Draußen sprangen gerade die Deckenlichter an - eines nach dem anderen. Sie hüllten den Bahnhof in künstliches, kaltes Licht. Zumindest hatte man mir erzählt, dass es das war. Das Licht der Sonne, das natürliche, warme Licht, hatte ich nie gesehen. Ich war schon an Orten gewesen, an denen es anders war. Ob dieses Licht allerdings echter war, vermochte ich nicht zu sagen. Vielleicht war es nur ein anderes Falsch. Der Hersteller pries es damit an, dass es dem Sonnenlicht am nächsten kam, daher wollten es alle haben. Als Betreiberin eines Ladens im Bahnhof hatte ich bereits einen Brief auf meinem Schreibtisch, in dem stand, dass auch hier bald die neuen Lichter installiert werden würden, bisher war das aber noch nicht geschehen.
Ein Lieferwagen schwebte lautlos heran und hielt vor meiner kleinen Bäckerei. Er war komplett weiß. Auf beiden Seiten prangte die Zeichnung eines halben Brotlaibs, aus dessen weicher, cremeweißer Mitte ein Tropfen roten, saftigen Blutes quoll. Sie war identisch mit dem Logo, das auch an der Frontseite der Bäckerei und auf allen Tüten und Bechern abgebildet war, die ich meinen Kunden mitgab. Eigentlich fand ich den Namen ›Blutbrötchen‹ albern, aber es war ein Franchiseunternehmen, daher blieb mir keine Wahl. Anders waren die Blutpreise nicht bezahlbar. Als Großhändler bekam man Mengenrabatt und als Teil einer Kette profitierte ich vom großen Ganzen.
»Drei Paletten, wie immer«, ließ mich der Lieferant mit monotoner Stimme wissen, kramte sein Datapad hervor und hakte etwas darauf ab. Auf seinem weißen Overall war ebenfalls das halbe Brot abgebildet. Ich nickte und er half mir, die Paletten in mein kleines Lager zu bringen. Unter seinem leicht gelangweilten Blick zählte ich den Bestand nach. Drei Viertel Brot, ein Viertel Süßigkeiten. Genug für den heutigen Tag. Was übrig blieb, konnte ich sowieso nicht mehr verkaufen, denn die Auflagen waren streng.
Nachdem ich ihn hinausgeleitet hatte und meine Lieferung genauer begutachten wollte, fiel mein Blick auf die zweite Person im Lager. »Musst du nicht zur Uni?«, fragte ich entnervt.
»Ja, gleich. Nur noch zwei Level«, antwortete er. Er, das war mein bester Freund Luca. Er hatte kurzes, dunkelblondes Haar, das wild von seinem Kopf abstand. Er saß auf dem einzigen Stuhl hier im Lager und spielte seit 20 Minuten mit seinem Datapad herum.
»Luc, du weißt, ich mag das nicht«, erinnerte ich ihn, woraufhin er den Blick vom Bildschirm nahm und mich verschmitzt ansah.
»Aber Teufelchen, schätzt du meine Gesellschaft etwa nicht?«
»Nicht wenn sie daraus besteht, nur auf diesen Bildschirm zu starren«, gab ich zurück und nahm ihm sein Pad weg.
»Hey«, protestierte er, nun leicht gereizt. »Gib es wieder her, da ist meine Hausarbeit drauf!«
Ich hob es hoch über meinen Kopf, doch weil er so viel größer war als ich, musste er nur aufstehen und danach greifen. Ohne weiteren Widerstand zu leisten, ließ ich es los und er steckte es missmutig in seinen Rucksack, der ansonsten leer war. »Du solltest mal ein bisschen aus dir heraus kommen«, murmelte er.
»Was?«, fragte ich.
»Ach nichts«, winkte er ab und zog den Reißverschluss zu. »Ich muss los.«
»Warte.« Ich ging zu der Palette, die mir am nächsten stand, riss die Schutzfolie auf und hob die erste Kiste vom Stapel, um sie nach nebenan in den Verkaufsraum zu tragen und zwei Teiglinge herauszunehmen. Ich öffnete die Kühlbox, griff nach einer großen schwarzen Flasche und setzte sie in eine Maschine auf meiner Arbeitsplatte ein. Den vorgebackenen Teigling legte ich in eine dafür vorgesehene Öffnung. Nun musste ich nur noch einen Knopf drücken und heraus kam ein perfekt geformtes, frischduftendes Brötchen, auf dessen glatter Kruste das Blutbrötchen-Logo eingebrannt war. Fest darin versiegelt befand sich frisches, warmes Blut. Mit dem Zweiten tat ich dasselbe, dann packte ich beide in eine Tüte und drückte sie meinem besten Freund in die Hand.
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Vampirya: Rain & Aidan [Leseprobe]
VampireEin dem Vampirismus ähnlicher Zustand ist im Jahr 2081 die Lösung gegen Krankheit und Alterung. Über die Hälfte der Bevölkerung hat sich zum Schutz vor der Sonne in eine moderne Welt im Untergrund zurückgezogen: Vampirya. Hier lebt auch die junge R...