Ich und meine Jugend

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Ich gehe durch eine Unterführung. Es ist eisig kalt vor allem im Schatten. Der Wind bläst fürchterlich, eisig pfeift er durch die Unterführung und verpasst mir das Gefühl im Gesicht eine Gänsehaut zu haben, obwohl ich weiß, dass dem nicht so ist. Meine gefrorenen Zehen schmerzen bei jedem Schritt den ich auf dem Kopfsteinpflaster gehe. Es ist Samstag spät am Nachmittag, da es aber noch Winter ist beginnt die Sonne dennoch bereits zu verschwinden und ich hoffe, dass ich zumindest noch ein paar Minuten etwas Sonnenlicht zu Gesicht bekommen werde, sobald ich diese nach Urin, Bier und Kotze stinkende Unterführung verlassen habe. Erneut mache ich einen weiten Bogen um die Überreste einer Bierflasche und frage mich warum Betrunkene das Bedürfnis haben, diese auf den Boden zu schleudern. Währenddessen fragt ein anderer Teil von mir warum ich es nicht einfach selbst mal ausprobieren wollte. „Weil ich 14 bin" schleudere ich die Worte dem Teil von mir entgegen. „Richtig antwortet dieser wieder. Teenager. Das ist ein Euphemismus für zu jung für alles Coole und zu alt für alles Unbeschwerte und Verantwortungslose." Die Antwort trieft vor Sarkasmus und ich erschrecke etwas über den Teil von mir. Ich denke kurz darüber nach. Werde ich später mal so sein? In meiner Zeit als Studentin vielleicht? Wie in all den Filmen in denen man an der Uni so viel Spaß hat? Irgendwie bezweifle ich, dass Jura Studenten so etwas machen. „Jura, willst du mich verarschen?" schaltet sich der andere Teil von mir wieder ein und ruiniert somit meine Konzentration mit der ich versuche mir mich als betrunkene Studentin auf einer Party vorzustellen. „Werde Schriftstellerin. Wähle das Risiko. Sei Mutig und Lebe dein Leben in vollen Zügen. Oder willst du als Kaffee schlürfende und koffeinsüchtige Frau ohne Mann und Kinder mit einer 70h Woche enden und so viel Geld verdienen, das du dann spenden musst, weil du keine Menschen hast, denen du es vererben könntest. Kurz denke ich darüber nach. Wollte ich das? Ja irgendwie schon denke ich. Was ist denn so falsch daran, frage ich mich. Garnichts, antworte ich mir selbst und verlasse die Unterführung mit genau diesem Gedanken. Ein Teil von mir meint ich solle genau diesen Gedanken in der Unterführung zurücklassen, ich lächle aber nur und nehme ihn mit.

Trotz der Eiseskälte befinden sich hunderte Menschen am Linzer Hauptplatz. So viele, dass mir nach dem Prinzip vor lauter Wald sehe ich die Bäume nicht eigentlich keine von ihnen auffallen sollten. Dennoch erregen einige meine Aufmerksamkeit als ich an die gestanklose Luft trete. Neben der Pestsäule sehe ich zwei junge Frauen und drei gleichaltrige Männer stehen. Sie sind cool angezogen. Eines der Mädchen trägt ein kurzes schwarzes Kleid mit einer schwarzen Strumpfhose und eine rosarote Pelzjacke, ein anderes eine Lange schwarze Hose mit einem olivgrünen bauchfreien Top und einem offenen Mantel. Ihnen gegenüber stehen drei Männer, die alle drei braunes Haar haben. Einer trägt ein weißes T-Shirt mit blauen Jeans, die anderen beiden tragen eine schwarze Jean. Der eine mit einer schwarzen Lederjacke, der andere mit einem grauen Kapuzenshirt. Alle sehen sie mutig aus, glücklich. Und ich frage mich wie sie es schaffen nicht zu frieren, während ich mit hundert Schichten Kleidung noch das Gefühl habe aus Eis zu bestehen. Andererseits strahlen sie so viel Wärme von innen heraus nur mit ihrem Lächeln aus, dass ich meine Antwort vermutlich nicht bei ihrer Kleidung fand. Aus einer Straßenbahn sehe ich einen Mann aussteigen. Er trägt einen schwarzen Mantel und ist völlig allein. In seiner linken Hand hält er einen Aktenkoffer, während er sich mit der Rechten durch die gestylten, bereits leicht grau melierten Haare und anschießend über das ganze Gesicht fährt, als müsse er sich etwas abwischen, doch als die Hand wieder sinken lässt, sieht er noch immer gestresst aus. Seine Schritte sind schnell und obwohl ich nicht weiß ob aus momentanem Stress oder einfach nur Gewohnheit tippte ich auf zweiteres. Ob er an einem Samstag bis jetzt gearbeitet hat?

