Dichter Rauch umgab den Sessel, auf dem er saß. Gedankenlos blickte er sich um. Ein leerer Raum. Ein leerer Raum, in dem sich nichts befand, als zwei große Sessel. H. warf seine ausgerauchte Zigarette auf den hellen Boden, bereit sich die Nächste anzuzünden. Der Zigarettenqualm um ihn herum wurde dichter, als sich daraus unvermittelt eine schemenhafte Gestalt bildete. H. hielt inne. Aus den Rauchschwaden wurden Umrisse, wurden die Gesichtszüge eines Mannes. Verwundert blickte H. ihn an, konnte sich nicht erklären, was hier vor sich ging. Der Unbekannte sah ihn unbeteiligt an. „Hast du eine Zigarette für mich?", fragte er, während er sich langsam in den zweiten Sessel fallen ließ. Ein Zucken umspielte H.'s Mundwinkel. Eine Frage, die ihm sein Gegenüber unmittelbar sympathisch machte. „Klar", sagte er. Der Fremde lächelte H. zu. Er strahlte eine Ruhe aus, die H. an seine eigene Gelassenheit erinnerte. Fast schien es ihm, als ob er den Mann schon einmal gesehen habe. Der Unbekannte trug eine große Brille, hatte dunkles Haar. Verstand blitzte in seinen Augen. „Wieso bist du hier?", fragte der Unbekannte. H. wollte ihm antworten, doch er erschrak. Er wusste es nicht. Plötzlich drang eine Erinnerung in sein Bewusstsein. Kalt und scharf. Erinnerungen an ein Krankenhaus, an Schmerz, an Müdigkeit. Was war geschehen? H. blickte in die wachen Augen seines Gegenübers. „Ich wurde gebissen", sagte er tonlos. „Gebissen von einem Krebs". „Oh, schöne Metapher. Ein Poet", sagte der fremde Mann anerkennend. Er zwinkerte H. zu. Doch dieser hörte nur seine Gedanken, sie vereinnahmten ihn ganz. Wie war er hier gelandet? Was war passiert? H. wurde kalt. Panisch sah er sein Gegenüber an. „Bin ich tot?" Er brauchte keine Antwort, er wusste es selbst. Ruhige Augen fingen seinen ängstlichen Blick. „Wein?", war alles, was der Fremde erwiderte. Verwirrt blickte H. zur Seite. Ein kleiner Tisch aus dunklem Holz stand unvermittelt neben ihm. Darauf eine Flasche Rotwein aus dem Jahr 1943, zwei Gläser. Über die anfängliche Panik legte sich eine seltsame Ruhe. Er war nun also tot. Sein Leben lang hatte er über den Tod geschrieben, hatte sich mit ihm beschäftigt. Etwas in ihm war neugierig, fasziniert, ja sogar erfreut. Doch er wollte sich vergewissern. „Bin ich wirklich tot?", fragte er sein Gegenüber ein zweites Mal. Dieser betrachtete H. nachdenklich und sagte dann: „Der Mensch ist erst tot, wenn niemand mehr an ihn denkt". Diese Worte verbanden sich in H.'s Kopf mit Erinnerungen. Er wusste, er hatte jene Worte schon einmal gehört. Er betrachtete den Fremden nun gründlicher und stutzte. Der Mann sah aus wie Bertolt Brecht. Konnte das sein? „Brecht?", fragte er also, so als ob es selbstverständlich wäre. Wissend blickte dieser ihn an und zeigte hinter ihn. Als H. sich umdrehte, säumten Bücherregale die Wand. Der leere Raum begann sich zu füllen. „Wo sind wir hier?", fragte er leise, fast schon ehrfürchtig. „Ist das etwa der Himmel?" H. musste lächeln. Nie hatte er an die Existenz des Himmels oder gar an Gott geglaubt. „Glaubst du denn, dass es der Himmel ist?", begegnete Brecht ihm mit einer Gegenfrage. „Gott gibt es nicht; denn allzu schrecklich wäre seine Schuld", antwortete H. „Sehe ich auch so", stimmte Brecht ihm zu. „Wie kann es dann sein, dass wir hier sind?" „Du stellst viele Fragen", erwiderte Brecht. „Sehr viele Fragen. Gefällt mir". Brecht hatte Recht. H. war Zeit seines Lebens sehr wissbegierig gewesen. „Was hast du in deinem Leben so gemacht, H. ? Was hast du erreicht? ", nahm Brecht das Gespräch wieder auf. „Ich war Anwalt. Und Autor" „Ein so guter wie ich?", fragte Brecht amüsiert. „Wie B. Brecht und fand meine Brechtgedichte besser als Brechts Gedichte." Die beiden Männer lachten. Ein Gefühl der Zufriedenheit breitete sich in H. aus. Er war zufrieden, war vom Leben nicht enttäuscht. Und nun sprach er mit Bertolt Brecht. Nach einem kurzen Moment der Stille nahm sich H. eine neue Zigarette. „Wie lange bist du schon hier?", fragte er schließlich. „Zeit spielt keine Rolle", antwortete Brecht. „Das tut sie nur bei denen, die leben. Sie regiert die Welt, niemand weiß, wie viele Körner die Sanduhr des Lebens hat. Man kann nichts als zusehen. Zusehen, wie die scheinbar unendlichen Körner endlich werden. Doch hier, hier spielt die Zeit keine Rolle. Sind alle Körner unten angekommen, dann drehst du die Sanduhr einfach wieder um". Noch bevor H. länger darüber nachdenken konnte, erregte der Raum, in dem sie sich befanden, seine Aufmerksamkeit. Die Wände hatten eine leicht gelbe Färbung angenommen, Regale mit gesammelten Waagen und Fotos seiner Familie säumten die Wand. H. stutzte. Der Raum sah nun aus wie sein Wohnzimmer. „Passiert das gerade wirklich? Träume ich? Ist das fiktiv?", fragte er leise. Doch Brecht lächelte nur. Denn er wusste, so lasch es nun klingt, sie waren an einem besseren Ort. An einem Ort, an dem keine Gesetze der Natur verhindern können, das zu tun, was auch immer man möchte. Sie waren nun an einem Ort, an dem Fiktionalität nicht bedeutete, dass es nicht wirklich geschah. Die beiden Männer sprachen noch oft miteinander. Sie sprachen über Gott und die Literatur, über das Theater und die Kunst. Sie priesen den Genuss und tranken auf das Leben.
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Ein Gespräch mit B. Brecht
ParanormalEin fiktives Gespräch zwischen Brecht und H. Ich hoffe, nach einer wahren Begebenheit!