1. Kapitel

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Leises Knistern und Rascheln riss mich aus meinem - zugegebenermaßen - kurzen Schlaf und ich saß kerzengerade auf meinem Bett. Die hektische Bewegung führte zu einem leichten Knarren und Quietschen. So leise, wie ich es gedacht hatte, war es anscheinend nicht, denn das Knistern und Rascheln hörte abrupt auf. Tapsende Geräusche machten sich bemerkbar und im nächsten Moment wurde der offene Spalt meiner Tür größer und eine kleine Person kam auf mein Bett zu. Im Pyjama, mit zerzausten Haare und einem zerknautschten Gesicht stand mein Sohn Noah vor mir und strahlte mich an. Nach zwei Anläufen saß er neben mir auf den Bett und kuschelte sich an mich ran - so wie jeden Morgen. Jeden Morgen nahmen wir uns Zeit und kuschelten, bevor wir uns fertig machten. Ich war gerade im vierten Semester meines Journalismus Studiums und genoss die Zeit vor dem stressigen Alltag umso mehr.
Das Fertigmachen verlief ohne irgendwelche Zwischenfälle und wir saßen pünktlich im Auto, auf dem Weg zu Noahs Kita.

Der laufende Meter flitzte auf das Tor zu und hielt sich an den Stangen fest, sodass er mit dem Tor mitging, als ich es öffnete. Mit dem Kopf im Nacken schaute er zu mir und lachte. Gemeinsam gingen wir auf das Gebäude zu und liefen zu seinem Gruppenraum, den Marienkäfern. Der Dreijährige entledigte sich seiner Jeans, unter der sich eine Strumpfhose verbarg und schlüpfte in seine Hausschuhe. In die Ärmel seiner Jacke stopfte er seine Mütze und sein Tuch und hing dieses Paket an seinen Haken. Aus dem Gruppenraum hörte man lautes Gelächter und Schreie. Noah lief direkt auf die Tür zu und schaute durch das Fenster. Ich öffnete die Tür, kniete mich auf seine Augenhöhe und gab ihm einen Kuss zum Abschied. „Oma holt dich heute ab. Sei artig, ja?" Ich strich über seine weiche, pummelige Wange und er nickte energisch. "Bis heute Abend mein Schatz." Ich winkte mir lächelnd zu und rannte dann auf die anderen Kindern zu, die sich freuten, als sie ihn erblickten. Grinsend stand ich auf und winkte Nate, dem Erzieher, zu. "Grace, wie schön dich zu sehen!" Er kam mit eleganten Schritten auf mich zu und schloss mich in seine Arme.

Wir gingen zusammen auf die Highschool und waren die besten Freunde, bevor sich unsere Wege trennten. Erst als Noah in das Alter kam, dass ich ihn zur Kita bringen konnte, sah ich Nate wieder und die erste Begegnung hatte sich angefühlt, als wäre es nur ein Wochenende gewesen, das dazwischen lag. Nate war schon immer unglaublich kinderlieb und hatte seit der middle School davon geschwärmt, einmal Gruppenleiter von Kleinkindern zu werden. Dass ihm diese Arbeit gut tat und ihm Freude machte, sah man an den strahlenden Augen und dem durchgehenden Lächeln auf seinen Lippen.
Ich hatte hingegen schon immer Spaß am Schreiben, Erzählen und Recherchieren gehabt, sodass mir das Journalismus Studium am gelegensten kam.
Zwischen meinem Abschluss und dem ersten Semester hatte ich ein Jahr Pause gemacht und mich voll und ganz auf Noah konzentriert. Nebenbei hatte ich in dem Café meiner Mutter ausgeholfen und mir ein bisschen dazuverdient.
In der Zeit hatten Nate und ich viel telefoniert, denn er war die einzige Person, die meine Situation kannte und zu 100% verstand.
Ich erfuhr relativ am Anfang der 12. Klasse, dass ich schwanger war und nur durch Nate und meine Eltern habe ich den Boden unter meinen Füßen nicht verloren. Die Schwangerschaft hielt ich geheim, was durch meinen kleinen Babybauch nicht allzu schwer war.
Die erste Zeit als alleinerziehende Mutter war nicht so schlimm, wie ich es die ganze Schwangerschaft über dachte, denn ich war ja nicht alleine. Meine Eltern unterstützten mich wo sie nur konnten und mittlerweile waren Noah und ich ein eingespieltes Team.

Sein vertrauter Geruch stieg in meine Nase und ich schloss instinktiv meine Augen. „Wie geht's dir?", nuschelte ich gegen sein T-Shirt und schaute auf, direkt in seine strahlend grünen Augen. „Super und Dir?" Der Blondschopf wuschelte durch meine langen braunen Haare und lachte tief, weil er wusste, dass ich das nicht abkonnte. „Bis eben ging's mir noch gut", murrte ich und versuchte eine grimmigen Ausdruck aufzusetzen. Leider erzielte das nicht den erwünschten Erfolg, denn Nate hob nur abwartend eine Braue und prustete anschließend so laut los, dass sich die Kinder in unsere Richtung drehten. Ich schüttelte nur schmunzelnd den Kopf und entfernte mich von ihm. „Ich muss dann los zu Uni." Ich fuhr mich durch meine Haare und versuchte, sie wieder einigermaßen ordentlich zu machen. „Sehen wir uns Morgen?", fragte er und stützte sich am Türrahmen ab. Kurz schweifte mein Blick zu dem Muskelspiel an seinem Arm, ehe ich wieder ihn seine Augen sah. Ich nickte und drückte ihm einen kurzen Kuss auf die Wange, bevor ich kehrt machte und das Gebäude verließ. Ich fuhr eine halbe Stunde zu Uni und musste mich sputen. Während Nate und ich redeten, hatte ich die Zeit vollkommen vergessen und bekam jetzt die Quittung dafür.

Mit der Tasche unter meinem Arm geklemmt, sprintete ich über den Campus auf das riesige Gebäude zu und stieß die große Holztür auf. Noch rechtzeitig erwischte ich mein Seminar und lies mich neben Liv, meiner Kommilitonen und gleichzeitig besten Freundin, nieder. Ich klappte meinen Laptop auf und widmete mich dem Professor, der mit uns die Themenfindung besprach und Tipps zur Recherche zeigte.
Wir waren eine relativ kleine Gruppe aus 20 Studenten und somit war die Stimmung um einiges lockerer, was zum Großteil an unserem Professor lag, der nicht alles unglaublich streng sah und auch mal Witze riss.

In der Kantine war langes Warten keine Seltenheit. Als wir endlich an der Reihe waren und unser Essen in Empfang nahmen, machten wir uns auf die Suche nach zwei freien Plätzen. Das erwies sich schwieriger als gedacht, da so gut wie alle belegt waren. Liv erspähte zwei Plätze und lief mit mir im Schlepptau direkt auf sie zu. Gleichzeitig ließen wir uns nieder und verputzten das Mittagessen. Währenddessen unterhielten wir uns über alles mögliche. „Und? Hast du wieder den schnuckeligen Erzieher getroffen?" Sie wackelte anzüglich mit den Augenbrauen und Spieß nebenbei eine Nudel mit ihrer Gabel auf. Liv hatte Nate einmal gesehen, als wir zusammen Noah abholte. Ich erzählte ihr, dass wir uns schon lange kannten und beste Freunde waren. Seitdem versuchte sie mich davon zu überzeugen, dass er ein Traummann war und ich ihn mir schnappen sollte, bevor es jemand anderes täte. Jedoch kam eine Beziehung für mich nicht in Frage. Nicht nachdem, was damals geschah.

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