Das Übel an Geräuschen

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Ein hämmernder Schmerz im Kopf, pochende Gliedmaßen, steifer Nacken, ziehende, verkrustete Wunden und juckende Brandverletzungen. Rammstein war wieder auf Tour und jedes elendige Gefühl, jedes minimale Ziehen, erinnerte den Frontsänger daran. Und dennoch gab er am nächsten Tag wieder sein Fleisch und Blut dafür, eine jaulende Menge zu befriedigen.

Gleißendes Licht drang in den kleinen Hotelraum, zwang den - zuvor noch im Land der Träume gewesenen - seine durchtrainierte Pranke über die Augen zu legen, nur um dann ein entnervtes Brummen auszustoßen, welches seine gesammte breite Brust zum vibrieren brachte.
Till strich sich in einem lauten Gähnen sein raabenschwarzes Haar zurück, verklebt von Gel und anderen Mitteln die es normalerweise zähmten. Etwas missmutig langte er mit einem massigen Arm nach dem Vorhang, wollte ihn zuziehen, doch erreichte damit nur das sich die obersten Riemen mit einem reißenden Geräusch lösten. "Scheisse.", nuschelte der vom Schlaf zerfressene Sänger, die Stimme rau und belegt. Der nächste Griff war sein Handy, die Augen gegen den hellen Display zusammengekniffen, als würde er erneut in die Morgensonne blicken. Morgensonne. Es war bereits 12 Uhr, keiner der anderen Bandkollegen schien sich überlegt zu haben den Bären aus seinem Winterschlaf zu kitzeln. Oder sie schliefen ebenfalls noch.
Die Show gestern war anstrengender gewesen als die davor...und die davor. Immer erschien es der Band alles gewesene toppen zu müssen, Till wusste es würde sie irgendwann umbringen.
Er rieb sich unsanft die Augen, eine Hoffnung etwas Klarheit in seinem Kopf zu erlangen, dann schlug er die Decke zurück, stolperte schon fast aus dem kleinen Hotelbett. Alleine dies war schon die reinste Zumutung. So klein, so warm, so hell...Till schnaubte, ein tiefes, mürrisches Geräusch, welches den Raum ausfüllte, als wäre er nicht schon klein genug. Der Frontsänger taumelte in das Badezimmer, nur um auch hier wieder beinahe schlaftrunken den Duschvorhang zu vernichten. Doch die Kälte des Wassers schien wieder Leben in seinen schmerzenden Leib zu bringen und er lehnte sich erschöpft mit seinem blanken Rücken gegen die kalte Fliesenmauer. Wasser perlte seinen Nacken hinab, verfing sich in der Dichte seiner Brusthaare. Er schloss eine eisigen blauen Augen, drohte im Stehen einzuschlafen und wieder im Traum über die Feuer gesäumte Bühne zu jagen.
Doch ein plötzliches Klopfen an der Tür riss ihn aus seinem Tun, hatte er doch die Tür zum Badezimmer nicht geschlossen. Er wollte doch dem Dienstmädchen keinen Schrecken verpassen, auch wenn es sicherlich amüsant gewesen wäre.
Till drehte das Wasser ab, es klopfte erneut.
Eine verpeilte Bewegung um nach dem weißen Handtuch zu fischen, ohne den verfliesten Boden großartig nass zu machen.
"Till! Steh auf!"
Richard also, nicht das Dienstmädchen.
Er band sich das Handtuch um die breiten Hüften und stakste launisch zur Tür, öffnete diese in einer, vielleicht zu energischen Bewegung.
"Was?"
"Morgen", Richard blinzelte ihn irritiert an, Till war definitiv kein Morgenmensch. Das nächste mal sollte er besser Kaffee als Opfergabe mitnehmen.
"Morgen.", entgegnete der Sänger und sah den Gitarristen nun etwas bemüht friedlicher an.
"Ich sollte dich wecken, sonst bekommst du kein Frühstück mehr.", er grinste und sah dann knapp an seinem Gegenüber hinab, öffnete den Mund um wahrscheinlich ein spitzes Kommentar fallen zu lassen.
"Danke.", murrte Till nur und ließ die Tür in einer knappen Bewegung in das Schloss fallen, er wollte Reesh's Anmerkungen am Morgen wirklich aus dem Weg gehen.
Das Sonnenlicht hatte nun schon komplett den Raum ausgefüllt, benetzte jede noch so verwinkelte Ecke und erwärmte deren Oberfläche.
Und Till begann sich anzuziehen, unscheinbar, ein schwarzes Shirt das fast von seinen Muskeln gefressen wurde, Sonnenbrille, Jeans, Stiefel. Extravagant lebte er schon auf der Bühne aus.
Als er die Tür erneut öffnete, lehnte Richard an der Mauer gegenüber, sah scheinbar gelangweilt auf sein Handy und hob dann den Blick. "Besser drauf?"
Till antwortete nicht, ein seufzen entkam seinen Lippen, doch er nickte. "Wollte keiner mit dir Essen gehen?", stichelte er dann. Richard lachte, ein seltsam ausgelassenes Geräusch und brachte Till zum Grinsen.
"Die sind alle schon fertig, ich bin ungefähr ne Stunde vor dir aufgewacht, du bist die einzige Gesellschaft die ich noch bekommen kann."
"Kannst es ja bei den Putzfrauen versuchen.", ein dunkles Lachen entkam Tills Kehle.
Die beiden Männer schritten den langen Gang entlang, Tills blaue Augen fixierten das anstrengend symmetrische Muster des Teppichbodens, welcher ab und an Brandflecken, noch aus alten Tagen, aufwies.
"Till ich hab gesehen das du gestern fast vom Podest gefallen wärst. Ich sag dir, pass auf oder ich brech dir dein Genick doppelt."
Und der Sänger wusste was er meinte, die Performance bei Ich tu dir Weh, wenn er Flake das flüssige Metall übergießen sollte... Er hatte im Stress vergessen seine Beine zu fixieren, jedoch gehofft es hätte keiner bemerkt. "Solltest du nicht mit Gitarre spielen beschäftigt sein?", murrte der Sänger sichtlich etwas unwohl, schon oft hatte er bemerkt das seine Bandkollegen ein Auge auf ihn warfen, auf ihn aufpassten. Und auch umgekehrt. So hatte Richard ihn oft kurz vor dem Stolpern bewahrt, oder Till Paul im letzten Moment aus dem Schussfeld der Pyrotechnik gestoßen. Auftritte machten müde, nach dem siebten war man unvorsichtiger, unaufmerksamer. Man vergaß die Dinge, Pläne, Vorschriften...
"Es ist noch gut gegangen.", antwortete Till schließlich und straffte seine breiten Schultern während sie die Treppe wählten anstelle auf den Lift zu warten.
Richard stupste ihn in die Seite, öffnete die Notausgang Tür und trat nach draußen, nur um sich dort eine Zigarette zwischen die Lippen zu klemmen.
Der Magen des Frontsängers protestierte, wie auch das Lechzen nach Koffein, dennoch folgte er dem Gitarristen, atmete die frische Luft in seine schmerzenden Lungen.
"Du auch?", Richard hielt ihm die Packung Zigaretten in einer vertrauten Geste hin und Till streckte schon im selben Moment die Finger dannach aus.
Die beiden waren sich mehr als vertraut, Freunde seit jeher, ihre Kinder teilten die selbe Mutter, sie wussten ihre Geschichten, ihre Vergangenheit.
"Es ist noch gut gegangen.", wiederholte Richard mit einem schwachen Lächeln, atmete den Rauch mit einem Seufzen aus und sah den Frontsänger mit prüfenden Blick an. "Einen Penny für deine Gedanken.", murmelte der ältere und führte die Zigarette ebenfalls zu seinen Lippen.
"Du bist ein Trottel, Till."
"Ich weiß.", und er schnaubte belustigt, erwiderte das Grinsen des anderen.
"Wo sind die anderen?", fragte er dann und strich sich eine schwarze Strähne zurück.
Richard zuckte mit den Schultern, schnippte seine Zigarette über das Geländer und wartete bis auch Till dies tat.
"Wahrscheinlich beim Strand."
Ah, ja, Strand. Till dachte verwirrt über die Stadt nach inder sie waren, doch Richard riss ihn aus seinen Gedanken.
"Komm essen."

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