Ich schüttle die Benommenheit ab, die diese Menschen in mir verursacht haben und steige mit neuem Elan auf den Platz, da ich sehe, dass meine Straßenbahn in einer Minute kommt und ich diese auf keinen Fall verpassen will. Schnell beschließe ich wieder zu einer der beschäftigten Menschen zu werden und wie sämtliche andere Menschen ohne über die anderen nachzudenken oder ihnen auch nur einen Funken an Beachtung zu schenken meinen eigenen Weg zu gehen. Wie in einen Ameisenhaufen, denke ich... mit vielen verschiedenen Farben füge ich noch schnell hinzu als ich eine Frau mit roten Haaren sehe, die eine Giftgrüne Hose und blauen Blazer trägt und offensichtlich farbenblind zu sein scheint. Dann denke ich gar nichts mehr und beginne wie alle anderen stur gerade aus zu laufen.

Offensichtlich bin ich aber nicht dafür geschaffen stur geradeaus zu laufen denn bereits wenige Schritte danach, als ich an einem Pfeiler vorbeilaufe, bekomme ich fast einen Herzinfarkt, da an der anderen Seite des Pfeilers jemand lehnt, in den ich beim Abbiegen gerade um ein Haar hineingestolpert wäre. In etwa einen Kopf größer als ich. Ein Junge, denke ich und von der Statur nicht viel älter als ich. Sicher bin ich aber nicht, denn ich sehe nur seinen weißen Pullover und auch den nur für den Bruchteil einer Sekunde und da ich mich weigere in dieser kurzen Millisekunde, in der ich vollkommen damit beschäftigt bin zusammenzuzucken, nach oben zu sehen um sein Alter zu überprüfen, werde ich es wohl nie wissen. Dennoch genügt die Millisekunde um die Zigarette festzustellen, die er in einer Hand hält. Dann reicht die Millisekunde nur noch um mich zu fragen warum niemand von den hunderten Menschen auf diesem Platz bemerkt, dass er dafür noch zu jung zum Rauchen ist. Der Teil von mir, der heute offensichtlich sehr aktiv ist wird wieder laut und sagt mir, dass ich noch zumindest eine ganze Sekunde dastehen soll und dass ich aufsehen soll, sehen wie alt er ist, vielleicht sogar mit ihm flirten. Doch das tue ich nicht. Ich drehe nicht mal den Kopf. Stattdessen beschließe ich schnell weiter stur gerade aus zu laufen, ohne zu wissen ob er älter ist als ich dachte und die Zigarette somit vielleicht sogar legal ist. Ohne zu wissen ob er meine Millisekunde von zögern bemerkt hatte und meinen Schrecken. Ohne mutig zu sein und mein Leben in vollen Zügen zu leben. Ich gehe einfach weiter, während ein Teil von mir wütend tobt und vor Neugier platzt und sich mein Herz langsam wieder vom Schrecken erholt und als ich die Straße überquert habe und in die Straßenbahn steige, die gerade eben angekommen ist, da kann ich immer noch nicht aufhören über den Jungen nachzudenken. Ich setzte mich auf einen Platz neben dem Fenster und sehe, weil ich es doch nicht lassen kann, zurück zu dem Jungen, der mir anscheinend noch immer nachsieht und ich merke, dass ich entweder doch nicht die einzige war auf diesem Platz die andere wahrnahm oder, dass ich trotz der tausendstel Sekunde aufgefallen war. Oder war es etwas anderes gewesen? Ich wusste es nicht. Aber während ein Teil von mir sich schämte, weil ich aufgefallen war, ließ mich der andere Reue spüren für meine Feigheit. Währenddessen nahmen aber alle Teile war, dass tatsächlich höchstens ein Jahr älter zu sein schien als ich und zogen alle ihre eigenen Schlüsse daraus. Sobald sich die Straßenbahn aber auch nur kurz später in Bewegung setzte, wandte ich meinen Blick ab und dachte wie klug er eigentlich war. Er mit seinen Freunden, dass er weder zu alt für jegliches Verantwortungslose und zu jung für alles Coole war, sondern einfach beides machte, ohne darüber nachzudenken. Zur gleichen Zeit in der ich damit beschäftigt war über seine Zigarette nachzudenken und es bereute ihn nicht angesprochen zu haben und gleichzeitig trotzdem noch unauffällig und normal in einer Straßenbahn saß, die mich nach Hause fuhr, wo ich einfach weiter machen würde . Ohne auch nur das geringste zu verändern. Und als er außer Sichtweite war, wusste ich, dass ich diesen Gedanken wohl nicht mehr so schnell loswerden würde.

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⏰ Last updated: Mar 16, 2019 ⏰

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Die Jugend und ichWhere stories live. Discover now