Prolog

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Jenny Pov

Kennt ihr das, wenn man einfach nur seine Ruhe haben will, aber ständig irgendjemand kommt und fragt wie es einem geht? Wenn man ständig das Gefühl hat, dass alle Angst in deiner Nähe haben und du wie eine verdammte Zeitbombe behandelt wirst, die jeden Moment losgehen könnte?
Ich hasste das. Ich hasste das einfach so sehr und wartete schon beinahe darauf, bis ich irgendwann als neueste Schlagzeile in einer dieser sinnlosen Nachrichtenshows auftauchte.

'Jennifer Schmidt, wann wird sie endlich wieder die alte!?'

Wieso konnte niemand akzeptieren, dass ich mehr Zeit brauchte? Weder meine Mitschüler, noch mein Onkel, noch nicht einmal diese inkompetente Psychologin, die ständig versuchte mich 'in Spur zu bringen'. Da würde ich auf keinen Fall mehr hingehen und es wurde Zeit, dass meinem Onkel das endlich klar wurde.
''Da bist du ja wieder Jenny. Hat der Mittagschlaf gut getan? Hast du lange geschlafen?'', begrüßte er mich, als ich die Treppe hinunter kam und die Küche betrat. ''Wie immer.'', gab ich schulterzuckend zurück und holte mir ein Glas aus dem Schrank.
Max mochte meine wortkargen Antworten nicht, er lies dann immer dieses komische Brummen aus seiner Kehle ertönen, womit er klang als wäre er gerade dabei zu ersticken. Ich fand sie ziemlich praktisch. Mit ihnen lief man nicht Gefahr, dass andere Leute auf die absurde Idee kamen eine Unterhaltung starten zu müssen. Leider stellte mein Onkel die traurige Ausnahme dar. ''Geht es auch noch ein bisschen konkreter?'', wollte er betont locker wissen und stellte sein Glas neben meins, während ich ihm ebenfalls Saft einschenkte. Innerlich verdrehte ich die Augen. ''Klar.'', meinte ich nur und trank mein Glas in einem Zug aus. Er seufzte. ''Dr. Wieland hat angerufen um zu fragen, wieso du gestern nicht zu eurem Termin erschienen bist.'' Na klar. Hatte die nichts besseres zu tun? ''Ich hab gesagt, dass ich da nicht mehr hin will. Sie stellt ständig so viele Fragen, die ich einfach nicht beantworten möchte. Sie sollte sich um die Leute kümmern, die ihre Hilfe wirklich brauchen und mit ihr was anfangen können.'', stellte ich (mal wieder) klar und stellte das schmutzige Geschirr in die Spülmaschine.
Das kam davon, wenn ein 32 jähiger Mann alleine wohnte ohne jeden weiblichen Einfluss. Alles musste man ihm hinterhertragen.
Innerlich seufzend machte ich mich auf den Weg in die Waschküche um eine Ladung in die Maschine zu packen. ''Jennifer, wir versuchen dir zu helfen, aber du musst uns auch helfen lassen!'' Natürlich folgte er mir, wieso sollte es an diesem Tag anders ablaufen wie die ganzen zwei Monate zuvor? Um ihn nicht zum Weiterreden zu ermutigen schwieg ich, aber mir war klar, dass ihn auch das nicht abhalten würde.
''Ich habe schon zweimal die Psychologin für dich gewechselt, ein drittes Mal wird das nicht funktionieren. Sag mir was ich noch tun soll?'' Ich verkniff mir die Antwort und schloss die Schublade für das Waschmittel. Er kannte sie bereits, wozu also wiederholen? ''Es gibt so viele Menschen, die sich professionelle Hilfe suchen und nach zwei Monaten sollte man wenigtens eine klitze kleine Veränderung erwarten dürfen, wieso machst du es dir so schwer?'', setzte er nach und ich feuerte ihm tödliche Blicke entgegen.
''Erwarten? Alle erwarten ständig irgendwas, aber ich will einfach momentan nichts ändern! Wenn du es einfach akzeptiert hast und dein Leben fortführst, als wäre nichts passiert, dann bitte, tu was du nicht lassen kannst aber stell keine Erwartungen an mich das ebenfalls zu tun! Für mich ist es definitiv zu früh!'', fuhr ich ihn an und ballte die Hände zu Fäusten um die Tränen zurückzuhalten, die sich in meinen Augenwinkeln sammelten. Onkel Max atmete hörbar aus und schlug einen besänftigenderen Ton an. ''Jenny, niemand erwartet, dass du tust als wäre nichts geschehen und ich mache das auch nicht, aber..'', er atmete noch einmal geräuschvoll ein und aus, ''Das Leben muss einfach weitergehen.'', murmelte er den Rest des Satzes und rieb sich das Gesicht. Das war einfach der dümmste Satz den ich jemals gehört hatte! Das Leben muss weitergehen. Es ging sowieso weiter, aber nichts würde jemals wieder so sein wie vorher, daran konnte auch kein Psychologe dieser Welt etwas ändern. Schniefend wischte ich mir über die Augen und spürte seine Hand auf meinem Rücken. ''Jenny sie fehlen mir doch auch! Natürlich fehlen sie mir! Megan ist meine Schwester, sie war alles was mir von meiner Familie noch geblieben ist. Wir haben jeden Tag telefoniert und selbst jetzt noch, wenn ich abends auf dem Sofa sitze, stelle ich mir vor, dass jeden Moment das Telefon klingelt und sie mir dann tausend Gründe aufzählt warum ich unbedingt wieder nach England ziehen sollte. Ich hab immer gelacht, aber jetzt wünschte ich mir ich wäre öfter zurückgekommen.''
Geschichten über meine Eltern? Ich konnte mir das keine Sekunde länger anhören. Ich flüchtete aus dem Waschraum und rannte nach oben um mich im Badezimmer einzuschließen. Die nächsten Stunden wollte ich niemanden mehr sehen.

