28. August
Ich renne.
Meine Lunge brennt, aber ich kann jetzt nicht stehen bleiben. "Wir sollten uns trennen, er kann uns nich' beiden hinterher laufen." Theo ist nicht mal außer Atem, ihm macht das wegrennen nichts aus. Als Antwort nicke ich nur. Theo will den Wachmann von mir weg locken. Wir wissen beide, dass er ihn leicht abhängen kann, wenn er allein ist. Wir rennen um die Ecke, das ist meine Chance. "Wir treffen uns nachher, Welpe." Ich laufe zwischen zwei Büschen hindurch und springe über eine Mauer. Geschafft. Ich hocke mich hin, den Rücken an die Mauer gelehnt. Ich sollte noch ein wenig hier warten, um sicher zu gehen, dass der Wachmann mich nicht sieht.Ich stehe auf, meine Lunge hat noch nicht aufgehört zu brennen. Ich gehe ein Stück geradeaus, ich weiß sowieso nicht, wo ich gerade bin. Da vorne ist ein Spielplatz, dort kann ich mich sicher eine Weile ausruhen. Ich mache mir keine Sorgen um Theo, er hat den Wachmann bestimmt schon längst abgehängt. Ich kenne niemanden, der so schnell rennen kann wie er.
Ich weiß nicht, wie viel Zeit schon vergangen ist, seit ich hier sitze. Ich sollte vermutlich so langsam aufstehen und nach Hause gehen, sonst denkt Theo noch mir sei etwas passiert. Nach Hause - noch vor ein paar Wochen meinte ich das Haus, in dem ich mit meinen Eltern lebte, wenn ich das sagte. Momentan ist mein Zuhause ein altes, verlassenes Gebäude. Theo hat mich aufgegabelt, nur ein paar Tage nachdem ich von Zuhause weg bin. Bevor er mich fand, habe ich auf Parkbänken oder an Bushaltestellen geschlafen. Er sagt immer ich tat ihm leid, und das ich aussah, wie ein ausgesetzter Welpe. Ich hasse es, wenn er mich so nennt.
Ich schlüpfe durch das Loch im Zaun und gehe auf das Haus zu. Es ist bewölkt und das Licht der Straßenlaternen reicht geradeso, um das kaputte Fenster zu sehen. Als ich das erste mal durch dieses Fenster stieg, habe ich mir dabei den Arm aufgeschnitten. Seitdem bin ich vorsichtiger. Ich klettere rein, versuche, nicht über irgendwas zu stolpern und gehe die Treppe hoch. "Theo?" Er erhellt mit seinem Feuerzeug den Raum, als er sich seine Zigarette anzündet. "Da bist du ja endlich, Welpchen." Ich setze mich neben ihn auf die alte Matratze. "Ich hab dir doch gesagt du sollst mich nicht immer so nennen." Ich nehme ihm die Zigarette aus der Hand und ziehe zwei mal dran. Darauf folgt ein Hustenanfall, aber das ist es mir wert. Während ich versuche, wieder Luft zu bekommen, nimmt er sich die Zigarette wieder. "Ist ja gut. Manchmal bist du echt ein Biest." Das bringt mich tatsächlich zum schmunzeln. "Nur manchmal?" Jetzt lächelt er auch. Ich trinke etwas Wasser, dann lege ich mich hin. Die Kopfschmerzen machen mich fertig.
29. August
Das laute Knurren meines Magens weckt mich. Ich stehe also auf, gehe zum Rucksack, setze mich daneben hin und esse ein wenig. Theo scheint noch zu schlafen.Als das Schwindelgefühl nachlässt, stehe ich auf und gehe raus. Erst laufe ich eine Weile ziellos durch die Gegend, dann in Richtung Innenstadt. In der Fußgängerzone setze ich mich hin, stelle einen Plastikbecher vor mich und frage vorbeigehende Leute nach Kleingeld.
Ich habe gerade mal ein bisschen über drei Euro zusammen, da kommt ein Punk auf mich zu. "Du solltest besser verschwinden, kleine. Da komm' gleich Bullen um die Ecke." Er geht weiter. Ich packe schnell mein Zeug zusammen und verschwinde ebenfalls. Das war's dann wohl für heute. Es wird bald dunkel, also lohnt es sich nicht, sich einen anderen Platz zu suchen. Ich gehe in den nächsten Supermarkt und hole so viel Essen, wie ich für das bisschen Geld kriegen kann, dann mache ich mich wieder auf den Weg nach Hause.
Theo ist nicht da, als ich wiederkomme, aber das ist nicht ungewöhnlich. Ich setze mich auf die Matratze. Viel kann ich nicht essen, ich muss noch was für Theo übrig lassen. Nachdem ich gegessen habe lege ich mich hin und schlafe ein wenig.
