(1/2) Jemand wird kommen

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Ein Mann in ritterlicher Rüstung saß auf einem schwarzen Pferd. In seinen Händen hielt er eine Scheibe aus Gold.
Die Gravur fiel ihm ins Auge, ein Stern war es, der auf der schimmernden Fläche prangte. Fünfzackig und in einer einzigen Linie gezogen erkannte er darin ein Pentagramm. Der Ritter der Pentakel, eine der Hofkarten der kleinen Arkana. Sein Blick ging zu der anderen Karte hinüber. Sie zeigte eine Szene, in der ein Mann einem Kind einen Kelch überreichte, fünf weitere standen zu seinen Füßen; alle waren mit Blumen gefüllt. Im Hintergrund sah man eine massive Burg. Die Sechs der Kelche.

Er wird kommen.

Valerio stand am Fenster, eingehüllt in eine Decke. Er schien zu warten. Hinter seiner Silhouette leuchtete der blasse Mond. Als er sich in den Raum zurück wandte, war sein Gesicht ascheweiß. Die mandelförmigen Schatten der Augen wirkten gänzlich schwarz, wie ausgeschnitten, und doch sah er ihn, blickte in sein Innerstes.

Wenn der Mond aus den Baumwipfeln steigt.

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Erschrocken kam Magnus vom Boden hoch. Er blinzelte benommen. Der Ritter der Pentakel... die Sechs der Kelche... Er rieb sich den eingeschlafenen Arm. Warum träumte er dauernd von Tarotkarten? Seine Füße waren kalt, fröstelnd bemerkte er die Zugluft, die über den Boden strich. Hinter den Vorhängen stahl sich helles Licht hervor, tastete sich in schmalen Bahnen über die alten Bodendielen. Es musste längst Tag sein... Wie lange hatte er hier gelegen? Die Verbände.. Er hatte sie in der Nacht nicht mehr gewechselt.

Zu seiner Linken schlief Valerio noch immer. Müde, wie er war, fiel es ihm zunächst gar nicht auf, aber plötzlich sah er es: Irgendwann in den letzten Stunden musste er sich bewegt haben! Er lag jetzt halb auf dem Rücken; die Kissen, die er ihm als Stütze hinter den Körper gestapelt hatte, waren auseinander gerutscht und lagen ihm nun unter Arm und Schulter.

Als er ihn so sah, verspürte er eine gewaltige Euphorie. Auf einmal war er hellwach. Im Gegensatz zu den vergangenen Tagen zeigte Valerios Gesicht nun einen ersten Hauch Farbe; inständig hoffte er, dass es nicht nur die Vorhänge waren, die den Raum im Bereich des Kamins in rötliches Licht tauchten. Aber die Kissen! Die hatten nicht etwa von selbst nachgegeben! Valerio hatte den Arm angewinkelt, er war bei Bewusstsein. Die gesunde Hand lag jetzt auf seiner Brust. Sie hob und senkte sich mit den kräftigen Atemzügen.

Magnus wagte nur zu flüstern, jetzt, wo das Ersehnte endlich geschah. "Hey..." Sein Lächeln, das sich unwillkürlich einstellte, schmerzte ihn im Gesicht, die Augen begannen zu brennen. Er versuchte es lauter, beugte sich über ihn. "Hey... Löwenherz."

Ängstlich, innerlich flatternd, beobachtete er Valerios Gesicht - und musste jetzt breiter lächeln, als er sah, wie sich zwischen den Augenbrauen die altbekannte kleine Furche zu zeigen begann. Die Augen blieben geschlossen, aber die Mundwinkel zuckten...und verzogen sich schließlich zu einem schrägen Lächeln, wie nur Valerio lächeln konnte.

"Deine Stimme... bringt Sonne", murmelte er. Dann folgte etwas Unverständliches. "...so kalt" war alles, was Magnus davon erfassen konnte. Valerios Mimik, der feine Zug um seine Lippen, verlieh den dann folgenden Worten einen völlig unerwarteten Anflug von Ironie - diesem unerhört selbstbewussten Charme, der ihm so gut stand.

"Geh... mach Feuer." Die Augenbrauen hoben sich, die Finger der Hand, die auf der Brust lag, entließen ihn mit einer schwachen, aber unverkennbar königlich-arroganten Geste. "Ein großes. Und lass es nicht... wieder ausgehen. Es... ist kalt hier." Magnus genoss seinen gespielt herablassenden Ton unsagbar, er brachte die Freude in ihm beinahe zum Überschäumen.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Nov 03 ⏰

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WELTENTANZ - Band 3: DämmerungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt