Der Tag brach an. „Heute ist der Tag.", schoss es mir sofort durch den Kopf. Ein Blick auf mein Handy verriet mir ein paar Nachrichten, die sich über Nacht ansammelten. Doch ich betätigte den Flugmodus und sperrte den Bildschirm wieder. Mich schleppte es in die Küche, wo ich mir den Tee machte, den ich so sehr verhasste. Doch ich trank ihn. Und auch den Belag auf meinem Brot war wie schmackloser Zucker auf meiner Zunge. Selbst in der Dusche griff ich heute den süßlichen Duft von einem ewig nicht benutzten Shampoo. Ich zog den Duft ein. Gefühle voller Schmetterlinge entflogen in meinem Bauch und ein Lachen, welches so weit entfernt war, dass ich es gar nicht hören sollte, war in meinen Ohren. Es war fröhlich, hoch und laut. So war das Lachen schon immer gewesen.
Nach der Dusche fand sich mein Weg zu den Klamotten, die ich heute anzog. Ich werde den Pulli anziehen, der mir immer wieder zuvor genommen wurde. Ich hatte ihn dadurch selten an, doch nun trug ich ihn. Er war weiß mit Glitzersteckern drauf. An meinem Geburtstag packte ich ihn aus, als ich genau wusste, von wem der Pulli kam. Meine Jeans blieb schlicht schwarz. Ich spürte Arme um meiner Hüfte und hörte ein leises Kompliment. Mir steht das Outfit. Und ich begab mich weiter, diesen Tag hinter mir zu bringen. Zuerst ging es für mich in die Kirche. Der Glaube war nie da, doch war es ein Wunsch der Partnerschaft. Ich betete also. Ich betete jedoch nicht für mich, sondern für ihn. Für Gott. Dass er Gnade mit den Gestorbenen hat und den Himmel für jeden einzelnen offen hielt.
Als dies um 11 Uhr abgeschlossen war, ging ich in einem angenehmen Tempo in die Stadt und betrat ein Café. Schokolade und einen Kaffee, wie jedes Jahr. „Wo ist ihr Partner verblieben? Sie waren lange nicht hier, aber ich habe sie nicht vergessen!", witzelte der Mann an der Kasse rum, doch meinen Lippen überkam weder ein Lachen, noch ein Lächeln. Ich nahm beides entgegen und setzte mich in die gewohnte Ecke. Ein Tisch für vier Leute. Doch das war die Jahre zuvor auch egal, also würde es an den einzigen Tag, den ich hier verbringe, auch nichts ändern. Ich stellte die Tasse an die andere Seite des Tisches, mir gegenüber und starrte auf den Stuhl. Leere. Wie mein Herz, mein Kopf, meine Seele. Wie ausgesaugt. Die Hand auf meiner fehlte. Die Geschichten, die zu meinen Ohren kamen. Dennoch lief der Geschmack von Kaffee meinen Hals hinab und schon bald erhob ich mich. Mit der Schokolade in meiner Hand verließ ich das Gebäude. Wie letztes Jahr lag der alte Mann, welcher obdachlos war, neben dem Gebäude. Nur diesmal war ich derjenige, der dem Mann die Schokolade schenkte. Und wieder trug mich der Weg weiter. Der Boden war noch leicht vom Schnee bedeckt, jedoch noch begehbar. Beinahe so, wie letztes Jahr.
Mein Blick glitt kurz zur Uhr an der großen Kirche. Noch 23 Minuten. Also, machte ich mich weiter auf den Weg. Der Geruch von Mandeln kam immer näher, ich konnte die Mandeln beinahe schon auf meiner Zunge spüren, so nahe war ich dem Ganzen.
Die Schlange war knapp. Also, stellte ich mich auch an dieser an. Doch als ich dran war, bemerkte ich, wie es zu früh war. Noch eine Minute. Die Minute, in der ich schwieg, erkannten mich die Mitarbeiter in dem kleinen Imbisswagen wieder. Sie schwiegen, ließen mir anscheinend Zeit. Als ich dann das Ticken meiner Uhr wahrnahm, welches mir eine weitere Minute versprach, drehte ich mich um, zur Straße. Ein kurzes Lachen und der Knall mit den starken Bremsen darauf. Das war jeder Tod, nur kein Natürlicher.