''Jenny? Jenny antworte mir!'', erklang zum gefühlt hundertsten Mal die verzweifelte Stimme meines Onkels von der anderen Seite der Badezimmertüre. Glaubte der ernsthaft, dass ich mich zurückmelde, wenn ich in Ruhe gelassen werden wollte? Einfach unglaublich. Augenverdrehend saß ich auf dem Boden, mit dem Rücken zur Wand und hoffte, dass er es endlich aufgab.
''Bitte! Du bist jetzt schon seit fünf Stunden da drin! Ich möchte doch nur das Beste für dich, ich möchte dass es dir wieder besser geht und dich wieder lachen sehen, ist das wirklich zu viel verlangt!?''
Wieso lies er es nicht gut sein!? In anderthalb Monaten wollte ich ohnehin die Schule verlassen und erstmal diesen ganzen Mist hinter mir lassen. Keine drängenden Erwachsene mehr, keine nervigen Fragereien. Nur ich und.. meine Erinnerungen. Die Erinnerungen an die ich eigentlich gar nicht erinnert werden wollte. Ich meine, natürlich war auch mir klar, dass verdrängen keine Lösung war, aber ich wollte die Wahrheit nicht hören, ich wollte nicht ständig bewusst haben, dass meine Eltern einfach nicht mehr da waren und das nur, weil irgend so ein verdammtes Riesenars..
Wütend ballte ich die Hände zu Fäusten und verbannte alle Gedanken an tote Eltern und betrunkene Autofahrer. Das war einfach mehr als ich in dem Moment ertragen könnte.
''Jenny, wenn du nicht augenblicklich diese Tür öffnest, sehe ich mich gezwungen sie einzutreten und alle Türen in diesem Haus dauerhaft zu entfernen!!'', rief Max jetzt eindeutig frustriert. Das wäre nun wirklich die endgültige Horrorvorstellung!
Entschlossen sprang ich auf und öffnete ihm. ''Ich will einfach nicht darüber reden! Ich will auch nichts davon hören! Ich will mich einfach in irgendeiner Ecke verkriechen und darauf warten, bis sich mein Leben vor Langeweile selbst verkrümelt!'', brummte ich genervt und schenkte meine Aufmerksamkeit anschließend dem Waschbecken.
Aus den Augenwinkeln sah ich, wie mein Onkel stumm nickte und anschließend die Tür hinter sich schloss. Unsicher blickte ich auf und betrachtete die Stelle an der er eben gestanden hatte.
Hinter der Tür konnte man ein Schniefen wahrnehmen, das sich immer weiter entfernte. Na toll. Jetzt hatte ich ihn also zum Weinen gebracht, dabei war das überhaupt nicht meine Absicht gewesen. Ich konnte ja nachvollziehen, dass er sich Sorgen um mich machte, aber da musste ich selbst durch. Ich musste selbst mit dem Schmerz fertig werden und niemand konnte mir das abnehmen, so sehr Onkel Max sich das vielleicht auch wünschte. Niedergeschlagen betrachtete ich mich im Spiegel.
Unter meinen blaugrünen Augen lagen tiefdunkle Schatten, die sie, ganz im Gegensatz zu ihrem üblichen Glanz, ziemlich matt aussehen ließen. Wenigstens waren meine glatten, hellbraunen Haare, die mir bis knapp unter die Schulterblätter gingen, noch halbwegs in Ordnung.
Dennoch sah ich im Ganzen betrachtet vielleicht wirklich nicht so gesund aus, was aber aus meiner Sicht kein Grund war jeden meiner Schritte überwachen zu müssen.
Als ich kurz darauf mein Zimmer betrat stand auf meinem Schreibtisch ein Teller mit Suppe und dazu zwei Scheiben Brot. Max musste wohl inwischen gekocht haben.
Seufzend setzte ich mich auf den Stuhl und aß.
Wenigstens diesen Gefallen musste ich ihm machen um ein bisschen entgegenkommen. Anschließend zog ich mich zum Schlafen um und legte mich ins Bett, ohne zu wissen, dass sich bald etwas sehr Wichtiges in mein Leben einschleichen sollte.

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