Tango

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Tango

Selina trug ihr Implantat seit nunmehr eineinhalb Jahren. Sie hatte wichtige motorische Fähigkeiten durch einen Schlaganfall eingebüßt. Vor jenem Verlust war Selina eine aktive junge Frau anfang 20 gewesen. Sie hatte Vereinsfußball, Badminton und Klavier gespielt und zu ihren Hobbies zählten außerdem Drachen steigen lassen und Radfahren. Ein Leben ohne diese Aktivitäten war für sie immer undenkbar gewesen. Und so war ihr die Entscheidung für das Implantat nicht schwergefallen. Gehört hatte sie davon durch die Freundin eines Arbeitskollegen. Deren Bruder hatte sich nämlich nach einem schweren Unfall dieser neuartigen Operation unterzogen, bei der einem in den motorischen Kortex ein Implantat eingepflanzt wurde, welches die verlorengegangenen motorischen Fähigkeiten ersetzen und sogar noch weitere, neue Bewegungsmuster bereitstellen konnte. Und das ohne jeglichen Lernaufwand.

Für Selina war das Implantat ein Segen. Ihr war damals sofort klar gewesen, dass sie die Sache mit dem Implantat einfach ausprobieren musste. Die Zuversicht, die Dr. Maschewski, der Arzt der den Eingriff vornehmen sollte, ihr gegenüber von Anfang an ausgestrahlt hatte, hatte sie in ihrem Vorhaben nur noch bestärkt.

Und so spielte Selina inzwischen tatsächlich wieder Fußball und Badminton, wenn auch nicht im Verein. Zur Arbeit fuhr sie mit dem Rad und wenn sie Zeit und Ruhe dafür hatte, setzte sie sich hin und wieder ans Klavier und unterhielt ihren Kater Morpheus mit klassischer Musik.

Doch das war nicht alles. Denn auch aus ihrem Freundeskreis hatte sie sich nach dem Schlaganfall, gezwungenermaßen, Stück für Stück zurückgezogen. Denn dieser bestand vor allem aus Vereinskolleginnen und ausgehfreudigen Mittzwanzigern. Hier hatte sich Selina, mit ihrer eingeschränkten Beweglichkeit, meist fehl am Platz gefühlt. Ein Gefühl, das in weite Ferne gerückt war, seit die junge Frau wieder begeistert an allen möglichen Aktivitäten teilnehmen konnte. Entsprechend traf sie sich nun auch wieder mit ihren Freundinnen und früheren Vereinskolleginnen. Meistens kam man in der Bar um die Ecke zusammen und traf sich auf einen abendlichen Drink.

So auch heute.

„Und wann trittst du endlich wieder dem Verein bei?“, erkundigte sich Mira, die einzige Blondine der Gruppe, gerade bei Selina.

„Och ich weiß nicht“, entgegnete diese. „Im Moment gefällt mir dieses unregelmäßige Gebolze ganz gut.“

„Aber wir brauchen dich doch in der Abwehr“, gab Meike, die Torhüterin von Selina's früherer Fußballmannschaft zu bedenken, was ein allgemeines Kopfnicken auslöste.

Doch Selina zuckte nur lässig mit den Schultern. „Irgendwann komm ich ja vielleicht auch zurück. Aber zur Zeit will ich gerne erstmal was Neues ausprobieren.“

„So? Was denn?“, wollte Mira wissen.

„Yoga zum Beispiel“, erklärte Selina entschlossen.

„Hab ich probiert“, konterte Mira unbeeindruckt. „Nicht so mein Ding.“

Selina schwieg und dachte sich ihren Teil. Es folgte ein Moment nachdenklicher Stille. Meike nutzte die Gelegenheit, um sich eine Zigarette anzuzünden. Menthol natürlich. Alles andere war zu ungesund.

„Tja“, meldete sich Saskia schließlich zu Wort, die bisher eher wenig gesagt hatte. „Also ich will demnächst bei einem Tanzkurz mitmachen.“

„Tanzkurs?“, wiederholte Meike überrascht und zog eben an ihrer Zigarette. „Wie kommst du denn dazu?“

„Naja, ich habe im Fernsehen so eine Doku über einen südamerikanischen Tangotänzer gesehen. Und da dachte ich, das müsste man doch eigentlich mal ausprobieren.“

„Südamerikaner?“, scherzte Selina, ihren Piña Colada schlürfend.

„Tango natürlich“, lachte Saskia.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Aug 31, 2012 ⏰

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