Wie alles begann...

70 3 0
                                    

Es regnete. Seit ein paar Monaten regnete es schon. Doch niemand wusste wieso. Es war schließlich Sommer. Mein Herz schlug schneller als ich mir die dunkle Kapuze tiefer ins Gesicht zog und den finsteren Waldweg betrat. Normalerweise begleitete mein Vater mich, doch heute musste er eine Stunde später zu seiner Arbeit. Das Wasser durchweichte meine schwarze Jeans und innerlich verfluchte ich mich, dass ich meine Regenjacke vergessen hatte. Laut zeternd fing ich an zu joggen und hoffte, dass der Weg bald sein Ende fand. Die Eltern warnten ihre Kinder hier hinzugehen. Vor langer Zeit soll Fall River von gruseligen Männern in schwarzen Kutten heimgesucht wurden sein. Sie kamen mit der Nacht und gingen mit dem Morgen. In der Zwischenzeit holten sie sich die Seelen der Würdigen und diese Personen wurden so böse und grausam so wie sie. Sie zwangen Menschen in den Tod ohne Grund. In der Mythologie nannte man sie „Sado", was so viel wie „Schatten" bedeutet. Denn das waren sie, so unzerstörbar wie ein Schatten.

Plötzlich hörte ich ein Knacken und fuhr herum. Auf diesem Waldweg holten die Schatten tausende Seelen, aber es war morgens, sie konnten nicht schon wieder da sein. Vorsichtig ging ich dem Knacken nach, als ich etwas Rotes neben einem Baum aufblitzen sah. Waren das Augen? Ich hörte das Klicken einer Waffe. Nur ein paar Sekunden später realisierte ich, dass jemand drauf und dran war mich umzubringen. Dann rannte ich. Rannte so schnell, wie ich noch nie gerannt war. Keuchend verließ ich den Wald und auch danach sprintete ich noch die letzten paar Meter, bis ich bei dem Haus meiner besten Freundin angekommen war. Chelly, die eigentlich Michelle hieß, kam genau im richtigen Moment aus dem Haus und schenkte mir nur einen verwirrten Blick. Doch sie fragte nicht, warum ich so außer Atem war, sondern fing direkt an von einem Jungen zu erzählen, den sie über ihre Schwester kennengelernt hatte. Seufzend sah ich mich noch einmal um und erstarrte. Da waren sie wieder, die roten Augen, meines fast Mörders. Schnell nahm ich Chellys Hand und meinte:„ Komm, beeil dich, wir sind zu spät für den Unterricht." „Wir haben doch noch...", wollte mich Chelly unterbrechen, allerdings bedeutete ich ihr mit einer Geste zu schweigen. Meine Freundin verdrehte nur die Augen über mein merkwürdiges Verhalten. Erklären konnte ich es mir selber nicht, jedoch wollte ich ihr nicht von diesen roten Augen und der Waffe erzählen. Zum Glück kamen wir in diesem Moment durch das Schultor und gleichzeitig ertönte der Pausengong. Chelly umarmte mich noch einmal zum Abschied und ging dann in das riesige, graue Gebäude.

„Gib mir dein Geld.", ertönte eine tiefe Stimme und wieder einmal setzte mein Herz kurz aus. Doch es war nur John Harlod, der beliebteste Junge der Schule und mein schlimmster Alptraum. Seit Jahren hatte er etwas gegen mich und bediente sich an meinem Geld, Essen und sogar mein Handy hatte er sich einmal genommen. Obwohl ich eigentlich sehr selbstbewusst war ließ ich es über mich ergehen. Jedes Mal wenn ich mich wehrte, schlug er zu und es war nicht leicht die blauen Flecken vor meinem Vater und Chelly zu verstecken. Meine Freundin bekam davon nichts mit, weil wir in unterschiedliche Kurse gingen und John mich nur dann abfing wenn ich alleine bin. Dieser sah mich fordernd an und ich holte einen Zehneuroschein aus meiner Hosentasche und gab ihm den. John sah mich triumphierend an und säuselt dann in mein Ohr:„ Du bist viel unschuldiger als du sein solltest Elena." Dabei leckte er sich über die Lippe und eine Gänsehaut lief meinen Rücken hinunter. Auf einmal ging alles ganz schnell. John legte eine Hand an meine Hüfte und kam meinen Lippen viel zu Nahe. Im nächsten Moment lag er regungslos auf dem Boden. Erschrocken zuckte ich zurück und kniete mich neben ihn. Atmete er noch? Hätte ich nicht so eine Angst, hätte ich mich gefragt, ob mein Mundgeruch zu stark ist. Neben mir ertönte ein Knurren und ich blickte mein Gegenüber mit großen Augen an. Der Junge war mindestens einen Kopf größer als ich, hatte so wie ich schwarze Haar, aber hellblaue Augen. „Du bist zu unschuldig und der ist zu lebendig.", meinte er trocken und drehte sich um. Doch bevor er gehen konnte hielt ich ihn an seinem schwarzen Mantel fest. Mit einer hochgezogenen Augenbraue sah er mich an und ich erzitterte unter seinem Blick. Gleichzeitig breitete sich ein warmes Gefühl in meinem Bauch aus, was ich nicht ganz verstehen konnte. Die braunen Augen des Fremden sahen liebevoll auf mich herunter, was mich lächeln ließ. Leise hauchte ich:„ Danke. Du warst der erste der mir geholfen hat." Sein Blick veränderte sich und ein schwarzer Schatten huschte über sein Gesicht. „Der Erste?", hackte er noch einmal nach, was ich bejahte. Mit einem wütenden Gesichtsausdruck ging er forsch auf den immer noch bewusstlosen John zu. Bevor ist irgendetwas machen konnte schlug er ihm erneut ins Gesicht. Ein hoher Schrei entfuhr mir und ich lief zu dem Fremden rüber und versuchte ihn von John weg zu ziehen. Dieses Unterfangen erwies sich als schier unmöglich, bis er sich von selbst erhob und mich an sich zog. Mir stieg ein moosiger Geruch in die Nase, was bedeuten muss, dass er im Wald war. So wie der Mörder heute Morgen. Ob der Fremde ihn auch gesehen hatte? „Worüber denkst du nach, Kleines.", riss mich seine samtige Stimme aus meinen Gedanken. Erst jetzt wurde mir klar, dass ich in den Armen eines Jungen stand, der gerade Jemanden mit zwei Schlägen fast getötet hatte. Das war doch krank. Geschockt riss ich mich los und beobachtete ihn argwöhnisch. Abwehrend, aber immer noch lächelnd, erwiderte er meinen Blick und meinte dann:„ Ich tue dir nichts, Kleines. Aber pass besser auf dich auf, nicht, dass ich nochmal meine Kraft an einen Menschen verschwenden muss." Seine Aussage entlocke mir ein Stirnrunzeln. Er war doch selber ein Mensch?

„Wie heißt du?", rief ich ihm hinter her, was ihm zum Umdrehen bewegte. Sein Grinsen wurde breiter, als er antwortete:„ Mein Name würde dir nur unnötig Angst machen. Ich muss jetzt etwas erledigen, geh lieber in den Unterricht Kleines." Wie kann mir denn ein Name Angst machen? Und was er wohl noch machen musste? Meine Mutter, welche Jahre zuvor aus unbekannten Gründen starb meinte mir sollte nur ein Name Angst machen: Kuraiko. So hieß das Kind der Dunkelheit, ein Schattenkind.

Stadt der SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt