen, als er plötzlich grob an der Schulter zur Seite gedreht wurde. Die Lippen der Frau, die wohl seine Mutter sein musste, bewegten sich schnell und ihr Blick war alles andere als erfreut. Da die Scheibe mit Regentropfen übersäht war, konnte ich nur erahnen, dass er weinte. Mir jagte es die Tränen in die Augen, wie er so unfassbar ängstlich und eingeschüchtert antwortete. Als sie auch noch ihre Hand hob und ausholte weiteten sich meine Augen. Das würde sie doch nicht wirklich tun?! Doch bevor ich mir weiter den Kopf zerbrechen konnte, landete ihre Hand auch schon auf seiner weichen Wange und damit gab sie den Startschuss für meine Tränen, die sich nun den Weg an meinen Wangen hinunter bahnten. Mit finsterer Miene verschwand seine Mutter vom Fenster, nachdem sie mir einen verächtlichen Blick zugeworfen hatte.
Hektisch drehte er sich zu mir, schaute mit seinen geröteten Augen in die meine und formte schnelle Worte mit den Lippen, doch ich konnte ihn nicht verstehen.
"Verschwinde!", brüllte eine weibliche Stimme und mein Blick schnellte sofort in die Richtung, aus der diese gekommen war. Seine Mutter starrte mich mit Wut getränkten Augen an. Nachdem ich ihm noch einen schnellen Blick zugeworfen hatte, verschwand ich von seinem Grundstück.
"Wage es ja nicht, dich noch einmal hier blicken zu lassen, du Memme!", schrie sie mir noch hinterher, bevor sie wieder im Haus verschwand.°°°
Lustlos stopfte ich meine Bücher in meinen Spind. Viele Schüler quetschten sich durch den schmalen Flur zu den Ausgängen der Schule, um ihre Freizeit anders verschwenden zu können. Seufzend schloss ich meinen Spind und schaute noch einmal den Gang entlang, als sich meine Augen weiteten. Er stand an seinem Spind und packte seine Bücher ein. Nachdem ich ihn kurz gemustert hatte, setzte ich mich in Bewegung. Als ich ihn beinahe erreicht hatte, schloss er die Tür seines Spindes und schaute mich an. Seine Augen begannen zu glänzen und sofort verharrte ich in meiner Bewegung. Hatte ich etwas falsch gemacht? Minuten verstrichen, die sich wie Stunden anfühlten. Oder waren es doch nur Sekunden gewesen? Ich war nicht in der Lage es zu beurteilen.
Er drehte sich um und begann zu rennen, als er seine Tränen nicht mehr halten konnte. Hastig lief ich ihm nach, rempelte unzählige Schüler an, drängte mich zur Tür hinaus und stolperte die Treppen hinunter. Ich blickte mich hektisch um und sprintete direkt weiter, als ich ihn nur wenige Meter vor mir entdeckte. Sofort zog ich ihn in meine Arme, nachdem ich ihn erreicht hatte und drückte ihn fest an mich. Er vergrub sein Gesicht an meiner Schulter und begann zu schluchzen, weshalb ich ihn unterbewusst noch fester an mich drückte. So wollte ich ihn nicht sehen.
"Ich sagte doch, dass du nicht mehr zu mir kommen sollst...", sagte er leise. Er hatte sich etwas beruhigt. "Ich musste dich einfach sehen.", gestand ich, während ich meinen Kopf auf seiner Schulter ablegte. Obwohl ich wusste, dass ihn die Blicke der anderen alles andere als egal waren, ließ ich mich nicht daran stören. Alles was zählte war er.
"Wie lange hast du da schon gestanden?", hauchte er. "Seit Schulschluss." - meine Antwort quittierte er mit einem Seufzen.
"Zumindest hast du dich nicht erkältet.", nuschelte er gegen meine Schulter. Das Schmunzeln, welches sich kurz zuvor auf meine Lippen geschlichen hatte, verflog, als ich an gestern zurückdachte. Was wenn sie ihm noch mehr angetan hat?
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| [Der Engel aus dem Fenster] |
Short Story»Versteinert blieb ich stehen und versuchte mir zu erklären, was gerade passiert war. Warum sollte er mit mir Schluss machen..? Es war, als wollte ich es einfach nicht glauben, als würde sich mein Kopf weigern zu verstehen. Wie in Trance begab ich m...