Ich werde wach, als Theo sich neben mich auf die Matratze setzt. Er zündet sich gerade eine Zigarette an. "Wie lief's heute bei dir?" Er atmet den Rauch aus und dreht sich dann zu mir. "Nich' so gut, bin viel gerannt." Ich setze mich auf. "Ich hab' noch essen im Rucksack, falls du Hunger hast. Ist nicht viel, aber mehr gab's nicht." Er gibt mir seine Zigarette und grummelt 'danke', während er in meinem Rucksack wühlt. Ich ziehe ein mal an der Zigarette und unterdrücke ein Husten. Scheiße, die Symptome werden schlimmer. Er isst alles was ich übrig gelassen habe, also muss ich morgen wieder irgendwie an Geld kommen.
Wir sitzen noch eine Weile da und reden über irgendwas und nichts. Als die Kopfschmerzen wieder anfangen, lege ich mich hin und versuche zu schlafen.
30. August
Ich träume von dem Tag, an dem ich die Diagnose bekam.
Meine Mom stand direkt neben mir, sie hatte den Arm um mich gelegt. Sie war so besorgt. Mein Dad war zwar ebenso besorgt, rückte mir aber deswegen nicht so auf die Pelle. Der Arzt versuchte, es uns schonend beizubringen, aber wie bringt man jemandem schonend bei, dass er in ein paar Jahren sterben wird und niemand etwas dagegen tun kann? Ich glaube, in diesem Moment ging irgendwas in mir kaputt, denn seitdem bin ich nicht mehr die selbe.Ich wache auf.
Da ich gestern so wenig verdient habe, mache ich mich heute sofort auf den Weg in die Innenstadt.
Ich sitze noch nicht lange hier, als ein Mann mittleren alters auf mich zu kommt. Allein sein widerliches Grinsen verrät, was er von mir will. "Na Kleines, willst du dir nicht mal ein bisschen mehr verdienen?" Ich sehe ihn nicht an und zische nur "Verpiss dich." Er geht wieder. Die nächsten Stunden sind recht ereignislos. Als es langsam dunkel wird, gehe ich nach Hause.Theo ist noch nicht da. Ich stelle den schweren Rucksack neben der Matratze ab und setze mich hin. Ich taste nach dem Feuerzeug, das hier irgendwo liegen muss. Als ich es finde, zünde ich die Kerze an, die ich gekauft habe. So können wir nachts wenigstens ein bisschen was sehen.
Ich höre Schritte, Theo kommt die Treppe hinauf. Als er mich und die Kerze vor mir sieht, grinst er breit. "'Ne Kerze, wie romantisch." Ich rolle mit den Augen. "Besser als gar nichts zu sehen." Er setzt sich neben mich und bedient sich an dem Essen aus meinem Rucksack. "Sieht aus, als wär's heut besser gelaufen." Ich nicke nur. Ich habe schon wieder Kopfschmerzen, also lege ich mich hin und versuche zu schlafen.
31. August
Gestern habe ich genug Geld bekommen, also kann ich heute Zuhause bleiben. Theo ist schon losgezogen, bevor ich aufgewacht bin. Ich esse ein wenig und lege mich wieder hin. Ich starre die graue Decke an und versinke in Gedanken.Es schüttete wie aus Eimern. Ich saß an einer Bushaltestelle, um nicht nass zu werden. Ein großer, schlaksiger Typ in abgetragenen, durchnässten Klamotten rannte unter das schützende Dach der Bushaltestelle. Seine dunklen Haare klebten an seinem Kopf. Er musterte mich kurz und lächelte dann. "Du bist noch nich' lange auf der Straße, oder?" Wie konnte er das erkennen? "Hast du 'nen Radar oder so dafür?" Jetzt grinste er breit. "Nur Jahrelange Erfahrung." Er setzte sich zu mir und wir redeten, bis der Regen aufhörte. "Hast du 'nen Platz, wo du heute Nacht hin kannst?" Ich machte eine ausladende Geste, diese Bushaltestelle würde mir wohl reichen müssen, dachte ich. "Wenn du willst, kannst du mit zu mir kommen, is' nich' weit weg. Is' zwar auch nur 'n altes, verlassenes Haus, aber immer noch besser als das hier." Ich beschloss, ihm zu vertrauen und ging mit. Seitdem wohnen wir zusammen und ich habe es bisher nicht bereut.
Wir teilen uns die Aufgaben. Ich bin für das Essen zuständig, Theo für alles andere. Da er mehr Erfahrung hat als ich, bestand er darauf, dass ich die leichtere Aufgabe bekomme. Ich weiß nicht mal ob er versucht, Geld zu beschaffen, oder ob er versucht, die Dinge die wir brauchen zu klauen. Mittlerweile ist es mir auch egal.
Theo betritt freudestrahlend das Zimmer. Er wirft eine Decke und ein paar Klamotten auf die Matratze und setzt sich dann neben mich. "Heute war ein guter Tag, Welpe." Wir essen das, was noch von gestern übrig ist und reden über alles und nichts, bis die Kopfschmerzen wieder anfangen und ich mich zum schlafen hinlege.
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'til I die
Teen FictionLeah wird sowieso bald sterben, wozu also über Konsequenzen nachdenken? Sie will ihr Leben in vollen Zügen genießen, niemals etwas machen was sie nicht will, selbst wenn das ihr Leben noch mehr verkürzt. Doch als sie Zara begegnet, merkt sie wied...