Wieder zu den Verkäufern gedreht, nickte ich und ging ohne Bestellung weiter.
Es verging genau eine Stunde, eher ich mich schon auf meinem heutigen, eigentlichen Ziel befand. Der Friedhof. Früher versuchte ich, mich hier zu entspannen. Mittlerweile war der Weg hierher schon ein Akt, den ich nicht jeden Tag schaffte, wie ich es jedoch versprach.
Der weiße Grabstein war schon von weitem zu sehen. Die Schrift voller Kringel wurde immer deutlicher.
Auf meine Knie setzend befand ich mich nun genau davor.
„Park Jimin."
„Hey, Schatz.", hauchte ich leise und der Wind zog an mir vorbei. Er ist noch nicht gegangen, er war noch viel zu jung und lebt nun mit mir. Deswegen ging ich jeden Tag zum Grab, um ihn abzuholen, ging zu seinem Yoga-Training, besuchte das Kinderheim und guckte seine Serie weiter. „Deine Schokolade habe ich heute dem alten Mann geschenkt, neben dem Café. Das Glück in seinen Augen sprang wieder hinauf, wie du es mir versprochen hast. Und tatsächlich wusste er noch, wer ich bin. Von deinem Verlust hat er auch erfahren. Davon wissen mittlerweile alle was, außer der Mann im Café. Aber den fandest du ja schon immer komisch, stimmt's?", tatsächlich überkam mich ein kurzes Lachen „Komisch ist er echt!"
Eine kurze Zeit vergang, in der mir kurz durch dem Kopf ging, wie er es mir jedes Mal erzählte, wenn wir das Café verließen. „Hey, übrigens! Ich trage deinen Lieblingspulli. Den du mir viel zu gerne geklaut hast! Er steht mir echt gut, da hast du wirklich Recht, Schatz. Wow.. Das sagte ich lange nicht mehr.. Schatz."
Wie es zu erwarten war, kamen mir nun die Tränen hoch. Aber nicht, weil das hier ein Friedhof war, sondern weil er ein Teil hier von war. „Namjoon lässt grüßen. Er macht bei meinen Einbildungen mit, als ob es mir helfen würde. Doch nichts hilft mir, außer deine Atemzüge!", schluchzte ich leise hinaus. Es war endlich raus. Endlich konnte ich sagen, wie sehr mich sein Tod bedrückte. Dass ich alles in seiner Ehre tat. Jede Tätigkeit, die ich früher noch so verachtete, liebte ich durch ihn so sehr. Sie waren Teil von mir. Er war ein Teil von mir. Mir und meinem Herzen, meiner Seele, meinem Leben.
Wie gerne ich sein Haar nochmal anfassen würde, unsere Zweisamkeit teilen würde, unsere Serie Arm in Arm gucken würde, seine Lippen auf meiner Wange oder die meiner spüren würde, seinen Atemzug nochmals genießen würde.
Doch du warst unachtsam, voller Freude, diese Straße zu überqueren. Dennoch hätte ich genauso drauf achten können, dich vor warnen zu können.
Park Jimin, es war einzig und allein meine Schuld. Und genauso wird es ein Jahr später mein Tod mit dir zusammen sein.
Du erzähltest viel von deinem Studium, deine Tabletten, die du untersuchtest. Tabletten, an denen man sterben kann. Und eines vergaß ich nie: Wie man sie einnimmt. Nämlich trocken, mehrfach und hintereinander.
„Ich liebe dich.", hauchte ich zitternd vor mir hin, eher mein Mund in Berührung mit der ersten Tablette und den darauffolgenden kam.
„Park Jimin, ich liebe dich so sehr!"
Es war die letzte Kraft, die in mir schrie, eher ich auch meine letzte Träne verlor und schlagartig alles schwarz wurde.
✿ ꧁꧂✿ ꧁꧂✿ ꧁꧂✿Hiermit möchte ich meiner Oma gedenken, die uns leider letztes Jahr, am Valentinstag, verließ. 🙏🏻❤️